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# taz.de -- Hochwasser in Indonesien: Beton für die Armen
> In Jakarta wird eine Mauer gegen Überschwemmungen gebaut. Das trifft vor
> allem die Armen. Sie fühlen sich von Gouverneur Ahok verraten.
Bild: Weggebaggert: Seit September lässt die Stadtverwaltung die Häuser der �…
JAKARTA taz | Auf der massiven Betonmauer stehen Schuhe zum Trocknen. Ein
paar Meter weiter hängen feuchte Bettdecken über dem grauen Ungetüm. Über
Bukit Duri, der Armeleutesiedlung in Jakarta, war am Tag zuvor ein schwerer
Wolkenbruch niedergegangen. Im Nu standen die ärmlichen Häuser und Hütten
der indonesischen Hauptstadt, unter Wasser. Nicht etwa, weil der Ciliwung
über die Ufer getreten war. Das verhinderten die Betonmauern, die an beiden
Ufern des Flusses hochgezogen werden. Aber der Beton blockiert auch das
Ablaufen des Regenwassers in den Ciliwung.
„Die Überschwemmung ist furchtbar“, sagt Fendi. Vor dem Haus des
48-Jährigen steht auch einen Tag nach dem Regen das Wasser noch
knöcheltief. Mit einem Plastikeimer schöpft Fendi, der wie viele Indonesier
nur einen Namen hat, die braune Brühe weg. Dann zeigt er auf die dicke
Schlammschicht vor seinem Haus. „Früher konnten wir den Schlamm einfach in
den Ciliwung schaufeln. Wegen der Mauer geht das nicht mehr.“
Das Haus von Fendi war schon einmal größer. Den vorderen Teil hat die
Stadtverwaltung von Jakarta aber zusammen mit vielen anderen Häusern am
Flussufer im Namen des Hochwasserschutzes am 28. September 2016 abreißen
lassen. Platz musste her für die Mauer und den noch zu betonierenden
Schlammweg davor.
„Wir hab gegen den Abriss geklagt. Aber Gouverneur Ahok ließ noch während
des Gerichtsverfahren abreißen“, sagt Sandyawan Sumardi, der Kopf der
Bürgerinitiative Ciliwung Merdeka bei einem Spaziergang durch Bukit Duri.
Der Name der Initiative ist Programm. Das indonesische Wort Merdeka
bedeutet so viel wie „Freiheit“ oder „Unabhängigkeit“.
## Ahok will Gouverneur bleiben
Eigentlich ist Basuki Tjahaja Purnama, den sie hier alle nur Ahok nennen,
beliebt. Er ist seit 2014 Gouverneur des für Indonesiens wichtigen
Distrikts Jakarta – und er will es bleiben. Seine Chancen bei der Stichwahl
am 19. April stehen gut, obwohl Ahok als Christ und ethnischer Chinese zur
Zielscheibe von Islamisten geworden ist. Ihr Credo: Kein Ungläubiger darf
Muslime regieren.
Trotzdem erhielt Ahok schon in der ersten Runde der Gouverneurswahl im
Februar auf Anhieb 43 Prozent der Stimmen. Zweitplatzierter wurde der
moderate Muslim Anies Baswedan. Islamistenparolen prallen bei der Mehrheit
der muslimischen Mittelklassewähler ab. Sie stimmen für den Macher Ahok.
Doch mit der „Flussnormalisierung“ stößt der 50-Jährige die Armen vor den
Kopf.
Sie haben bei der ersten Runde der Gouverneurswahl mehrheitlich für seinen
Konkurrenten Anies Baswedan gestimmt. Der ehemalige Bildungsminister
versprach ihnen, keine Vertreibungen zuzulassen. Beide Kandidaten werden
von losen Parteienbündnissen gestützt, die sich im Kampf um die Macht im
wirtschaftlichen Zentrum Indonesiens warmlaufen. Denn 2019 sind im größten
muslimischen Land der Welt mit seinen rund 200 Millionen Muslimen
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen.
