# taz.de -- Bericht von der Frankfurter Buchmesse: Ist immer noch Krise? | |
> Young-Adult-Leser:innen kaufen viele Bücher. Chinesische Stände haben ihr | |
> eigenes „Narrativ“. Und natürlich wurde auf der Messe über KI diskutier… | |
Bild: Leserinnen in der Young-Adult-Halle der Frankfurter Buchmesse | |
Ein bisschen hat es etwas von WM, von Olympia, aber auch von Expo, von der | |
Biennale in Venedig, wie sich die unterschiedlichen Länder auf der | |
[1][Frankfurter Buchmesse] präsentieren. Gruppiert in eigenen Pavillons | |
oder Ecken, je nach Größe des Landes oder des Bedarfs an Imagepolitur. | |
Italien etwa beansprucht viel Platz für sich, [2][ist ja auch Gastland | |
dieser 76. Messe,] doch statt an den offiziellen Verlagsständen ist an | |
anderer Stelle mehr los. | |
Roberto Saviano etwa, der nicht Teil der offiziellen Italien-Delegation | |
war, spricht am Stand des Schriftstellerverbands PEN Berlin. Der seit | |
Jahren zur organisierten Wirtschaftskriminalität recherchierende Journalist | |
und Autor kritisiert die aktuelle rechte Regierung und betont die | |
historisch bestehenden Verbindungen zwischen Neofaschismus und Mafia. | |
[3][Meloni] und ihrer Gefolgschaft passe es nicht, mit ihm ein bekanntes | |
Gesicht gegen sich zu haben, sagt Saviano und ergänzt, dass er zumindest im | |
Fernsehen keine Kritik mehr üben kann, seitdem die öffentlich-rechtliche | |
RAI immer mehr der Kontrolle der Regierung unterworfen sei. | |
Man kann Saviano kaum sehen, so viele Zuschauer:innen sind zu seinem | |
Auftritt gekommen, hören allerdings auch schlecht. Direkt gegenüber dem | |
Stand des PEN Berlin gibt eine meditative Stimme in Dauerschleife Tipps zum | |
„Achtsam morden“. Der Stand bewirbt die gleichnamige sehr erfolgreiche | |
Krimireihe von Karsten Dusse. | |
Auf dem blütenweißen Teppich, hinter dem Pulk an Saviano-Fans, sitzt eine | |
aufgelöste junge Krimistandmitarbeiterin. Mit zwei Verantwortlichen des PEN | |
Berlin hatte es Krach gegeben, die darauf drängten, für die Dauer des | |
Auftritts Savianos den Ton abzustellen. Die junge Frau wird von ihren | |
Kolleginnen getröstet, dann filmen sie ein Video für Social Media. | |
## Stimmen gegen rechte Propaganda | |
Ob man die sogenannten sozialen Medien als Heilsbringer oder Fluch ansieht, | |
unterscheidet sich auf der Messe je nach Halle und Standpunkt. [4][Yuval | |
Noah Harari,] der zuletzt eine kurze Geschichte, nein, nicht der | |
Menschheit, sondern der Informationsnetzwerke geschrieben hat, warnt vor | |
dem unregulierten Gebrauch von künstlicher Intelligenz. Mit KI befinden wir | |
uns in einer ähnlichen Situation wie eingangs der industriellen Revolution, | |
sagt der israelische Historiker am Stand der FAZ. | |
KI, Social Media, das Internet; auch in Halle 1.2, in der seit diesem Jahr | |
sogenannte Young-Adult-Verlage ihre Bücher ausstellen, wird darüber | |
diskutiert. Ein Panel kreist etwa um Tiktok und wie man die Plattform von | |
unten demokratisch reformieren könne. Während Deborah Schnabel, Direktorin | |
der Bildungsstätte Anne Frank, noch die Wichtigkeit von Gesetzen betont, | |
die Hass, Hetze und Propaganda auf der Plattform eindämmen könnten, setzt | |
Pegah Tajalli, Redaktionsleiterin des Tiktok-Formats „Die Parallelklasse“, | |
auf Gegennarrative. | |
Die rechten Inhalte seien schlichtweg da, es fehle an Stimmen, die | |
aufklären. Sie legt die sozialen Dynamiken bei Tiktok dar, man brauche, | |
sagt sie, eine Riege an Unterstützer:innen, wenn der rechte Mob loslege. | |
„Die verabreden sich auf ihren Discord-Channeln“, sagt Tajalli, und | |
überspülten gezielt Livestreams mit rechtem Hass. Die Regularien, Hate | |
Speech zu sperren, wären dabei bereits da. Bestimmte Key Words, etwa | |
LGBTIQ*-Themen betreffend, seien „gebanned“. Viele der auf TikTok | |
hochgeladenen Videos, sagt Tajalli, würden aufgrund von Zensur niemals | |
ausgespielt, also „geshadowbanned“. Die genaue Zahl an Videos, die das | |
betrifft, sei aufgrund der intransparenten Politik TikToks nicht bekannt. | |
Die Zuschauer:innen vor der Young-Adult-Bühne sind deutlich älter als | |
die meisten Besucher:innen in der Halle. Während an den nur für | |
Fachpublikum geöffneten Tagen hier nur wenig Betrieb ist, sind die Gänge ab | |
Freitagnachmittag voll mit jungen Erwachsenen auf der Jagd nach neuen | |
Fantasy- und [5][Romance-Geschichten.] Verlage bewerben mit serifenreichen, | |
eigentlich unmöglichen Schriftarten ihre Bücher. Hier wird viel selbst | |
