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# taz.de -- Friedenspreis für Autor Navid Kermani: Weil ich niemandem gehöre
> Mutig und immerzu kritisch – so schreibt Navid Kermani. Am Sonntag erhält
> der Schriftsteller den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Bild: Pathos, aber im richtigen Maß, das ist der spezielle Sound von Navid Ker…
Da war zunächst ein Grummeln, ein leises. Als Navid Kermani Mitte Juni der
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zuerkannt wurde, rümpfte der eine
oder die andere Literaturkritikerin, unter der Hand meist, leicht die Nase:
Navid Kermani, gerade mal 47 Jahre alt, soll nun also in den irgendwie
deutschen Olymp der weisen Männer und Frauen aufgenommen werden?
Auf einer Stufe mit Jürgen Habermas, Saul Friedländer, Martin Walser, Max
Frisch, Hermann Hesse und Astrid Lindgren – um nur ein paar zu nennen (und
weglassend alle Laudatoren, die zum Teil noch größere Intellektuelle waren,
wie etwa Hannah Arendt)? Trägt denn sein Œuvre diese hohe Auszeichnung?
Sollte der Preis nicht eher denen gelten, die noch mehr geschrieben, noch
länger gewirkt und noch tiefer geschöpft haben als der Reporter, Publizist,
Orientalist und Autor Navid Kermani, dessen Werk so schwer auf eine Formel
gebracht werden kann?
Nun, die Grummler hatten die Entscheidung – Gott sei Dank – nicht zu
treffen. Aber interessant ist ihr Zögern und Zweifeln schon. Denn es
erzählt etwas, vielleicht das Beste, was über Kermani zu sagen ist: Der
deutschiranische Schriftsteller lässt sich nicht gern vereinnahmen und auf
einen Punkt bringen. Die Weite seines Werks hat etwas Spielerisches,
Experimentelles, vielleicht sogar Anarchisches.
„Ihr kriegt mich nicht!“, hört man ihn im Geiste rufen, „niemandem gehö…
ich.“ Und hätte es in der deutschen Übersetzung nicht schon etwas Schales,
müsste man ihn Pontifex maximus, Oberster Brückenbauer nennen – das wäre,
klar, eine Anmaßung, denn dieser päpstliche Titel steht ihm nicht zu. Aber
sein Werk wäre damit, ziemlich vage noch und auch leicht gewagt, recht gut
beschrieben.
## Einer, der etwas wagt
„Pontifex maximus“ spiegelt den religiösen Hintergrund, die historische
Tiefe und das große Selbstbewusstsein wider, ohne die das Schreiben und
Denken Kermanis nicht zu verstehen sind.
Dass Brücken verbinden und ihre Erbauer zu loben sind, ist ein alter Hut –
doch wie viel Können, Mut und Verantwortungsbereitschaft liegen zugleich
darin, und alle drei träfen ebenfalls auf die öffentlichen Interventionen
und die Texte Kermanis zu. Hier ist ein Schriftsteller, der etwas wagt,
auch das Unfertige, Rohe, Tastende.
Ein im besten Sinne public intellectual, der sich einmischt in die
politische und gesellschaftliche Debatte – was leider hierzulande sehr viel
seltener vorkommt als in der angelsächsischen oder frankofonen Welt.
Da war zum Beispiel die Rede Kermanis im Deutschen Bundestag anlässlich
einer Feierstunde zum 65. Jahrestag der Verabschiedung des Grundgesetzes im
Mai vergangenen Jahres. Es gehört schon einiges dazu, vor der versammelten
politischen Elite des Landes, einschließlich Bundeskanzlerin und
Bundespräsident, die Reform des Asylrechts, 1993 aus Angst vor quasibraunen
Horden vollzogen in einer Art vorgezogenen großen Koalition, heute als eine
„Verstümmelung“ der Verfassung und eine „Entstellung“ des so schönen …
schlichten Artikels 16 (“Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“) zu
beschreiben.
## „Danke, Deutschland!“
In der gleichen Rede prophezeite Navid Kermani mit sanfter Stimme und in
Anwesenheit des iranischen Botschafters, den er auch kurz erwähnt, dass es
innerhalb von 15 Jahren in einem frei gewählten Parlament in Teheran
ebenfalls eine Rede eines Neubürgers fremder Herkunft geben werde – so wie
er als Sohn persischer Eltern nun im Bundestag rede. Und mit dem gleichen
Mut, mit einer Spur Anmaßung und mit der Lust an der Provokation schloss er
seine Rede im Namen aller eingewanderten Menschen, ausdrücklich auch der
Muslime, mit dem Ausruf: „Danke, Deutschland!“
Das Ganze hätte vielleicht etwas Peinliches gehabt, hätte Kermani nicht in
seinem Duktus, in seiner Wortwahl, aber auch schlicht als Persönlichkeit
etwas Authentisches, Unangepasstes und Originelles, das seinen Worten einen
anderen, ungewohnten Klang gibt. Man spürt bei ihm in jeder Zeile, dass er
als Kosmopolit aus mindestens zwei reichen Kulturen, Philosophien und
Religionen schöpft, der deutschiranischen sowie der
christlich-muslimischen, die er als Bildungsbürger zu verbinden versteht.
