Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Niederlandes Militär in Indonesien: Studie sieht „extreme Gewalt…
> Polizei-Aktionen nannten die Niederlande den Militäreinsatz in ihrer
> ehemaligen Kolonie Indonesien nach 1945. Doch es gab brutale Gewalt und
> Massaker
Bild: Kolonne niederländischer Truppen, die auf einer verminten Straße ins La…
Amsterdam dpa | In einem dämmrigen Saal des Amsterdamer Rijksmuseums hängt
ein kleines Foto. Dramatisch angestrahlt. Schwarz-weiß, ein wenig unscharf.
Man sieht Sukarno, der erste Präsident Indonesiens. Es ist der 17. August
1945, der Zweite Weltkrieg ist vorbei. Sukarno ruft die Unabhängigkeit
Indonesiens aus, nach fast 350 Jahren Kolonialherrschaft der Niederländer.
Endlich Freiheit. Doch nein. Das ist nur der Auftakt zu einem blutigen
Kampf. Mehr als vier Jahre wird er dauern.
Die Niederländer kämpfen mit allen Mitteln um ihre kolonialen Ansprüche.
Dörfer werden in Brand gesteckt, Gefangene gefoltert, hingerichtet, in
Massengräbern verscharrt, Frauen vergewaltigt, ermordet. Schätzungsweise
100.000 Indonesier werden von 1945 bis 1949 getötet, 5000 niederländische
Soldaten kommen um.
Kein Zweifel: Das waren Kriegsverbrechen. Doch erst jetzt, mehr als 70
Jahre später liegt die erste umfassende Studie zur Gewalt während des
Unabhängigkeitskampfes und der Dekolonisation Indonesiens vor. Die Forscher
präsentierten am Donnerstag den Niederlanden die unbequeme Wahrheit. Für
viele ist sie nur schwer erträglich.
„Die Untersuchung ergab, dass der größte Teil der Verantwortlichen auf
niederländischer Seite – Politiker, Offiziere, Beamte, Richter und andere
Beteiligte – vom systematischen Einsatz von extremer Gewalt wusste oder
wissen konnte.“ Doch sie taten nichts. Sie duldeten die Gewalt. Täter
wurden nicht oder nur selten verfolgt. Man war, so stellten die Forscher
fest, auf „allen Ebenen bereit, die geschriebenen und ungeschriebenen
Rechtsnormen und das eigene Rechtsgefühl“ beiseite zu schieben.
## Jahrzehntelang war der Militäreinsatz verharmlost worden
Berichte über Gräueltaten sind nicht neu. Doch neu ist, dass es um
systematische und oft auch bewusste Gewalt ging und dass die politische und
militärische Führung davon wusste. Jahrzehntelang war der Militäreinsatz
gegen die Freiheitskämpfer in Südostasien unter dem Namen „polizeiliche
Aktionen“ verharmlost worden.
Bereits 1949 gab es Berichte über Kriegsverbrechen. Eine Untersuchung
landete in der Schublade. Dann kam 20 Jahre später ein TV-Interview: Der
Veteran Joop Hueting berichtete von Folter, brennenden Dörfern, Massakern.
„Ich habe mitgemacht bei Kriegsverbrechen, und ich habe gesehen, wie sie
begangen wurden“, gestand er. Die Regierung aber hielt daran fest: Es gab
nur vereinzelte Übergriffe. „Im Allgemeinen hat sich die niederländische
Armee korrekt verhalten.“
Seit einigen Jahren wird dieser Mythos demontiert. Prozesse von Angehörigen
von Opfern und Medienberichte konfrontieren das Land mit der eigenen
blutigen Geschichte. Schließlich war eine historische Studie 2016 Anlass
für die Regierung von Ministerpräsident Mark Rutte, den Auftrag zu der
großen Untersuchung zu erteilen. 115 Forscher untersuchten fünf Jahre lang
Archive, lasen Augenzeugenberichte und werteten Dokumente aus.
Die Aufhebung des Tabus fällt schwer. Kennzeichnend dafür war im März 2020
die Entschuldigung von König Willem-Alexander für die Kriegsgewalt beim
Staatsbesuch in Indonesien. Nur stockend und stotternd kamen die Worte
„Bedauern und Entschuldigung“ über seine Lippen, als ob er sie einfach
nicht sagen konnte.
## Lange nahm die Regierung Rücksicht auf die Veteranen
Der Flame David van Reybrouck, Autor des vielfach gerühmten Buches über den
indonesischen Freiheitskampf „Revolusi“, spricht von einem „extrem langen
Schweigen“ und sieht das Selbstbild der Niederländer als Grund. „Im
[1][Geschichtsunterricht] stellen sich die Niederlande als Land von
Demokratie und Toleranz und Freiheit dar“, sagte er dem niederländischen
TV-Magazin Nieuwsuur. „Wenn das die Werte sind, auf denen der Unterricht in
niederländischer Geschichte beruht, dann wird es sehr schwierig, [2][die
dunklen Seite] der Geschichte zu betrachten.“
Lange nahm die Regierung Rücksicht auf die rund 4000 noch lebenden
Veteranen und die etwa zwei Millionen Niederländer mit Wurzeln in der
damaligen Kolonie in Südostasien. Sie sehen sich als Opfer der Gewalt der
Freiheitskämpfer. Denn auch sie machten sich extremer Gewalt schuldig. Und
die Veteranen fürchten, dass man sie nun als Kriegsverbrecher an den
Schandpfahl nagelt. Der Veteranenverband klagt, dass die Untersuchung die
Soldaten „kollektiv auf die Anklagebank“ setze.
Doch das ist nicht die Absicht der Studie, betont der Historiker Gert
Oostindie, einer der Leiter der Untersuchung. „Es geht nicht um kollektive
Schuldzuweisung.“ Das unterstreicht auch Premier Rutte. Die Verantwortung
liege bei denjenigen, die die Gewalt ermöglicht hätten, sagte er. Dazu
gehöre auch die Regierung. Die Schlussfolgerungen seien „hart und
unvermeidlich“. Aber: „Wir müssen uns der Wahrheit stellen.“
17 Feb 2022
## LINKS
[1] /Comicautor-ueber-Kolonialismus/!5263564
[2] /Kolonialismus-Debatte-in-den-Niederlanden/!5693265
## TAGS
Niederlande
Indonesien
Kolonialismus
Kriegsverbrechen
Mark Rutte
Lesestück Recherche und Reportage
Schlagloch
Indonesien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolonialismus-Debatte in den Niederlanden: Sklavenhändler sind out
In den Niederlanden wurde die koloniale Vergangenheit oft als gute alte
Zeit verklärt. Nun werden auch dort Rassismus und Denkmäler zum großen
Thema.
Deutsche Gedenkkultur: Privileg und Gedenken
Zwischen 8. Mai und Mbembe: Es ist Zeit, eurozentrische Geschichtsbilder zu
überwinden – gerade in Deutschland.
Comicautor über Kolonialismus: „Wir lernten fast nichts über die Zeit“
Peter van Dongen über niederländischen Rassismus, japanischen Imperialismus
und den indonesischen Unabhängigkeitskrieg.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.