| # taz.de -- Frank Witzel erhält Deutschen Buchpreis: Ein Außenseiter macht da… | |
| > Der Deutsche Buchpreis 2015 geht an den Autor Frank Witzel. Sein Roman | |
| > ist kein Mainstream. Die Jury hat eine mutige Entscheidung getroffen. | |
| Bild: Der Autor Frank Witzel erhält den Deutschen Buchpreis 2015. | |
| Frankfurt am Main taz | Okay, das ist eine mutige Entscheidung und eine | |
| große Überraschung. Der Schriftsteller Frank Witzel erhält den Deutschen | |
| Buchpreis 2015 für seinen 800 Seiten langen, teilweise ziemlich | |
| anstrengenden, teilweise aber auch großartigen Roman „Die Erfindung der | |
| Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer | |
| 1969“. Kleiner, wenn auch ambitionierter Verlag, sperriger Titel, ein nicht | |
| gerade auf den Nägeln brennendes Thema, teilweise avantgardistische | |
| Literaturbehandlung. Wenig sprach für diesen Gewinner. | |
| Aber nun ist es passiert. Cool irgendwie. Und ein schönes Beispiel dafür, | |
| wie eigenwillig – im besten Sinne – Juryentscheidungen sein können. Wer | |
| noch einmal behauptet, der deutsche Literaturbetrieb tendiere zum | |
| Mainstream, passt gerade wirklich nicht richtig auf. | |
| Frank Witzel beschreibt mit vielen Zeitsprüngen und teilweise geradezu | |
| essayistischen Ausflügen das Leben eines renitenten Jugendlichen in der | |
| westdeutschen Provinz. Trister Alltag, katholischer Hintergrund, viel | |
| Jugenddüsternis, wenige Auswege, auch die radikale Linke inklusive der | |
| titelgebenden RAF hilft nicht weiter. Nur die Popmusik bringt so etwas wie | |
| Hoffnung und Licht in die Kleinstadt Biebrich. Aber der Aufbruch der | |
| Swinging Sixties ist fern, und zu Hause herrschen noch die fünfziger Jahre, | |
| inklusive unaufgearbeiteter Kriegstraumata. | |
| Der Buchpreis für Frank Witzel ist natürlich auch eine Entscheidung gegen | |
| Jenny Erpenbecks Flüchtlingsroman Roman „Gehen, ging, gegangen“, das | |
| zuletzt so oft als Buch der Stunde bezeichnet worden ist, dass man selbst | |
| ein bisschen grinsen muss, wenn man diese Wendung in die Tastatur schreibt. | |
| Erpenbeck war die erklärte Favoritin – aber auch ein Buch, das den | |
| Buchpreis vielleicht gar nicht braucht. Sie wird viel gelesen werden. | |
| Daneben standen noch Inger-Maria Mahlkes auch formal spannender | |
| literarischer Besuch im 16. Jahrhundert „Wie ihr wollt“ auf der Shortlist; | |
| Ulrich Peltzers großangelegter und sprachlich aufregender Ansatz, auf der | |
| Höhe literarischer Möglichkeiten und politischer Analysen zugleich zu | |
| schreiben, „Das bessere Leben“; Rolf Lapperts ziemlich sentimentale und | |
| betuliche Prosa aus dem Roman „Über den Winter“; sowie ein geschickt | |
| gebauter Reigen ehemaliger Liebhaber von Monique Schwitter in „Eins im | |
| Andern“. | |
| ## Keiner Gruppe zuzuordnen | |
| Das war eine gute Shortlist (auf die wohl doch nur noch Clemens Setz mit | |
| seinem Roman „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ gehört hätte). Viel | |
| Überraschendes, wenig Konfektion. Diese Liste zeigt, wie disparat die | |
| deutschsprachige Literatur derzeit ist – was ja auch eine Stärke und eine | |
| Leistung sein kann – und wie wenig sie sich von einem Preisträger | |
| repräsentieren lässt. Auch und vielleicht sogar gerade von dem Preisträger | |
| Frank Witzel nicht, der keiner Gruppe zugeordnet werden kann und keiner | |
| Schreibschule und höchstens dafür steht, dass Konsequenz und das Vertrauen | |
| in das eigene Schreibprojekt sich manchmal auszahlen. | |
| Über viele Jahre hat Witzel, der 1955 in Wiesbaden geboren wurde, an seinem | |
| Riesenbuch geschrieben. Den ersten Reaktionen zufolge ist der | |
| Literaturbetrieb durchaus gewillt, Witzels Buch zu tragen; jedenfalls | |
| Überraschung und jedenfalls etwas los in der Bude. Mal sehen, wie weit auch | |
| die Buchhändler da mitziehen werden. Eine sichere Bank fürs | |
| Weihnachtsgeschäft ist der Roman jedenfalls nicht. Aber da kann man sich ja | |
| auch täuschen. | |
| ## Salman Rushdie auf der Buchmesse | |
| Am Dienstag wird die Buchmesse auch offiziell eröffnet. Salman Rushdie wird | |
| seine Keynotespeech halten, und man wird über den Iran den Kopf schütteln, | |
| der deswegen die Messe boykottiert. Indonesien wird seinen Gastlandauftritt | |
| absolvieren, und man sich weiter über Karl Ove Knausgard austauschen. Wird | |
| auch die Entscheidung der Buchpreisjury eine Rolle spielen? | |
| Garantiert. Witzel ist debatten- und auch erklärbedürftig. Aus der | |
| Kritikerfraktion, die für einen engeren Literaturbegriff steht, war im | |
| Vorfeld der Messe einiges Rumoren zu vernehmen. Die Zeit-Feuilletonchefin | |
| Iris Radisch hat der frisch gekürten Nobelpreisträgerin Swetlana | |
| Alexijewitsch den Status einer Schriftstellerin abgesprochen; sie sei nur | |
| Journalistin. | |
| Und auch dem autobiografischen Projekt Karl Ove Knausgards wird jetzt | |
| Widerstand entgegengesetzt: zu unliterarisch, nicht ausgedacht genug. Kaum | |
| vorstellbar, dass der Preisträger Frank Witzel mit seiner Renitenz und | |
| Popaffinität die Gemüter beruhigt. Was wirklich gute Literatur ist, darüber | |
| herrscht derzeit sehr wenig Konsens. Gute Zeiten zum Diskutieren. Man hat | |
| glatt Lust, gleich einmal wieder „Rubber Soul“ von den Beatles zu hören. | |
| 12 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Dirk Knipphals | |
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