# taz.de -- Themen der Buchmesse: Die starre Freund-Feind-Logik | |
> Ukraine, Nahost und die Regierung in Italien: Auf der Frankfurter | |
> Buchmesse werden die aktuellen politischen Konflikte diskutiert. | |
Bild: Ukrainische Präsenz auf der Buchmesse in Frankfurt | |
Frankfurt am Main taz | Das Schreiben und Verlegen im Krieg, Literatur in | |
Krisenzeiten, Autoren, die sich gegen den Autoritarismus stellen: Die | |
großen geopolitischen Realitäten nehmen viel Raum ein bei der Frankfurter | |
Buchmesse, oft spielen dabei der Ukraine- und der Nahostkrieg eine Rolle. | |
Ein Buch, das am Mittwoch in Halle 4 vorgestellt wird, erzählt schon im | |
Titel von einer neuen Realität: „Wir, die wir uns verändert haben. | |
Ukrainische Kulturschaffende erleben den Krieg“ heißt ein Band, den der | |
ukrainische Verlag IST Publishing und der Leipziger Verlag Spector Books | |
veröffentlicht haben. | |
Die IST-Verlegerin Anastasia Leonova berichtet vom Arbeiten im Krieg: Zum | |
Verlagsalltag gehören Stromausfälle, man muss mit der Papierkrise umgehen, | |
Mitarbeitende müssen an die Front. Die Künstler:innen, so Leonova, | |
„durchleben derweil eine Transformation, sie versuchen eine neue Sprache | |
für den Krieg zu finden.“ | |
Mit Verweis auf die Autor:innen [1][Serhii Zhadan] und [2][Sofia | |
Andruchowytsch] spricht Mitherausgeberin Anastasiia Platonova über die | |
publizistische Aufgabe, die Kriegsrealität abzubilden: „Wenn wir die Dinge | |
nicht benennen, dann verschwinden sie, das dürfen wir nicht zulassen“, sagt | |
sie. Damit spielt sie auch auf das Beschweigen historischer Traumata in der | |
ukrainischen Geschichte an. | |
## Kriegstagebücher, Fotobände des Widerstandes | |
Auch deshalb haben viele Schriftsteller:innen wohl zuletzt | |
Kriegstagebücher veröffentlicht (Zhadan, Andrej Kurkow, [3][Yevgenia | |
Belorusets], Artem Tschech). Ein paar Gänge weiter, am Gemeinsschaftsstand | |
der ukrainischen Verlage, finden sich auch Dokumentationen aus anderen | |
Genres: Fotobände über den ukrainischen Widerstand, eine Graphic Novel über | |
die Blackouts, ein Reader über die Geschichte des russischen Imperialismus. | |
Die deutsche Debatte über den Nahostkrieg ist zuvor im Frankfurt Pavilion | |
Thema, dort sprechen die Politikwissenschaftlerin Saba-Nur Cheema und der | |
Publizist Meron Mendel miteinander. Die beiden sind ein Paar, er Jude, sie | |
Muslimin, sie haben kürzlich das gemeinsame Buch „Muslimisch-jüdisches | |
Abendbrot“ veröffentlicht. „Die Gräben in der Gesellschaft sind noch viel | |
tiefer geworden, die Konflikte werden härter ausgetragen“, sagt Cheema über | |
den Diskurs. | |
Mendel spricht von einer festgefahrenen Freund-Feind-Logik, nach dem [4][7. | |
Oktober hätten viele sich schnell entschieden, auf wessen Seite sie | |
stünden,] nun sei kaum mehr Annäherung möglich. Beide beklagen, dass sowohl | |
auf jüdisch-israelischer Seite als auch auf palästinensischer Seite Kritik | |
am „eigenen“ Lager unerwünscht sei. | |
## Relativierung der Hamas-Taten | |
„Israelhass ist in der muslimischen Community ein großes Problem“, sagt | |
Cheema – damit auseinandersetzen aber wolle sich die Community nicht. | |
Besorgt zeigt sie sich über die Relativierung der Taten der Hamas. Auf der | |
anderen Seite reiche es manchmal aus, die israelische Reaktion auf den 7. | |
Oktober infrage zu stellen, und man gelte dort als „Verräter“, erklärt | |
Mendel. | |
Auch das Gastland Italien und die Kulturpolitik der neofaschistischen | |
Regierung Meloni sind weiterhin Thema. So spannend wie augenöffnend ist ein | |
Panel zur Sprache und Ikonografie der Fratelli d’Italia und der | |
Jugendorganisation der Partei. Kunsthistoriker Luciano Cheles zeigt die | |
Parallelen zwischen NS-/Mussolini-Propaganda und der Bildsprache der | |
italienischen Rechten auf. So posiert Meloni auf Plakaten wie einst | |
Mussolini, die Jugendorganisation verwendet Arno-Breker-Skulpturen auf | |
ihren Postern. | |
Cheles und die Soziolinguistin Vera Gheno analysieren [5][die Sprache der | |
italienischen Rechten], Slogans wie „Credere, obbedire, combattere“ | |
(„Glauben, gehorchen, kämpfen“) und der bei Rechten beliebte Tolkien-Satz | |
„Le radici profonde non gelano“ („Tiefe Wurzeln frieren nicht ein“) sin… | |
Italien wieder salonfähig geworden. | |
Das Familienbild Melonis ist bekanntermaßen das der Hetero-Normfamilie, | |
Vera Gheno sagt, die in Italien aus der Werbung bekannte „La famiglia del | |
Mulino Bianco“ entspräche dem Meloni-Ideal. „Sie versuchen ihr | |
faschistisches Gesicht zu verbergen“, sagt Cheles, aber sie seien | |
„faschistisch und nazistisch.“ | |
17 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Friedenspreis-2022-fuer-Serhij-Zhadan/!5889668 | |
[2] /Grosses-Schriftstellertreffen-in-Berlin/!6033884 | |
[3] /Katja-Petrowskaja-ueber-den-Ukrainekrieg/!5853993 | |
[4] /7-Oktober--ein-Jahr-danach/!6034827 | |
[5] /Tolkien-Ausstellung-in-Rom/!5975512 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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