# taz.de -- Frankfurter Buchmesse: Lesen in einer politischen Welt | |
> Nun geht es los. Die Frankfurter Buchmesse verabschiedet sich vom | |
> ermüdenden Thema E-Book und setzt stärker aufs Politische. | |
Bild: In den Hallen der Frankfurter Messe soll es wieder politischer zugehen | |
„Wenn sich die Welt politischer darstellt“, sagt Juergen Boos, „spiegelt | |
sich das automatisch auf der Messe.“ Er muss es wissen, schließlich ist der | |
54-jährige Verlagsmanager aus Lörrach seit zehn Jahren Direktor der | |
Frankfurter Buchmesse. | |
Aber ist dem wirklich so? Denn: Zu einem erheblichen Teil lebt die Messe | |
vom Programm der Verlage und was sie daraus in Frankfurt auffahren. In den | |
vergangenen zehn Jahren, so Boos, habe man aber auch verstärkt gesagt: „So | |
sehen wir die Buchmesse nicht. Wir wollen das Programm stärker kuratieren.“ | |
Da gibt es zum einen den „Weltempfang“. Die Bühne zieht dieses Jahr sogar | |
in die zentrale Halle 3.1, um noch mehr deutschsprachiges Publikum zu | |
erreichen. Podiumsdiskussionen, Gespräche und Lesungen mit internationalen | |
Autoren, Intellektuellen und Übersetzern. In diesem Jahr heißt das Thema | |
„Grenzverläufe“. | |
Angedacht ist auch ein Gespräch des Friedenspreisträgers Navid Kermani mit | |
iranischen Schriftstellern. Der Iran hat jedoch vergangene Woche offiziell | |
seine Teilnahme an der Messe annulliert, aus Verärgerung über Salman | |
Rushdies Auftritt bei der Eröffnung. Wir dürfen darauf hoffen, dass | |
zumindest Amir Hassan Cheheltan, der in Berlin lebt, trotzdem zum Gespräch | |
mit Kermani anreist. | |
## Frankfurt Undercover | |
Außer dem Weltempfang gibt es da noch das Programm der dänischen Autorin | |
Janne Teller („Nichts“). Unter dem Decknamen „Frankfurt Undercover“ | |
veranstaltet die kosmopolitische Wahlberlinern seit zwei Jahren gemeinsam | |
mit der Frankfurter Buchmesse ein Treffen internationaler Autoren. Sie | |
diskutieren im Schutzraum „Autoren Lounge“, zu dem Presse und Publikum | |
keinen Zutritt haben – aber mit dem Ziel, auch jenen „ein Geschenk zu | |
machen“: ein Kompendium der Ideen. | |
Die Idee dahinter: Es sind sowieso viele Autoren auf der Messe, die nicht | |
auf Einladung eines Verlages kommen, um ein Buch zu promoten. „Wenn die | |
Autoren schon da sind, wollen sie ja vielleicht auch gesellschaftspolitisch | |
diskutieren“, hofft Boos. Das Thema ist dieses Jahr Extremismus. Ganz | |
bewusst in allen Ausprägungen, nicht bloß religiös. | |
Wenn Boos bescheiden anmerkt, dass die Verlage der Messe einiges vorgeben, | |
betreibt er aber auch Understatement: Jahre im Voraus laufen die | |
Förderungsprogramme an zur Übersetzung der Gastliteraturen – überhaupt nur | |
weil die Messe das Gastland wählt und die Verlage dann ihre Programme | |
entsprechend ausrichten. | |
## Sprachen, Spirit, Sex | |
Ein Riesenproblem bei Indonesien: Es gab kaum Übersetzer*innen für die | |
Amtssprache Bahasa Indonesia – für die rund 500 anderen Sprachen und | |
Dialekte erst gar nicht. Eine Handvoll Übersetzer war also komplett | |
ausgebucht. | |
Auffällig viele Frauen sind unter den prominenten Literaten Indonesiens. | |
Ayu Utami oder Laksmi Pamuntjak etwa. Beide sind Anfang vierzig, waren also | |
beim Wechsel in die junge Demokratie selbst noch ziemlich jung, als das | |
Militär abdankte. | |
Beide beschäftigen sich aber genau mit dieser Zeit: damit, was das für ihre | |
Eltern bedeutet hat; welche Leute warum verschwunden sind, etwa auf die | |
