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# taz.de -- Umstrittener Gouverneur in Indonesien: Der andere Kampf um Jakarta
> Islamisten mobilisieren wieder gegen Jakartas christlichen Gouverneur.
> Doch einige Bewohner der Hauptstadt haben reale Probleme mit ihm.
Bild: Dhama Diani in den Trümmern des Kampung Akuarium
JAKARTA taz | Das Viertel Kampung Akuarium im Norden der indonesischen
Hauptstadt Jakarta ist ein Schutthaufen. Auf den Trümmern ehemals einfacher
Häuser sind notdürftig Hütten errichtet. Dazwischen nur eine kleine Moschee
und ein Versammlungszelt. Hier wohnten bis April 380 Familien, darunter
Fischer und Hafenarbeiter, in einfachen Verhältnissen. Heute harren hier
noch 119 Familien im Schutt aus.
„Ich bin hier geboren“, sagt die 40-jährige Dhama Diani. Die gläubige
Muslima handelt mit Gasflaschen und ist Sprecherin der Bewohner hier: „Am
11. April haben uns 4.000 Polizisten mit Gewalt aus unseren Häusern geholt
und sie sofort abgerissen.“
Seitdem hassen sie in Kampung Akuarium Jakartas Gouverneur Basuki Tjahaja
Purnama, den alle Ahok nennen. Am Eingang des Viertels steht in roter
Farbe: „Ahok und seine Cronies: Verschwindet!“ Ein handgemaltes Plakat
zeigt ihn gar an einem Galgen hängend.
Die Bewohner seien erst zwei Wochen vor der Räumung informiert und dann als
illegal beschimpft worden, sagt Dhama. Dabei hätten sie für ihre Gebäude
auf staatlichem Boden stets Steuern gezahlt.
Sie sähen ja ein, dass für die weitere Entwicklung der Hauptstadt auch
Menschen umgesiedelt werden müssten, sagt Dhama. Aber: „Die Stadtregierung
hat uns belogen. Uns wurden Ersatzwohnungen versprochen, die es nicht gab
oder die zu weit entfernt waren.“
Was hier genau geplant sei, wisse sie nicht, behauptet Dhama,
wahrscheinlich ein Einkaufszentrum. Die Bewohner zeigen ihren
Alternativentwurf mit kleinteiliger Bebauung aus Stadthäusern und
Grünflächen.
Gouverneur Ahok, ein früherer Unternehmer, gilt als unkonventionell, steht
für gesellschaftliche Toleranz und gab sich bisher stets bürgernach. Er
punktet vor allem in Jakartas Mittelschicht damit, dass er schmutzige Ecken
und stinkige Kanäle säubern lässt und so die Lebensqualität steigert. Dabei
kooperiert er mit Immobilienfirmen, die zum Teil Chinesen gehören. Dhama
unterstellt dem chinesischstämmigen Ahok Kungelei.
Dabei hätten bei der letzten Gouverneurswahl in Kampung Akuarium sogar 90
Prozent für Joko „Jokowi“ Widodo und seinen damaligen Stellvertreter Ahok
gestimmt. Diese galten als Reformer und hätten gar schriftlich versprochen,
keine Viertel zu räumen.
Jokowi wurde 2014 Präsident Indonesiens, worauf Ahok zum Gouverneur der
Hauptstadt aufrückte – doch seitdem stelle er sich den Menschen hier
gegenüber taub, klagt Dhama.
## „Niemand hat uns geholfen“
Auch sonst hätte sich kaum jemand für die Bewohner von Kampung Akuarium
interessiert: „Niemand hat uns geholfen, keine Abgeordneten, nicht der
Islamrat und nicht die Menschenrechtskommission,“ klagt Dhama.
Der 52-jährige Ahok ist nicht nur chinesischer Abstammung, sondern auch
noch Christ. Bis Ende September war er wegen seiner unkonventionellen
Amtsführung einer der beliebtesten Politiker im Land mit der größten
muslimischen Bevölkerung der Welt. Bei den Wahlen am 15. Februar will er
sein Amt verteidigen.
Doch nun mobilisieren Islamisten massiv gegen ihn, weil er angeblich den
Koran beleidigt hat. Ahok hatte moniert, dass manche den Koran für
politische Zwecke gegen ihn missbrauchten. Ein Handyvideo von seiner Rede
wurde manipuliert und sorgte dann in den sozialen Medien für Aufregung.
Ahok hat sich längst entschuldigt, aber die Justiz ermittelt jetzt wegen
Blasphemie gegen ihn. Ahoks politische Konkurrenz, die bisher chancenlos
war, paktiert nun mit den Islamisten. Diese mobilisieren für diesen Freitag
erneut zum Massenprotest nach dem Mittagsgebet im Zentrum der Stadt.
Schon am 4. November demonstrierten bis zu 200.000 Menschen gegen Ahok.
Nachdem es am Ende zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam,
sagte Präsident Jokowi sogar eine geplante Australien-Reise ab.
Keine Transparenz und Bürgerbeteiligung
Laut dem Rechtshilfeinstitut LBH sind unter Ahok in Jakarta bereits mehr
als 8.000 Menschen zwangsvertrieben worden – oft ohne Entschädigung.
Transparenz und Bürgerbeteiligung sind in Jakarta offenbar Fremdworte
geblieben.
„Die Einzigen, die uns bisher geholfen haben“, sagt Dhama, „sind die
Islamisten.“ Ausgerechnet.
1 Dec 2016
## AUTOREN
Sven Hansen
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Schwerpunkt Islamistischer Terror
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