gemacht, Workshops zeigen den Weg zum perfekten Cover, auch scheint vieles | |
aus der FanFiction zu entwachsen. | |
Am Stand von „MyOwn“ erzählen die Verleger:innen, das ihr Verlag jüngst | |
noch ein bloßes Blogprojekt gewesen sei. Jugendliche und junge Erwachsene | |
stellen sich in langen Schlangen an, um ein Selfie mit ihrer | |
Lieblings-Fantasy-Autorin zu machen. Es ist kurios: Innerhalb des | |
traditionellen Literaturbetriebs sind ihre Namen gänzlich unbekannt. | |
## Irgendwie signiert Jürgen Trittin | |
Doch Selfies und Signierstunden gibt es auch in den Hallen der Old Adults. | |
Irgendwo schreibt gerade Jürgen Trittin seinen Namen in ein Buch. Lange | |
Schlangen gibt es hier allerdings nicht, Trittins Fans sind vornehmlich | |
Frauen, deren politisches Bewusstsein in der Zeit der Erfindung des | |
Dosenpfands erwachte, und der Grünen-Politiker rauscht schnell weiter zum | |
nächsten Termin. | |
Ist die Buchwelt in der Krise? Man hört es auf dieser Messe überall, und | |
wohl irgendwie schon immer. Das zweite jemals gedruckte Buch soll von der | |
Krise der Verlage handeln, und Gustave Le Bon hatte den angeblichen Tod der | |
Literaturkritik 1895 schon wieder verwunden. Bei der Vorstellung der | |
diesjährigen Hotlist, einem Preis für unabhängige Verlage, ist man | |
jedenfalls schlecht gelaunt. Er gönne es natürlich [6][der | |
Buchpreisträgerin Martina Hefter,] sagt Moderator und Autor Axel von Ernst, | |
aber dass der Preis nun mit Klett-Cotta an einen großen Verlag geht, | |
nachdem Hefter jahrelang bei unabhängigen Verlagen ihre Bücher | |
veröffentlichte, gefällt ihm sichtlich nicht. | |
Die einen jubeln, die anderen strampeln. So leer wie dieses Jahr war es | |
wirklich noch nie, raunt es in den Gängen. Doch lassen sich in Frankfurt | |
ohnehin ganz verschiedene Messen verleben. Auf Partys stehen alte | |
Verlagshasen neben Jungverlegern ohne Einladung, exilierte | |
Schriftsteller:innen neben enttäuschten Shortlist-Kandidaten. Und das | |
ist bloß die deutsche Buchlandschaft – wo feiern eigentlich die asiatischen | |
Verleger:innen? Welches Restaurant besuchen die arabischen Buchhändler? | |
## Am Stand langweilt sich ein Scheich | |
Die Hallen der internationalen Aussteller sind eine eigene Welt für sich. | |
Am Stand Saudi-Arabiens langweilt sich ein Scheich, vor ihm steht eine | |
unangetastete Schale getrockneter Früchte. In einem Stand eines | |
US-amerikanischen Kinderbuchverlags machen Männer im Anzug böse Miene zu | |
den bunten Buchcovern um sie herum. In der Abteilung Südkorea rollt man | |
heimlich mit den Augen. Nein, der Verlag der Nobelpreisträgerin Han Kang | |
ist nicht auf der Messe vertreten. Ja, wir versprechen uns einen Boost für | |
die südkoreanische Literatur. | |
Taiwan ist nicht bei den anderen ostasiatischen Verlagen eingeordnet, sein | |
Stand ist in einer anderen Halle, möglichst weit weg von China. Hongkong | |
hatte nicht so viel Glück. Links und rechts gerahmt von der Volksrepublik, | |
blinkt die einst autonome Sonderverwaltungszone nun im Takt des Übervaters. | |
[7][„Hongkong – Our Narrative“] steht groß darüber geschrieben. Was hier | |
genau Verlag, was Agentur, was staatlich und was privat ist, ist dabei | |
nicht klar zu erkennen. | |
„Wir werden natürlich unterstützt vom Außenministerium“, sagt fröhlich … | |
Mitarbeiterin der China International Book Trading Corporation. Werden denn | |
in Zeiten des Internets noch so viele Deals auf der Messe abgeschlossen, | |
die das riesige Aufgebot Chinas rechtfertigen? Die Mitarbeiterin nickt. | |
Frankfurt sei eine besondere Gelegenheit, Menschen von überallher zu | |
treffen, sagt sie. Tatsächlich hat der chinesische Buchmarkt seit der | |
Coronapandemie einen Verkaufseinbruch erlebt. Davon hat er sich auch 2024 | |
noch nicht wieder erholt. | |
## Verlage, die Federherz heißen | |
Und der deutsche Buchmarkt? Der verzeichnete zuletzt wieder einen Zuwachs, | |
wenn auch nur um 2,8 Prozent. Zugenommen hat insbesondere die Zahl der | |
jungen Käufer:innen unter 19 Jahren sowie der Gewinn aus dem Segment | |
Young- und New-Adult. | |
Vielleicht trauen sich in den nächsten Jahren also mehr | |
Fachbesucher:innen in die Halle 1.2, zu den Verlagen mit klingenden | |
Namen wie Federherz und Schicksalsweber, wo man zu jedem Kauf „eine | |
Drachentüte“ geschenkt bekommt. | |
20 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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