berüchtigte Gefängnisinsel vor der Südküste Javas; was es bedeutet, dass | |
ganze Landstriche umgesiedelt wurden; dass Sprachen unterdrückt wurden; | |
aber auch dass Militärs heute noch Schlüsselpositionen bekleiden. Das | |
erzählen die beiden durch die Perspektiven von Individuen – samt ihrer | |
Spiritualität und sogar Sexualität. Politisches trifft auf Privates. | |
## Goodwill der Gastländer | |
Die Messeleitung beschäftigt sich, auch im Dialog mit der aus der Messe | |
1980 entstandenen Litprom (Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus | |
Afrika, Asien und Lateinamerika) permanent mit „kleinen Literaturen“. Bei | |
Indonesien musste man feststellen, dass ganz wenig übersetzt war. | |
Die Auswahl des Gastlandes findet stets drei bis fünf Jahre im Vorfeld | |
statt. „Es ist ein schrittweiser Prozess“, sagt Boos: „Was kann spannend | |
sein? Wo liegt aber auch ökonomisch für die Verlage etwas drin?“ Indonesien | |
mit seinen 350 Millionen Menschen, deren Lesekultur noch groß im Kommen ist | |
– da lässt sich Potenzial wittern. | |
Aber auch der Goodwill der Gastländer ist gefragt – schließlich werden die | |
Auftritte in aller Regel von der Politik bezahlt. Jedes Gastland | |
verpflichtet sich zudem, ins Deutsche und in andere europäische Sprachen | |
übersetzten zu lassen. | |
## Leseräume für Flüchtlinge | |
Wenn man dieser Tage über Politik und Gäste redet, kommt man um Flüchtlinge | |
nicht herum. „Wir sind auch in der Lage, etwas für Flüchtlinge zu tun“, | |
sagt Boos. Beim Projekt „Fußball trifft Kultur“ gehe es der Messe ohnehin | |
schon ganzjährig um Lesespaß und Leseförderung bei Kindern, vielen davon | |
mit Migrationshintergrund. | |
Aus dieser Erfahrung heraus ist man zusammen mit Organisationen wie Pro | |
Asyl darangegangen, Flüchtlinge auf die Messe einzuladen. „Es geht aber | |
nicht darum, einfach Karten auszugeben“, so Boos, „sondern begleitet von | |
Leuten, die die Sprachen sprechen, in Gruppen zu Ständen zu gehen, die | |
interessant sein können.“ Außerdem sollen bald dauerhaft Leseräume | |
entwickelt werden, auch in Berlin. | |
Der Frankfurter Buchmesse geht es seit Jahren verstärkt ums Lesen als | |
Horizonterweiterung. Ein gesellschaftlich relevantes Unterfangen. „Das war | |
bei uns durch die Internationalität schon immer angelegt“, meint Boos. „Die | |
Messe war immer großer Anlass für Revolte. Die ökologische Debatte hat sich | |
extrem auf der Messe niedergeschlagen. Der Nachrüstungsbeschluss der Nato.“ | |
## Wellness passé | |
Er müsse aber zugeben, dass das in den Neunzigern etwas ins Schleifen kam: | |
„Da standen wir vielleicht sogar für die Wellness-Lesekampagne“ – wie sie | |
auch der Buchhandel zuhauf betreibt. | |
Vor zehn Jahren waren zwei Drittel deutsche Aussteller, ein Drittel | |
internationale. Heute ist es genau umgekehrt. Dass da Interaktion und | |
Friktion entstehen, ist programmiert: „Natürlich reiben sich die Türken | |
daran“, sagt Boos, „wenn dreißig Meter weiter ein kurdischer Stand ist.“ | |
Ähnliches gilt für China und Taiwan, Israel und Palästina. Dutzende | |
Beschwerden würden ständig an ihn herangetragen, „aber wir wollen, dass das | |
nebeneinander steht“, sagt Boos. Intellektuelles Eigentum, mit dem man auf | |
einer Messe handelt. Und Gesellschaftliches verhandelt. | |
14 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Stefan Hochgesand | |
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