Dabei atmen die Schriften Kermanis neben Autorität auch
Differenzierungsfähigkeit: „Toleranz kann überhaupt nur Bedeutung haben,
wenn etwas gilt, das etwas anderes gelten lassen könnte. Wenn alles gleich
gut und gleich gültig, also gleichgültig ist, erübrigt sich Toleranz“,
schreibt er.
Dieses originelle und weit ausholende Schreiben wird auch in seinem neuen
Werk, „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“ (C. H. Beck, 2015) sehr
schön deutlich. Das Titelwortspiel kann nicht verhehlen, dass da jemand
schreibt, der der Religion des Abendlandes mit viel Sympathie, ja
stellenweise mit Liebe entgegentritt – und das, gerade weil er familiär
eher vom Morgenland und dem Koran geprägt ist. Kermani sieht das
Christentum und namentlich den üppigen Katholizismus mit seiner Bilderwelt,
Leiblichkeit und Farbenpracht mit offenen, dennoch immer noch distanzierten
Augen an. Es ist aber gerade dieser bleibend distanzierte Blick, der das
Altbekannte wieder neu erscheinen lässt.
## Das Sichabarbeiten an der Religion
Seine Meditation „Gott II“ in dem Buch „Ungläubiges Staunen“ etwa, üb…
Jesu Mutter Maria und Stefan Lochners „Muttergottes in der Rosenlaube“, um
1450 gemalt, ist ein kleines Juwel der Essaykunst, Ausdruck einer
Meisterschaft Kermanis, mit der er immer wieder zunächst Unverbundenes
verbindet: Kunstgeschichte, Theologie, Philosophie und Psychologie.
Ein Zitat: „Wenn der Größte Meister des Sufismus behauptet, dass die
Anschauung Gottes in der Frau vollkommen sei, geben ihm die Bilder der
Christen recht. Nie ist es gelungen, den Vater auch nur halbwegs glaubhaft
zu malen … Die Mutter hingegen, obwohl sie eine Mutter ist, Behüterin,
Ernährerin, Erzieherin, zieht als das Weibliche noch auf jeder
Andachtspostkarte hinan … Auch uns soll sie Schwester und Freundin und ein
wenig sogar Geliebte sein.“
Das ist der typische Kermani-Sound. Und es ist Pathos, ein Pathos, das im
öffentlichen politisch-kulturellen Diskurs der (Post-)Postmoderne eher
unüblich ist. Das kann einem manchmal bei Navid Kermani ein wenig auf den
Geist gehen, auch wenn dieses Pathos oft durch Ironie gebrochen wird.
In manchen Momenten gleicht Kermanis Spielen mit Ironie und Pathos der
Methode von Sören Kierkegaard, mit dem er nicht nur einen gewissen Hang zur
Romantik teilt, sondern auch die Liebe für und das Sichabarbeiten an der
Religion. Es ist auch kein Zufall, dass Kermani ein großer Bewunderer
Hölderlins ist, den er in einer sehr eleganten Wendung als „Sufi der
deutschen Literatur“ bezeichnet hat.
## Er kann das Kreuz nicht akzeptieren
Überhaupt: Religion. Bei keinem anderen Thema scheint Kermani so bei sich
zu sein wie auf diesem Feld. Es war ein großes Missverständnis Karl
Kardinal Lehmanns, dass er Kermani vor sechs Jahren eine Weile für
ungeeignet hielt, mit ihm zusammen (und Peter Steinacker sowie Salomon
Korn) den Hessischen Kulturpreis zu erhalten. Der Bischof von Mainz und
langjährige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, intellektuell und
belesen, stieß sich seinerzeit unter anderem an einer „Bildansicht“
Kermanis zur Kreuzigung von Guido Reni in der Neuen Zürcher Zeitung.
