| # taz.de -- Indonesischer Literaturbetrieb: Comics als Einstiegsdroge | |
| > Im Herbst ist Indonesien Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Ein | |
| > Streifzug durch die vielen Lesekulturen der 17.000 Inseln. | |
| Bild: Ein Flohmarkt in Jakarta: Zwei Studenten auf der Suche nach neuem Lesesto… | |
| Der warme Regen prasselt in unerbittlicher Heftigkeit auf Makassar herab. | |
| Moped- und Rikschafahrer flüchten in Unterstände am Straßenrand. Autofahrer | |
| halten an. Blitzschnell stehen Fußwege und Fahrbahnen unter Wasser. | |
| Fröhlich kommentieren Passanten das Geschehen. Einige holen sich ein | |
| Softgetränk in einem Laden. Andere spielen im Trockenen auf ihren | |
| Smartphones oder schauen und warten einfach ab. | |
| Eine halbe Stunde später und die sintflutartigen Regenschauer in der | |
| südsulawesischen Metropole sind schon vorbei. Die äquatoriale | |
| Nachmittagssonne regiert wieder über Makassar. Die Temperaturen in der | |
| Eineinhalb-Millionen-Metropole von Südsulawesi liegen jetzt bei etwa 30 | |
| Grad, die Luftfeuchtigkeit erreicht gefühlte 99 Prozent. | |
| Makassar auf der Insel Sulawesi liegt zweieinhalb Flugstunden von der | |
| indonesischen Hauptstadt Jakarta auf Java entfernt. 2011 gründete Lily | |
| Yulianti Farid hier zusammen mit anderen und privaten Geldgebern das | |
| [1][Makassar International Writers Festival]. Viele der Unterstützer | |
| stammen aus Jakarta. Gelesen, diskutiert und musiziert wird über mehrere | |
| Tage hinweg auf dem Gelände der restaurierten holländischen Festung Fort | |
| Rotterdam am alten Hafen von Makassar. | |
| Erklärtes Ziel des Festivals ist es, die Provinzen des 17.000 Inseln | |
| umfassenden indonesischen Archipels kulturell gegenüber dem javanesischen | |
| Zentrum und Jakarta zu stärken. Denn Kultur- wird vom indonesischen Staat | |
| zuerst als Bildungspolitik verstanden. Öffentliche Theater-, Kunst-, | |
| Konzert- oder Literaturhäuser sind kaum existent, private Stiftungen | |
| existieren vor allem auf Java. Künstlerische Produktionen erscheinen als | |
| privater Luxus, deren Klassencharakter man nur durch eine kluge | |
| Organisierung wie sie Lily Yulianti Farid betreibt, entgegnen kann. | |
| ## Ein literarisches Entwicklungsland | |
| Auf dem Makassar Writers Festival moderiert die Festivaldirektorin im Juni | |
| eine Diskussion zwischen John McGlynn und Leila S. Chudori. Vor allem | |
| Studenten haben sich eingefunden, darunter viele lebenslustige junge Frauen | |
| mit Kopftuch, auch einige Ausländer. McGlynn lebt seit 35 Jahren in | |
| Indonesien, ist ein amerikanischer Literaturvermittler, Chudori eine der | |
| prominenten indonesischen Gegenwartsautorinnen. Ihr Thema heute: „Promoting | |
| Asian Literature to the World“. | |
| McGlynn kommt schnell zum Punkt, hebt auf die Bedeutung staatlicher Förder- | |
| und Übersetzungsprogramme ab: „Vom Idealismus alleine“, so sagt er, „kö… | |
| wir nicht leben, wir müssen mit unserer Arbeit auch Geld verdienen.“ Das | |
| sieht Leila Chudori kaum anders. Ihr Roman „Pulang“ erscheint bald auf | |
| Deutsch. Indonesien ist im Oktober Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. | |
| Chudori erhofft sich vor allem, dass der Auftritt Indonesiens in Frankfurt | |
| Rückkopplungseffekte erzeuge, damit eine „vom Staat geförderte Struktur für | |
| die einheimische Literatur“ entstehe. Literarisch betrachtet, ist | |
| Indonesien eher Entwicklungsland, mündliche und musikalische Traditionen | |
| dominieren neben TV und digitalen Medien die Alltagskulturen. | |
| Es sind vor allem Frauen wie Chudori, die nun als Schriftstellerinnen nach | |
| Frankfurt drängen. Chudoris Roman „Pulang“ verknüpft die 1965 einsetzende | |
| massive Kommunistenverfolgung unter dem Suharto-Regime mit der jüngeren | |
| Demokratiebewegung von 1998. Auch andere Schriftstellerinnen wie Ayu Utami | |
| oder Laksmi Pamuntjak thematisieren in ihren Romanen das Jahr 1965, Trauma | |
| und Epochenbruch des jungen Indonesiens. | |
| Eine Million Menschen wurden damals als (vermeintliche) Kommunisten | |
| ermordet. Gräueltaten, die alles in den Schatten stellen, was das | |
| Inselreich vor seiner Unabhängigkeit 1949 erlebt hat. Indonesien ist heute | |
| „frei“, doch so wie man einer der Religionen angehören muss, steht neben | |
| Atheismus auch Kommunismus unter Strafe. „Alles, was kommunistisch ist“, so | |
| Chudori, „ist laut Verfassung verboten.“ | |
| ## Jokowi, ein authentischer Demokrat | |
| Dabei sitzt im Präsidentenpalast von Jakarta seit November 2014 mit Joko | |
| Widodo einer, dem der Ruf eines indonesischen Barack Obama anhaftet. Er | |
| gilt als „authentischer“ Demokrat. Im Kampf gegen die Korruption hat er | |
| sich als Bürgermeister von Surakarta und als gewählter Gouverneur des | |
