# taz.de -- Ein Rundgang auf der Buchmesse: Gebeatboxte Buchkritik | |
> Unscheinbare Künstler und grell-laute Möchtegernstars, die Rückkehr des | |
> „Spiegel“, ein ernstes Gesicht auf dem blauen Sofa und kroatische Krimis. | |
Bild: Sehen und gesehen werden: Indonesische Bücher warten auf Leser | |
## Literaturkritik 2.0 | |
Ob man da auch an Schiller dachte oder bloß ans Storytelling? Tell heißt | |
der brandneue [1][“redigierte Literatur-Blog“]. Sieglinde Geisel von der | |
NZZ und vier ihrer Mitstreiter*innen sitzen dicht gekauert und vergnügt am | |
Lesestand C 37 der Halle 4.1, als sie voller Elan und Tatendrang den Namen | |
und das Konzept hinter dem Blog verkünden. Die Seite, die erst eine Stunde | |
vorher online ging und deren Namen man streng hütete, solle, so Geisel, das | |
„beste beider Welten Online und klassisches Feuilleton“ vereinen. | |
## Gespiegelte Messe | |
Auf 114 warm beleuchteten Quadratmetern mit Birken-Parkett-Laminat knallt | |
das Spiegel-Orange. Der Spiegel ist zurück auf der Messe. Seit 2008 hatte | |
man aus Geldgründen den Auftritt gecancelt. Auffällig dieses Jahr: Es ist | |
ein Stand ohne Regale. Titel aus der Spiegel-Redaktion findet man erst 10 | |
Meter weiter, bei der Deutschen Verlagsanstalt (DVA). | |
Hier am Spiegel-Stand setzt man ganz auf die Marke; übergroß prangt die | |
Spiegel-Bestsellerliste an der Wand, mit Titeln von Star-Wars-Regisseur | |
J.J. Abrams aber auch von Günter Grass. „Es sind aber auch goldene Zeiten | |
zum Lesen“, schwärmt Spiegel-Neuzugang Nils Minkmar. Der Literatur Spiegel, | |
der jetzt zehn Mal jährlich dem Spiegel beiliegt, passt dazu. | |
## Flüchtlingsanthologie | |
Der US-amerikanische Autor und einstige Buchhändler Max Porter, Jahrgang | |
1981, liebt die Frankfurter Messe, weil sie nicht so steif sei wie die | |
Londoner, sagte er der taz. Porter ist gleich doppelt auf der Messe: Als | |
Autor von „Trauer ist das Ding mit Federn“ (Hanser Berlin) und als | |
Fulltime-Lektor des britischen Verlags von Herta Müller: Granta Books. | |
Die haben gerade eine Anthologie mit Texten von und über Flüchtlinge | |
[2][online gestellt]. In Porters eigenem Buch zieht eine | |
geschichtenerzählende Krähe ins Haus einer Familie, deren Mutter starb. | |
Durchs Radio dringt aber auch in die anscheinend so private Parabel das | |
Politische ins Wohnzimmer ein. In Porters Privatexemplar des Romans hat | |
sein Sohn dort, wo man das Autorenfoto vermuten würde, ein Monster | |
gekritzelt. | |
## Gesichter | |
Über Andreas Rötzer, den Verleger von Matthes & Seitz Berlin, kann man | |
berichten, dass er sich nur mit so einem kleinen, feinen Lächeln auf der | |
Buchmesse sehen lässt. Kein Wunder, wenn das größte Problem, das man gerade | |
hat, darin besteht, so schnell wie möglich das Gewinnerbuch des | |
diesjährigen Buchpreises nachzudrucken. | |
Volker Weidermann dagegen muss erst einmal mit einem ernsten Gesicht über | |
die Messe gehen; er wird von zwei Kameras begleitet und soll fürs ZDF die | |
Literatur repräsentieren. Später sieht man Weidermann auf dem Blauen Sofa | |
sitzen, neben ihm Frank Witzel, eben [3][der Buchpreisgewinner], dessen | |
Romanexemplar wunderhübsch aussieht, weil mit bunten Post-it-Markern | |
Stellen in ihm markiert sind. | |
Bevor Witzel liest, plaudern Weidermann und er noch ein bisschen vor | |
Publikum. Witzel erzählt gute Anekdoten. Dass er früher Tagebücher | |
geschrieben habe, zum Beispiel, aber bei seinem Roman über die 60er und | |
70er Jahre nicht auf sie zurückgreifen konnte, weil er aus Scham immer | |
Seiten aus dem Tagebuch herausgerissen hat – bis er nur noch die Hülle des | |
Tagebuches hatte. So musste er seinen Kosmos der alten Bundesrepublik ganz | |
aus seinem Gedächtnis rekonstruieren. | |
## Durcheinander | |
Koreanische Kinderbücher und kroatische Krimis, Kiepenheuer und Kitsch, | |
Geld, Macht, schädelberstende Allwissenheit und Geld. So groß ist es hier, | |
dass, biegt man einmal falsch ab, man entweder von einer hysterischen | |
Schulklasse totgetrampelt, von rustikal-rheinländischen | |
Bibliothekarinnentrios kräftig beschlagwortet, oder mit Tonnen Werbeschutt | |
beladen wird. | |
Zwischendrin ein kleiner Esoterikstand mit Büchern zum Thema „Hilfe, mein | |
Hund ist unerziehbar“. Und mit einer Lesung. Der Romanerzähler ist ein | |
Affe, der irgendwie von Tierversuchen berichtet – einem Affen wird ein Loch | |
in den Kopf gebohrt, eine Frau wird aufgeblasen wie ein Luftballon. Das | |
Publikum flieht. Etwas weiter, am Stand von Deutschlandradio Kultur wird, | |
man geht ja mit der Zeit, eine Buchkritik gebeatboxt. | |
14 Oct 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://granta.com/the-refugee-crisis/ | |
[2] http://granta.com/the-refugee-crisis/ | |
[3] /Frank-Witzel-erhaelt-Deutschen-Buchpreis/!5241063 | |
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