| # taz.de -- Große Leseaktion: Ein Buch für Berlin? | |
| > In New York sollen ab März möglichst viele Menschen dasselbe Buch lesen. | |
| > Eine großartige Idee auch für Berlin, findet Kultursenator Lederer. | |
| Bild: Bücher gibt es genug, auch aus Berlin | |
| Sitzen sich zwei Leute in der U-Bahn gegenüber, einer hält ein Buch in der | |
| Hand. Sie kennen sich nicht. Und doch entspinnt sich eine Unterhaltung. | |
| Darüber, ob die Autorin die Geschichte spannend erzählt. Wie weit man schon | |
| gelesen hat. Ob es glaubwürdig ist, dass die Hauptfigur so handelt, wie sie | |
| handelt. | |
| So könnte es aussehen, wenn ein Buch zum Stadtgespräch wird. Was | |
| normalerweise sehr selten, und wenn, dann zufällig, passiert, ist in New | |
| York bald Programm: „One Book, One New York“ heißt die Aktion von | |
| Bürgermeister Bill de Blasio, bei der so viele StadtbewohnerInnen wie | |
| möglich parallel das gleiche Buch lesen und diskutierten sollen. Fünf Titel | |
| stehen zur Auswahl, über die die New Yorker diesen Monat online oder an | |
| digitalen Säulen auf den U-Bahnhöfen abstimmen können. Vom März an sollen | |
| die Menschen das Buch innerhalb von drei Monaten lesen. In der Stadt und | |
| bei öffentlichen Veranstaltungen können sich Interessierte dann darüber | |
| austauschen. | |
| Ein charmantes Projekt, auch für Berlin? Der Kultursenator jedenfalls wäre | |
| dabei. „Ich finde die Idee ganz großartig“, begeistert sich Klaus Lederer | |
| (Linkspartei) gegenüber der taz. „Wenn Lesen, ein Vergnügen, das man | |
| gemeinhin allein und für sich genießt, plötzlich stadtweite Plattform für | |
| den Austausch über und die unterschiedlichsten Sichten auf ein und dieselbe | |
| Geschichte ist, ist das ein faszinierendes Experiment.“ | |
| Auch im Literaturbetrieb käme so eine berlinweite Leseaktion gut an. | |
| „Bücher zum Stadtgespräch zu machen ist eine hervorragende Möglichkeit, um | |
| Menschen für das Lesen zu begeistern“, sagt Thomas Koch, Sprecher des | |
| Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Das Teilen von Leseerfahrungen | |
| boome seit Jahren – nicht zuletzt durch Social Reading, also den Austausch | |
| über Bücher im Netz. „Lektüre hat oft nicht nur eine kontemplative, sondern | |
| auch eine kommunikative Seite.“ | |
| Der Leiter des Internationalen Literaturfestivals Berlin, Ulrich Schreiber, | |
| findet die Idee ebenfalls „wunderbar“ und bietet gleich an, das | |
| Literaturfestival im September für so ein Projekt zu öffnen. Und auch | |
| Regula Venske von der Schriftstellervereinigung PEN könnte sich vorstellen, | |
| dass die PEN-Autoren sich mit Vorschlägen zur Lektüre oder mit Lesungen | |
| beteiligten. | |
| Doch es gibt auch Bedenken. Ursula Vogel, Leiterin des Literaturforums im | |
| Brecht-Haus, findet es zwar grundsätzlich gut, Menschen zum Lesen zu | |
| verführen. Aber sie warnt: „Das Projekt läuft auf eine gefährliche | |
| Kanonisierung eines oder weniger Titel hinaus.“ Der Vielfalt des | |
| Buchmarktes werde man damit nicht gerecht. Vogel sagt, schon die Long- und | |
| Shortlists der verschiedenen Buchpreise führten zu einer | |
| „unverhältnismäßigen Über- und Unterthematisierung“ mancher Bücher. | |
| Was genau würde man in Berlin überhaupt lesen wollen? Kultursenator Lederer | |
| hat spontan zwei Ideen: der Klassiker „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred | |
| Döblin oder, unkonventioneller, Tom Robbins „Pan Aroma“. Auch andere | |
| Vorschläge gäbe es genug (siehe rechts). | |
| In Frankfurt hat Verleger Klaus Schöffling ein ähnliches Projekt mit dem | |
| Titel „Frankfurt liest ein Buch“ bereits 2010 ins Leben gerufen. Dort | |
| werden nur Werke in Betracht gezogen, „deren Inhalt hauptsächlich die Stadt | |
| Frankfurt behandeln“, berichtet Mitorganisator Lothar Ruske. Bisher | |
| entschied sich der veranstaltende Verein meist für Romane, einmal auch für | |
| ein Sachbuch. Die Werke müssen keine Neuerscheinungen sein. In Frankfurt | |
| finden von Ende April an zwei Wochen lang rund 90 Veranstaltungen zum im | |
| Schöffling-Verlag erschienenen Roman „Benjamin und seine Väter“ von Herbe… | |
| Heckmann statt: Lesungen seien geplant, Podiumsdiskussionen, | |
| Stadtspaziergänge auf den Spuren des Protagonisten oder des Autors, | |
| Veranstaltungen in Schulen, berichtet Ruske. Der Eintritt sei weitgehend | |
| frei, das Projekt werde von der Stadt gefördert. „Es gibt auch vier | |
| Lesungen in privaten Wohnzimmern von Interessierten“, erzählt Ruske. Im | |
| Schnitt kämen pro Jahr rund 12.000 FrankfurterInnen zu den Veranstaltungen | |
| – das sind 1,6 Prozent der Bevölkerung. | |
| In New York geht die Initiative nicht auf einen Verlag zurück, sie Sache | |
| wird größer aufgezogen: Dort hat sich die Stadtverwaltung die Idee zu eigen | |
| gemacht, der Bürgermeister selbst ruft die New Yorker auf, sich zu | |
| beteiligen und zu lesen. | |
| 2002 war eine ähnliche Aktion gescheitert, weil sich die Organisatoren auf | |
| keinen Titel einigen konnten. Das will die Stadt mit dem jetzigen | |
| Abstimmungsprozedere auf jeden Fall vermeiden. Zur Auswahl stehen der mit | |
| dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Roman „Ein Baum wächst in Brooklyn“ von | |
| Betty Smith, „Americanah“ der Autorin Chimamanda Ngozi Adichie, „Das kurze | |
| wundersame Leben des Oscar Wao“ von Junot Díaz, „Zwischen mir und der Welt… | |
| von Ta-Nehisi Coates und die Satire „The Sellout“ von Paul Beatty. | |
| 14 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Antje Lang-Lendorff | |
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