Dreizehn Flüsse fließen durch die indonesische Hauptstadt, bevor sie in der
Bucht von Jakarta in die Javasee münden. Während der Monsunzeit treten sie
über die Ufer und verursachen schwere Überschwemmungen. Seit vielen Jahren
verspricht die Stadtverwaltung von Jakarta, dem Hochwasser des Ciliwung
durch „Flussnormalisierung“ den Kampf anzusagen – mit Hilfe der Weltbank,
holländischer Experten und eines gigantischen Betonkorsetts.
## Keine Alternativlösung für Bewohner
Die Bürgerinitiative Ciliwung Merdeka hatte Ahok ein alternatives Konzept
zum Hochwasserschutz vorgelegt. Auch darin war in Bukit Duri und dem
gegenüberliegenden Viertel Kampung Pulo der Abriss von Häuser vorgesehen,
die direkt am Fluss liegen. Für die Bewohner sollten jedoch als „vertikale
Lösung“ an Ort und Stelle mehrstöckige Wohnhäuser erbaut werden. Als
natürlicher Hochwasserschutz sollten Büsche, Bäume und Mangroven an den
Ufern angepflanzt werden. Daraus wurde nichts.
„Ahok hält nichts von Bürgerbeteiligung“, sagt Sandyawan Sumardi, der
56-jährige Vorsitzende der Bürgerinitiative. „Ahok ist der Mann der Bau-
und Immobilienkonzerne. Wenn er in Bukit Duri nachgegeben hätte, hätte das
eine Signalwirkung für andere Slums in Jakarta gehabt“, ist er sich sicher.
„Ahok hat uns verraten“, schimpft auch der Tapezierer Mukris, der ebenfalls
nur einen Namen hat. Sein Haus in Bukit Duri wurden auch abgerissen. „Ich
habe keine Entschädigung erhalten“, erzählt der Mann mit dem dünnen
Schnauzbart. „Sie haben mir eine Wohnung in der Nähe zugewiesen.“ Die koste
800.000 Rupien im Monat, etwa 56 Euro. Hinzu kommen Kosten von 200.000
Rupien für Wasser und Strom. „Mein altes Haus gehörte mir. Es stand auf
einem Stück Land, das mir ein Freund umsonst überlassen hatte.“
Die meisten der vielen tausend Menschen in Bukit Duri verdienen ihren
Lebensunterhalt als kleine Handwerker, Markthändler und Garküchenbesitzer.
Oder sie arbeiten als Kellner, Zimmermädchen, Taxifahrer und
Büroangestellte in Jakartas Nobelviertel Kuningan, dessen glitzernde
Hochhäuser von Bukit Duri aus in der Ferne zu sehen sind.
## Ungleiche Stadtentwicklung
Dort oben, im schöneren Teil des Ciliwung, hat sich die Elite Jakartas in
schicken Villen eingerichtet. „Da leben Leute von der Armee, ehemalige
Minister des New-Order-Regimes von Suharto und sogar ein ehemaliger
Gouverneur von Jakarta“, zählt Bosman Baturaba auf. Für den Geologen und
Hydrologen ist Bukit Duri ein Paradebeispiel für die ungleiche
Stadtentwicklungspolitik in Jakarta. „Bei der „Normalisierung“ des Ciliwu…
geht es also auch um Machtverhältnisse und um die Frage, wer vertrieben
wird und wer nicht.“
Der Ciliwung war schon ein wichtiger Wasserweg, als Indonesien eine
holländische Kolonie war und Jakarta noch Batavia hieß. Damals begann die
Abholzung der Wälder entlang des Flusses. Bald wuchsen Fabriken empor, die
ihren Dreck und ihre Gifte in den Fluss leiteten. Später wurden Wälder
abgeholzt, um Platz für Häuser zu schaffen.