Das ist umso erstaunlicher, als dieser Text Kermanis, genau gelesen, doch
sehr fromm daherkommt: „Gewiss stößt mir die Lust, die katholische
Darstellungen seit der Renaissance an Jesu Leiden haben, auch deshalb so
auf, weil ich es von der Schia kenne und nicht kenne“, hatte Kermani
geschrieben. „Für mich aber ist das Kreuz ein Symbol, das ich theologisch
nicht akzeptieren kann, akzeptieren für mich, meine ich, für die Erziehung
meiner Kinder. Andere mögen glauben, was immer sie wollen; ich weiß es ja
nicht besser. Ich jedoch, wenn ich in der Kirche bete, was ich tue, gebe
acht, niemals zum Kreuz zu beten. Und nun saß ich vor dem Altarbild Guido
Renis in der Kirche San Lorenzo in Lucina und fand den Anblick so
berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden
wäre. Erstmals dachte ich: Ich – nicht nur: man –, ich könnte an ein Kreuz
glauben.“
## Ein guter Essayist
Diese Aufgeschlossenheit scheint schon in der Familientradition zu liegen.
Navid Kermanis Großvater, den er oft erwähnt, soll seinen Gebetsteppich
gern in Kirchen ausgerollt haben – er war von der muslimischen
Sufi-Tradition geprägt und Mitglied eines Derwisch-Ordens. Da nimmt es auch
nicht wunder, dass Kermani Passagen des umstrittenen Reni-Textes in eine
Meditation über ein anderes Kreuz, ein Stahlkreuz von Karl Schlamminger, in
sein neues Werk, „Ungläubiges Staunen“, wieder aufgenommen hat. Auch hier
passt das Geschriebene noch.
Das mag daran liegen, dass gerade die Essays von Kermani trotz ihrer
Zeitgebundenheit auch nach Jahren immer noch frisch wirken – weil sie gut
durchdacht sind und Überzeitliches behandeln.
Ein Beispiel ist der furiose Debattentext, [1][den Kermani in der
Süddeutschen Zeitung vor drei Jahren auf dem Höhepunkt der
Beschneidungsdebatte geschrieben hat], nach einem einschneidenden Urteil
des Landgerichts Köln, das die religiös motivierte Beschneidung
muslimischer und jüdischer Jungen als Körperverletzung ins Unrecht stellte.
Kermani donnerte dagegen: „Wenn ein Gottesgebot nicht mehr als Hokuspokus
ist und jedweder Ritus sich an dem Anspruch des aktuell herrschenden Common
Sense messen lassen muss, wird die Anmaßung eines deutschen Landgerichts
erklärbar, mal eben so im Handstreich viertausend Jahre Religionsgeschichte
für obsolet zu erklären.“
## Kant fürs 21. Jahrhundert
Zugleich holte Kermani mal kurz zum Grundsätzlichen aus – und ergänzte, als
könne man das in Stein meißeln: „Aufklärung ist etwas anderes. Aufklärung,
wie sie gerade auch die deutsche Philosophie gelehrt hat, würde heißen, die
eigene Weltanschauung zu relativieren und also im eigenen Handeln und Reden
immer in Rechnung zu stellen, dass andere die Welt ganz anders sehen: Ich
mag an keinen Gott glauben, aber ich nehme Rücksicht darauf, dass andere es
tun; uns fehlen die Möglichkeiten, letztgültig zu beurteilen, wer im Recht
ist. Aufklärung ist nicht nur die Herrschaft der Vernunft, sondern zugleich
das Einsehen von deren Begrenztheit. Der Vulgärrationalismus hingegen, der
sich im Urteil des Kölner Landgerichts ausdrückt, setzt den eigenen, also
heutigen Verstand absolut.“
Das ist, wie bei Kermani etwas pathetisch und überspitzt gesagt, Kant fürs
21. Jahrhundert. In einer Zeit, da die Religion, weltweit gesehen, im Guten
wie im Schlechten wieder so mächtig ist wie in den letzten 200 Jahren nicht
mehr, verfügt Kermani über eine der Stimmen, denen es gelingt, Brücken zu
bauen zwischen dem Paradies der Religion und der Welt der Aufklärung.
Dieser Autor ist, religiös gesprochen, ein Segen für die deutsche
Gesellschaft. Er vermag es, Frieden zu schaffen zwischen Sphären, die sich
scheinbar widersprechen. Insofern ist Navid Kermani ein würdiger Träger des
Friedenspreises des Deutschen Buchhandels.
16 Oct 2015
## LINKS
[1] http://www.sueddeutsche.de/kultur/debatte-ueber-beschneidungen-triumph-des-…
## AUTOREN
Philipp Gessler
## TAGS
Navid Kermani
Religionskritik
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Berlin
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