# taz.de -- Roman von Frank Witzel als Theaterstück: Die Revolte im Jugendzimm… | |
> Armin Petras inszeniert in Berlin „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion | |
> durch einen manisch depressiven Teenager“. Ein gelungener Versuch. | |
Bild: Diskussionen finden in der Gruppe statt: die vier Darsteller in Armin Pet… | |
Alles was groß ist, ist auch klein; alles was nah ist, ist auch fern; alles | |
was wirklich ist, ist auch erfunden. Groß und aufregend ist die Erzählung | |
von Verfolgungsjagd, Unfall und Flucht vor der Polizei, mit der Frank | |
Witzels Roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch | |
depressiven Teenager im Sommer 1969“ beginnt. Mit dieser aktionsreichen | |
Episode steigt auch der Schauspieler Tilman Strauß in die Inszenierung ein, | |
die Regisseur Armin Petras aus dem Roman gemacht hat. | |
Klein sind derweil die drei Playmobil-Figuren und das Che-Guevara-Foto, das | |
eine Hand vor einer Kamera arrangiert, schwarz bemalt und unter | |
Papierschnee-Schnipseln wieder verschwinden lässt. Das sieht man auf einer | |
Leinwand am Bühnenrand. | |
Zwischen Schaufensterpuppen von Kindern und Teenagern, mehr als dreißig in | |
Siebzigerjahrekleidern, stehen die Boxen und das Schlagzeug der Band Die | |
Nerven auf der Bühne der Berliner Schaubühne. Aber so wütend die drei | |
jungen Musiker auch draufhauen, es bleibt doch immer eine Revolte im | |
Jugendzimmer. | |
Die fünf Schauspieler, die sowohl den Erzähler spielen als auch die Rollen | |
seiner Freunde, Eltern, Beichtväter, Psychologen und Polizisten, haben ihre | |
grünen Nickis bald gegen Schlafanzüge und Indianerkostüm getauscht. So | |
steht der 13-jährige Junge, als den man sich den Erzähler nun vorstellt, in | |
der Tür zum Fernsehzimmer der Eltern, sieht Fahndungsfotos, hört von der | |
Roten Armee Fraktion und besetzt die Rollen seiner Fantasien um. | |
Ein super Entführungsopfer wäre die Frau von der Caritas, die seit einem | |
Unfall der Mutter den Haushalt führt. Aber weil die den Jungen auch mit | |
Fragen verfolgt, wäre sie auch eine gute Besetzung für eine Offizierin der | |
Nationalen Volksarmee der DDR, zu der man notfalls flüchten muss. Julischka | |
Eichel nimmt sich dieser Figur mit turnerischem Ehrgeiz an, untermalt den | |
eigenständigen Kulturbeitrag des Ostens mit einem sekundenschnellen Lauf | |
durch gymnastische Disziplinen. | |
## Verschlankung der Geschichte | |
Frank Witzels Roman, der im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Buchpreis | |
ausgezeichnet wurde, ist 800 Seiten stark. Die Inszenierung von Armin | |
Petras, eine Koproduktion zwischen dem Schauspiel Stuttgart, das Petras als | |
Intendant leitet, und der Berliner Schaubühne, dauert etwas über zwei | |
Stunden. Die Textfassung bleibt nah am Roman, behält dessen sprachlichen | |
Duktus bei und ist doch auch eine Zähmung und Verschlankung der Geschichte. | |
Überzeugend wird die Inszenierung immer dann, wenn die einzelnen | |
Erzählebenen, die Sprache des Textes, die Sprache der Körper, die Energie | |
der Musik und die Collage der Bilder, auseinanderlaufen. Wenn die Fotos, | |
die Comicbilder, die Werbelogos von westdeutschen Marken der Fünfziger und | |
Sechziger, die vor der Kamera in einer unentwegten Bildcollage | |
ausgebreitet, übermalt und überschrieben werden, sowohl Zeitkolorit | |
verbreiten als auch von der Mühsal der Arbeit der Erinnerung erzählen. | |
Wenn der Text von einem Adrenalin freisetzenden Banküberfall erzählt, die | |
Spielenden aber schon voller Schreck aus ihren Figuren flüchten wollen und | |
miteinander ringen, als kämpften sie darum, sich in der Geschichte zu | |
halten. | |
## Kollektive Leistung der Verdrängung | |
So ist der Abend gut komponiert und malt vor allem die Gedankenwelten eines | |
Jungen aus, der sein Unglück mit radikalen Fantasien kompensiert. Dass | |
damit im Roman auch ein facettenreiches Bild der BRD Ende der Sechziger und | |
ihrer kollektiven Leistung der Verdrängung des Faschismus gezeichnet wird, | |
skizziert die Bühnenfassung zwar; doch mit etwas blassen und zu kurz | |
geratenen Strichen. | |
Wenn etwa über das Produkt der Fleckentferner und die sogenannten | |
Persilscheine nachgedacht wird oder über die Legitimität von | |
Kaufhausbrandstiftungen, dann wird aus diesen Exkursen nicht mehr als eine | |
Randnotiz, ohne das Zeug zu haben, mit einem veränderten Blick auf das | |
Erzählte zu schauen. | |
Doch man muss die Inszenierung nicht am Roman messen, man kann sie auch | |
neben die anderen Stücke stellen, mit denen Petras Geschichten aus DDR und | |
Nachwende-Deutschland mit großer Empathie ausgebreitet hat. Dann ist sie in | |
ihrem Witz und in ihrer spielerischen Leichtigkeit ein gelungener Versuch, | |
ein weiteres Kapitel der Geschichte anzugehen. | |
10 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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