Bendi, ein Fischer im Stadtteil Muara Baru im Norden von Jakarta, wird über
kurz oder lang auch Opfer dieser Politik. Auch sein Viertel steht
regelmäßig unter Wasser. Das Niveau liegt unter dem Meeresspiegel.
Eigentlich wäre Muara Baru heute schon versunken, würde nicht auch hier
eine meterhohe Betonmauer das Meer fernhalten.
Doch das geht nicht mehr lange gut. Der Meeresspiegel steigt. Um den Norden
von Jakarta vor dem Meer zu schützen, soll ein Betonwall quer durch die
Bucht von Jakarta laufen. Er wird 32 Kilometer lang sein und die Form eines
Garuda haben, des halb mensch-, halb adlergestaltigen Reittiers des
hinduistischen Schöpfergottes Vishnu.
## Eine Inselstadt für zwei Millionen Menschen
„Giant Garuda“ heißt das Projekt, das 40 Milliarden US-Dollar kosten soll.
Den Großteil der Kosten sollen indonesische Bau- und Immobilienkonglomerate
tragen. Im Gegenzug dürfen sie vor der Mauer 17 Inseln aufschütten und
darauf eine neue Stadt für zwei Millionen Menschen errichten. Natürlich ist
Ahok ein glühender Befürworter des Projekts. Das hatte schon der heutige
Staatspräsident Joko Widodo gefördert, als er noch der Stadtregent von
Jakarta war und Ahok sein Vize.
Von dem „Giant Garuda“ hat der Fischer Bendi schon gehört. Genaues weiß er
aber nicht. „Die Behörden informieren uns kleine Leute nicht“, sagt er,
während er sein kleines, altes Holzboot, von dem die blaue Farbe
abblättert, für die nächste Fangtour vorbereitet. Der Mann mit dem runden
Bäuchlein unter dem T-Shirt fürchtet um seine Existenz, wenn der Garuda
erst einmal seine Flügel ausbreitet. „Schon heute muss ich immer weiter
hinausfahren, um überhaupt noch Fische zu finden“, erzählt Bendi.
Der „Giant Garuda“ und die „Normalisierung“ des Ciliwung gehören zusam…
und sind die Zutaten für eine Katastrophe. Durch die ungehemmte Abholzung
erodiert der Boden. In der Folge schwemmt der Fluss immer mehr Sedimente in
die Bucht. „Die künstlichen Inseln werden für die Sedimente und das Wasser
der Flüsse wie Barrieren wirken“, fürchtet Baturaba.
## Jakarta versinkt im Erdboden
Zudem, so der Wasserexperte, versinke Jakarta unter seinem eigenen Gewicht
zwischen 7,5 und 14 Zentimetern pro Jahr. „Wenn das Gewicht der Gebäude
eines der Hauptursachen für das Absacken von Jakarta ist, dann wird durch
die Betonbauten noch mehr Last hinzugefügt. Das ist kontraproduktiv.“
Wegen allerlei Klagen vor Gerichten zur Klärung der Umweltverträglichkeit
und wegen massiver Korruptionsvorwürfe ruht derzeit das Bauvorhaben „Giant
Garuda“. Am Ciliwung aber geht die Arbeit weiter. Die Ruinen der Häuser
sind Symbole der sozioökonomischen Ungleichheit geworden.
Die werde es auch in Zukunft geben, befürchtet der Aktivist und Experte
Bosman Baturaba. Beide Kandidaten für die Stichwahl, Ahok und Anies, sind
Teil des Problems. „Ahok, weil er keinen Respekt vor Menschen hat, und
Anies wegen seiner Nähe zu Öl- und Gasfirmen, die seine Bildungsstiftung
sponsern“, sagt Baturaba. Er glaubt nicht, dass sich etwas ändert: „Keiner
der beiden Personen gibt Hoffnung auf ein besseres Jakarta.“
16 Apr 2017
## AUTOREN
Michael Lenz
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