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# taz.de -- Autor über die Klimakrise in Romanen: „Es wird Leid geben und Ge…
> Literatur, die realistisch bleiben will, muss den Klimawandel behandeln.
> Ein Gespräch mit dem Science-Fiction-Autor Kim Stanley Robinson.
Bild: „Wollen Sie den Lesern Angst machen?“ Robinson: „Ja.“ Sandsturm u…
taz: Herr Robinson, Sie sind Science-Fiction-Autor. Was hat Sie dazu
gebracht, sich mit dem Klimawandel zu befassen?
Kim Stanley Robinson: Anfang der neunziger Jahre reiste ich in die
Antarktis, um für meine Mars-Trilogie zu recherchieren. In den Romanen geht
es um das Terraforming, also die [1][Schaffung eines Klimas auf dem Mars].
In der Antarktis sprachen alle Wissenschaftler über den Klimawandel. Und
sie beklagten, dass niemand über den Anstieg des Meeresspiegels spreche,
obwohl dieser massiv sein werde. 2002 lieferte uns dann das
Grönland-Eisbohrprojekt das Klima für Millionen Jahre.
Die Eiskerndaten zeigten, dass das Weltwetter innerhalb von drei Jahren von
warm und feucht zu kalt und trocken umschlagen kann. Dafür schufen die
Wissenschaftler den Ausdruck „abrupter Klimawandel“, und damit meinten sie
wirklich abrupt. Da wurde mir klar, dass es hier etwas zu erzählen gibt.
Sie schrieben die Trilogie, die heute in dem Band „Green Earth“
zusammengefasst ist. Darin entwerfen Sie die Zukunft Washingtons nach dem
[2][Abreißen des Golfstroms].
Die Romane wurden aufgenommen, als ob es sich um reine Science-Fiction
handelte. Heute ist sich die ganze Welt bewusst, dass es tatsächlich um
eine sehr gegenwärtige Gefahr für alle geht. Die Hitzewellen, die
Wirbelstürme, die Überschwemmungen der letzten fünf Jahre und auch die
IPCC-Berichte haben dies verändert.
Ihre Science-Fiction ist keine spekulative Literatur mehr.
Genau. Sie ist zu einem Realismus geworden. Ich sehe die Science-Fiction
der nahen Zukunft als einen Realismus, der dem Ziel vorausschießt, um es zu
treffen. Um realistisch zu bleiben, muss man über den Klimawandel
schreiben. Ein Science-Fiction-Autor muss die Zukunft bringen, sie lebendig
werden lassen wie eine gelebte Erfahrung. Denn solche Erfahrungen prägen
einen, auch wenn sie fiktiv sind. Die Lektüre von Science-Fiction hat also
auch politische Bedeutung.
Sie leben in Kalifornien. Was bedeutet das für Ihr Schreiben?
Kalifornien hat in der Science-Fiction eine starke Tradition. Aber ich
erlebe hier auch die Auswirkungen des Klimawandels. Das Land beginnt, Wüste
zu werden, [3][die Waldbrände nehmen zu,] wir verlieren die Schneedecke. In
diesem Sommer bin ich in die High Sierra gefahren, um auf den Basin
Mountain zu steigen. An der Stirnwand einer Bergschlucht waren bisher
sieben Gletscher zu sehen. Zugegeben, sie waren klein, aber jetzt sind sie
alle weg.
Ihr Roman „Das Ministerium für die Zukunft“ antizipiert die Welt in den
nächsten zwanzig Jahren. Eine Hitzewelle in Indien fordert Millionen
Todesopfer. Los Angeles geht unter, auf der ganzen Welt fliehen Menschen
vor Dürre und Fluten. Aber es formiert sich auch der Widerstand. Gab es ein
bestimmtes Ereignis, das den Roman veranlasst hat?
Ja, aber das Ereignis waren die wissenschaftlichen Berichte zur
Feuchtkugeltemperatur: Menschen, die einer Kombination von großer Hitze und
hoher Luftfeuchtigkeit ausgesetzt sind, können nicht überleben. Sie sterben
in wenigen Stunden an Überhitzung. Diese Kombination aus Hitze und
Feuchtigkeit wird in Zukunft immer häufiger auftreten, nicht nur in den
Tropen.