| Hauptstadtdistrikts Jakarta einen Namen gemacht. 2014 trug ihn eine | |
| Wählerbewegung im Geiste der „Reformasi“ von 1998 ins Präsidentenamt. Beim | |
| Empfang deutscher Journalisten im Juni in Jakarta wirkt er ungezwungen, | |
| lässt sich populär mit dem Spitznamen Jokowi ansprechen. Deutschland kenne | |
| er von Reisen als Unternehmer zur Kölner Möbelmesse. | |
| Assistiert von Kultur- und Bildungsminister Anies Baswedan wirbt Widodo um | |
| Verständnis für die junge indonesische Nation. Mit 250 Millionen Menschen | |
| repräsentiere man die viertgrößte Staatsbevölkerung der Welt und die größ… | |
| mit islamischer Bevölkerungsmehrheit. Doch die geografische Zerklüftung in | |
| über 17.000 Inseln, Hunderte verschiedene Sprach- und Kulturtraditionen | |
| brächten Eigenheiten mit sich. Die Amtssprache, Bahasa Indonesia, ist für | |
| viele nur die Zweitsprache. | |
| Doch Jokowis Obama-Bild hat in der Öffentlichkeit bereits Risse bekommen. | |
| Eine Staufahrt durch den Großraum Jakarta, vorbei an gigantischen | |
| Shoppingmalls, in den Himmel wachsenden Wohnsilos, riesigen Slums oder vor | |
| sich hinrottenden alten Kolonialanlagen und funktionsuntüchtigen | |
| Kanalsystemen lassen soziale und ökologische Abgründe erahnen, die kein | |
| Präsident in kurzer Amtszeit lösen kann. Doch Jokowi, sagt Buchautorin | |
| Christina Schott (“Länderporträt Indonesien“, C. H. Links, 2015), habe vor | |
| den Wahlen versprochen, gegen die Korruption vorzugehen. | |
| Genau daran drohe er nun zu scheitern, befürchtet die in der alten | |
| javanischen Kulturmetropole Yogyakarta lebende deutsche Journalistin. Der | |
| im Volk beliebte Präsident habe in Parteien und Staatsapparat keine | |
| wirkliche Hausmacht, sei zu Kompromissen verdammt. Auch die kürzliche | |
| Vollstreckung der 14 Todesurteile gegen teils ausländische Drogenhändler | |
| sieht sie in diesem Zusammenhang. | |
| ## Mit der Scharia auf Kriegsfuß | |
| Die indonesische Journalistin und Autorin Linda Christanty spricht in | |
| Jakarta über die Gefahr durch neue religiöse Fundamentalismen. Die | |
| zierliche aber resolute Frau gründete das unabhängige Medienportal „Aceh | |
| Feature“, als sich keiner ihrer Kollegen mehr in die Bürgerkriegsprovinz | |
| traute. „Ich bin Muslimin, aber ich unterstütze keinen islamischen Staat,“ | |
| so ihre Haltung. Kopftuch trägt sie nicht. | |
| Die Einführung der Scharia-Gesetzgebung in der seit dem Friedensabkommen | |
| halbautonomen Provinz Aceh bezeichnet sie als faulen Kompromiss von | |
| Zentralregierung und islamistischen Separatisten. Beide Seiten könnten so | |
| die begangenen Kriegsverbrechen verdecken. Christanty schreibt auch über | |
| die Punkszene in Aceh, die mit der Scharia auf Kriegsfuß steht. | |
| Goenawan Mohamad ist die graue Eminenz der indonesischen | |
| Intellektuellenszene und verantwortlich an der Spitze des Komitees für den | |
| Ehrengastauftritt in Frankfurt. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift Tempo, | |
| die unter Suharto einige Jahre in den Untergrund ausweichen musste. Mit | |
| Präsident Jokowi sowie dem neuen kämpferischen Gouverneur von Jakarta, | |
| Basuki Tjahaja Purnama, sieht er nun die Chance auf eine „Revitalisierung“ | |
| der Hauptstadt. Die Stadt baut an einem Metronetz und auch den Holländern | |
| habe man nach 70 Jahren Unabhängigkeit verziehen. Der vollkommen zerfallene | |
| koloniale Stadtkern Jakartas (vormals Batavia) wird teilweise restauriert. | |
| Mohamad setzt auf die Veränderung des Politischen durch Kultur. Er war auch | |
| an der Gründung des unabhängigen Kulturzentrums Salihara 2008 in Jakarta | |
| beteiligt. Die auch in ihrem Modernismus architektonisch (à la Lina Bo | |
| Bardi) beeindruckende Kulturoase im Moloch Jakarta bietet sämtlichen | |
| Kunstsparten Spiel- und Produktionsstätten – Café, Shop, begrünter | |
| Dachgarten und Mülltrennung inklusive. | |
| Zurück in der fröhlichen Hafenstadt Makassar in Südsulawesi: ein Motorboot | |
| bringt in tropischer Hitze Besucher des Writers Festival zu einer der Stadt | |
| vorgelagerten, kleinen und dicht besiedelten Fischerinsel. Direktorin Lily | |
| Yulianti Farid will dem Festivalpublikum zeigen, was Alltagskultur in | |
| Sulawesi oft ist. Meer, Palmen, Ziegen. Immerhin legt hier auf der Insel | |
| vor Makassar regelmäßig das Literaturboot an – eine schwimmende Bibliothek, | |
| privat gesponsert. Als Einstiegsdroge für die Dorfjugend in die | |
| literarischen Welt gelten Comics. Ein Junge und ein Mädchen treten zum | |
| Gedicht-Battle an. Das Publikum erklärt am Ende beide zu Siegern. | |
| 23 Jun 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=zx7N8tvxFIo | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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