# taz.de -- Uraufführung am Schauspiel Stuttgart: I kill people with a gun | |
> Am Schauspiel Stuttgart erzählen Schauspieler und Kinder die erfolgreiche | |
> Geschichte eines schwäbischen Waffenherstellers. | |
Bild: Unheimlich ist ihre Begeisterung: Kinder in Philipp Löhles Stück „Feu… | |
„Es ist alles genauso gewesen, wie es hier erfunden wurde“, wird auf der | |
Rückseite des Programmhefts zum Stück „Feuerschlange“ dessen Autor Phillip | |
Löhle zitiert. Tatsächlich liegen bei der Uraufführung am Ende Oktober in | |
der Spielstätte Nord des Schauspiels Stuttgart Wirklichkeit, Dokumentation | |
und Fiktion nahe beieinander. Fragmentarisch reihen sich Szenen aneinander, | |
die unterschiedlichen historischen, nationalen, ökonomischen und | |
politischen Kontexten entspringen und sich verschiedenartiger Erzählmodi | |
bedienen. Sie alle sind mit dem „fiktiven“ Waffenhersteller „Lecker und | |
Loch“ verbunden. | |
Einleitend werden die großen europäischen Kriege der letzten Jahrhunderte | |
von den Schauspielern Christian Czeremnych, Berit Jentzsch, Robert | |
Kuchenbuch, Susanne Schieffer und von 14 Kindern in altbackenen | |
Schulinformen aus der Sicht des immer erfolgreicher werdenden | |
Waffenproduzenten besungen. An anderer Stelle reinszeniert Christian | |
Czeremnych mit zwei samtgekleideten Jungen, deren Arme er wie Handpuppen | |
bedient, ein erfolgsträchtiges Verkaufsgespräch zwischen Kaiser Wilhelm und | |
Paul Mauser, dem Erfinder der „Bleispritze“. | |
Einmal exerziert Horst Kotterba den bürokratischen Prozess einer | |
Genehmigung für Waffenexport und er wechselt dabei zwischen den Rollen von | |
Waffenproduzenten, Leuten aus dem Bundeswirtschaftsministerium, dem | |
Bundesverteidungsministerium, dem Auswärtigem Amt und dem Land der | |
Schnurrbärte, bis es ihm die Korruption aus den Poren treibt: „Er hat doch | |
selber gesagt, dass es keinen Sinn macht, die korrupte Polizei mit Waffen | |
auszustatten, damit sie sich selbst bekämpft. Das habe ich gesagt? Kann ich | |
mir nicht vorstellen.“ | |
In Deutschland, denkt man sich, gibt es doch strenge Auflagen für den | |
Waffenexport. Das bestätigt sich in der enthusiastischen, aber endlosen | |
Rezitierung der Rechtslage durch Susanne Schieffer, die in ihrer | |
Ausführlichkeit kaum Luft zum Atmen und folglich wenig vorstellbaren Raum | |
für Korruption lässt. | |
## Feuerschlange in Mexiko | |
Wer sich näher mit Waffenexportpolitik und ganz konkret dem Fall des | |
schwäbischen Unternehmens Heckler & Koch beschäftigt, der stößt auf | |
ausführliche Zeit-Reportagen, die dem Fall einer unsauberen, aber | |
wirtschaftlich günstigen Exportgenehmigung nachgehen. So tauchten die | |
Waffen des Herstellers, die einem strengen Exportverbot unterliege, .auf | |
Bildern von IS-Soldaten auf oder 2011 im Zusammenhang mit einem | |
niedergeschossenen Aufstand in Teilen Mexikos. | |
In diesem Sinne ist „Feuerschlange“ ein Aufklärungsstück, das sich | |
dokumentarischen Materials bedient, sich allerdings einer abschließenden | |
Klärung der Verhältnisse verweigert. Vielmehr wandelt sich das Thema | |
Waffenherstellung in dieser Inszenierung von Dominic Friedel zur Frage nach | |
einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung jenseits von halblegalen | |
Exportverfügungen auf staatlicher Ebene. | |
Spätestens wenn 14 Kinder zu hiphoplastigen Takten immer wieder „A gun | |
doesn’t kill people – I kill people with a gun“ rappen und ihnen dabei die | |
Augen leuchten, fragt man sich, ab welchem Alter ein Verständnis für | |
Zynismus einsetzt. Warum macht es gefühlt einen Unterschied, ob ein | |
erwachsener Schauspieler oder minderjährige Laien mit erstaunlicher | |
Professionalität einen von Kugelsalven erzitternden Erschossenen spielen? | |
## Wenn Kinder die Moral verabschieden | |
Was passiert, wenn Kinder im Sprechchor grinsend die Moral verabschieden | |
und polemisch befinden, dass ein einzelner Mensch eh kaum Einfluss auf das | |
Weltgeschehen hat? Oder wenn Choreografin Berit Jentzsch den kleinsten | |
Mitspieler wie eine Puppe über die Bühne schwimmen lässt und das | |
zurückbleibende Körperhäufchen sofort an das virale Bild des angespülten | |
Kleinkindes erinnert? | |
Schwer verdaulich ist die Tatsache, dass hier Kinder eine Wirklichkeit | |
spielen, von der man naiverweise gedacht haben mag, dass sie nur Erwachsene | |
tangiert. Oder eben viel zu wenig tangiert. Braucht es erst ein | |
semipädagogisches Theaterstück, das einem in vierzehnfacher Ausführung die | |
Zukunft vor die Nase setzt, um sich bewusst zu werden, dass das kein | |
Infoabend zum Thema Waffen ist, sondern auch zum Thema Zukunft? | |
„Angenommen, wir wären Mütter“, fantasieren drei Mädchen abschließend am | |
Bühnenrand eine Version dessen, was Zukunft, aber genauso gut Gegenwart | |
sein könnte. Darin erschießt der eine radikalisierte Sohn den anderen | |
Bundeswehrsoldatensohn mit der heimisch produzierten Waffe in einem fremden | |
Land, aus dem der dritte Pflegesohn geflohen war. Der baut jetzt als | |
Praktikant beim größten Unternehmer im Ort die Waffen, denen er entkommen | |
wollte. | |
2 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Judith Engel | |
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