Eine der höchsten jemals gemessenen Feuchtkugeltemperaturen wurde nahe
Chicago gemessen, also weit im Norden. Ökonomen glauben, der Mensch kann
sich an alles anpassen, als sei die Wirtschaft mächtiger als die Realität.
Diese Leute sind verblendet.
In Ihrem Roman führen Sie eine Vielzahl von Stimmen und Perspektiven auf.
Sie erzählen die Geschichte von Mary Murphy, der Leiterin des
UN-Ministeriums für die Zukunft, und Frank, einem Klimaaktivisten mit
traumatischer Erfahrung. Aber Sie lassen auch Kollektive zu Wort kommen,
Fischer, Bergleute, Flüchtlinge. Dazu gibt es Kapitel über Blockchain,
Gletscher, Landreformen in Indien oder die spanische Genossenschaft von
Mondragón. Was war die Idee dahinter?
Der Roman als literarische Gattung ist eigentlich eine Erfindung des 19.
Jahrhunderts, um von Menschen aus dem Bürgertum zu erzählen, die ihr
individuelles Leben gegen die Gesellschaft und die Geschichte stellen. Wie
konstruiert man nun einen Roman über den Klimawandel, der alle Menschen auf
der Welt betrifft? Meine Lösung war die Vielzahl der Stimmen und Stile:
Augenzeugenberichte, dramatische Szenen, Memos, Radio-Dialoge, Parabeln,
Rätsel oder Mini-Erzählungen im Stil von Italo Calvino.
Aber es geht um den Klimawandel, ein intellektuell abstraktes, aber
beängstigendes, katastrophales Thema. Wo bleibt da das Vergnügen? Ich
dachte, es kann nur aus dem Spiel der Formen kommen. Es gibt diese
schlichten Rezepte aus Hollywood, wie Romane funktionieren sollen, die
inzwischen die gesamte Belletristik infiziert haben.
An den Universitäten werden sie in den Schreibschulen gelehrt. Ich lehne
das alles ab. „Das Ministerium für die Zukunft“ ist kein bürgerlicher
Roman. Er ist globaler, viel linker und radikaler, sowohl in der Form als
auch im Inhalt.
Psychologie spielt in dem Roman auch kaum eine Rolle, Ihre Figuren werden
getrieben von Tatsachen und Ereignissen. Ist das beabsichtigt?
Die modernen literarischen Fiktionen konzentrieren sich auf einzelne
Protagonisten, die einzigartig oder außergewöhnlich sein sollen. Das ist
der bürgerliche Roman, mit seinem Fokus auf dem individuellen Subjekt, als
ob dies das Interessanteste für die Kunst wäre, und nicht die Beziehung der
Menschen untereinander oder das Eingeständnis, dass wir alle ziemlich
gleich sind.
Aber im „Ministerium für die Zukunft“ geht es genau darum, und all die
Stimmen bringen diese Erfahrungen zum Ausdruck, egal ob einer von seinem
Vater schlecht behandelt wurde. Der einzige Aspekt der Psychologie, der für
viele Charaktere im „Ministerium für die Zukunft“ entscheidend ist, ist die
posttraumatische Belastungsstörung. Das ist der ethische Zustand unserer
Zeit geworden. Wir sind alle posttraumatisch.
Sie setzen in Ihrem Roman auf die Technologie. Indische Piloten pumpen
Staub in die Atmosphäre, um die Temperaturen zu senken. In der Antarktis
lassen Sie Wissenschaftler das Schmelzwasser der Gletscher abpumpen.
Sonnenstrahlungsmanagement heißt, Staub in die Atmosphäre zu streuen, um
etwas Sonnenlicht abzulenken und die Temperaturen zu senken. Der Staub
würde sich innerhalb von fünf Jahren senken. Was ist daran falsch? Wenn wir
hingegen die Luft säubern, werden die Temperaturen steigen. Wir haben die
großen Vulkanausbrüche als Beispiel und deswegen sollten wir mehr tun, um
einen Ausbruch wie den Pinatubo nachzuahmen. Vielleicht würde das die
Menschen davor bewahren, in Hitzewellen zu sterben.
Die andere Maßnahme, die ich in meinem Roman behandle, ist das Abpumpen des
Schmelzwassers unter den großen Gletschern in der Antarktis und in
Grönland. Das soll ihre Bewegung verlangsamen und ihr Abgleiten ins Meer
aufhalten. Dadurch werden wir vielleicht in hundert Jahren keinen massiven
Anstieg des Meeresspiegels haben. Was ist daran schlimm?
Fürchten Sie nicht unabsehbare Folgen des Geoengineerings? Oder dass sich
eine profitorientierten Industrie die Technologie unter den Nagel reißt?
Geoengineering ist kein Komplott, um weiter fossile Brennstoffe zu
verbrennen. Es gibt ein Geoengineering ohne Nachteile. Viele, die dagegen
sind, verwechseln Wissenschaft und Kapitalismus. In Europa gibt es den
Widerstand gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel, als seien sie
gefährlich für den Menschen, obwohl das nachweislich nicht der Fall ist.
Schon bevor wir moderne Menschen wurden, haben wir Pflanzen gekreuzt, also
genetisch verändert. Es ist zum Wohle der Menschheit.
Die Leute sind trotzdem dagegen. Weil sich die Unternehmen das Genom
aneignen würden. Sie sind also gegen den Kapitalismus, nicht gegen die
Wissenschaft. Dieser Kategorienfehler ärgert mich, denn als amerikanischer
Linker, als Umweltschützer, als Befürworter linker Lösungen für unsere
sozialen und wirtschaftlichen Probleme scheint mir offensichtlich, dass die
Wissenschaft eine Kraft zum Guten sein kann.
Das „Ministerium für die Zukunft“ in Ihrem Roman wurde als UN-Behörde
geschaffen, zu Beginn scheint es ziemlich zahnlos zu sein, bis es eine
Abteilung für geheime Operationen aufbaut. Die sabotiert Flugzeuge oder
verwandelt Davos in ein postkapitalistisches Fortbildungscamp. Noch
militanter werden die Children of Kali. Haben Sie das Vertrauen in die
Politik verloren?
Ich bin ein ganz normaler amerikanischer Bürger aus der Mittelschicht. Ich
glaube an Gewaltlosigkeit, Rechtsstaatlichkeit und ich würde gerne daran
glauben, dass das politische System in der Lage ist, unser Problem zu
lösen, weil es der beste Weg wäre, vielleicht der einzige. Aber das
„Ministerium für die Zukunft“ soll realistisch sein: In den nächsten
Jahrzehnten wird es Leid geben, Wut und Gewalt.
Wollen Sie den Lesern Angst machen?
Ja. Sie sollen denken, dass wir das Problem besser auf friedliche Weise
lösen. Denn wenn wir die Gewalt entfesseln, kann sie uns wer weiß wohin
führen. Ich selbst könnte von jemandem in die Luft gesprengt werden, der
wütend ist, weil wir nicht genug gegen den Klimawandel getan haben. Es gibt
ein gutes Buch von Erica Chenoweth: „Why Civil Resistance Works“. Sie
argumentiert, dass Gewaltlosigkeit der effektivste politische Widerstand
ist.
Andererseits hat der schwedische Philosoph Andreas Malm „How to Blow Up a
Pipeline“ geschrieben. Er weist darauf hin, dass eigentlich bei allen
gewaltfreien Widerstandsbewegungen, die erfolgreich waren, die Möglichkeit
bestand, dass sie von einem gefährlichen, radikaleren, gewalttätigeren
Flügel abgelöst werden. Vielleicht braucht man beides.
Aber ich würde sagen, dass wir uns an das Gesetz halten sollten. Sonst
droht uns das Chaos.
28 Nov 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Thekla Dannenberg
Martin Zähringer
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