| # taz.de -- Zeichnerin zu Mosambikanern in der DDR: „Sie warten bis heute auf… | |
| > Birgit Weyhe über ihr Comic „Madgermanes“, die Geschichte | |
| > mosambikanischer Arbeiter in der DDR und die schwierigen Bedingungen | |
| > ihrer Heimkehr. | |
| Bild: Mosambik oder Magdeburg? Wo sind die 15.000 DDR-Vertragsarbeiter zu Hause? | |
| taz: Frau Weyhe, bei einem Besuch in Pemba im Norden Mosambiks haben Sie | |
| von den „Madgermanes“ erfahren. Wann und warum waren Sie dort? | |
| Birgit Weyhe: Das war 2007. Ich habe meinen Bruder besucht, der von Kenia, | |
| wo wir beide aufgewachsen sind, dorthin gezogen war. Im Comic erfahre ich | |
| von einer Frau auf dem Markt zum ersten Mal von den Madgermanes – in | |
| Wirklichkeit aber war es ein Mann namens Atanasi, der alkoholkrank war. | |
| Fünf Jahre hatte er in Karl-Marx-Stadt gelebt und dort Deutsch sowie alle | |
| Handgriffe an einer Stampfmaschine gelernt – Sachen, mit denen er nach | |
| seiner Rückkehr nach Pemba überhaupt nichts anfangen konnte: Die Region ist | |
| rein landwirtschaftlich geprägt und nach wie vor sehr arm. | |
| Haben Sie sich gewundert, als Sie dort auf Deutsch angesprochen wurden? | |
| Absolut. Vor allem wusste ich nicht, dass es so viele Mosambikaner und auch | |
| Angolaner in der DDR gab. Ich fühlte mich sehr dumm. Zurück in Deutschland | |
| habe ich in meinem Bekanntenkreis gefragt, ob jemand davon wusste. Doch | |
| niemand, der nicht selbst in Ostdeutschland gelebt hatte, kannte die | |
| Geschichte. | |
| Wie sind Sie bei Ihren Recherchen vorgegangen? | |
| Ich habe zunächst meinen Bruder gefragt, ob er mir weitere Gesprächspartner | |
| vermitteln kann. Deren Berichte waren fast identisch: Mit 18 oder 19 kamen | |
| sie in die DDR. Es war kalt, grau und fremd, doch sie lebten sich ein, | |
| machten gute und schlechte Erfahrungen. Nach der Wende mussten sie zurück | |
| in die Heimat und hatten große Schwierigkeiten, dort wieder Fuß zu fassen. | |
| Ich habe dann versucht, Gelder zu bekommen, um in die Hauptstadt Maputo zu | |
| fahren, wo es mehr Madgermanes gibt. Aber damals wollte keine Stiftung das | |
| Projekt fördern, weder im Osten noch im Westen. | |
| Was haben Sie dann gemacht? | |
| Ich habe in Deutschland ein paar Madgermanes ausfindig gemacht. Die | |
| erzählten mir wiederum andere Geschichten, schon allein deshalb, weil sie | |
| sich engagieren mussten, um überhaupt hier bleiben zu können. Schon zu | |
| DDR-Zeiten haben viele nicht nur das erfüllt, was man ihnen verordnet | |
| hatte, sondern Möglichkeiten gesucht, sich weiterzubilden. Ich fand noch | |
| einen guten Dokumentarfilm über die Madgermanes in Maputo und zwei | |
| Fotobücher mit Interviews. Da habe ich gemerkt: Okay, das ist die dritte | |
| Realität, das sind die, die wütend sind, weil sie bis heute auf ihr Geld | |
| warten. | |
| Sechzig Prozent ihres Arbeitslohns sollten sie ja erst nach ihrer Rückkehr | |
| in Mosambik erhalten. Das Geld war dann aber verschollen. | |
| Genau. Und anders als in Pemba kämpfen die Betroffenen in Maputo bis heute | |
| noch um ihren Lohn. Aus diesen verschiedenen Erfahrungen haben sich die | |
| drei fiktiven Figuren herauskristallisiert, die im Buch vorkommen. | |
| Toni, Basilio und Anabella vertreten exemplarische Schicksale der | |
| Madgermanes, auch drei sehr verschiedene Haltungen zum Thema „Erinnerung“. | |
| Mir wurde durch die vielen Gespräche noch mal klar, wie Erinnerung etwas | |
| ganz Subjektives ist, genauso wie die Einstellung, mit der man ihr | |
| gegenüber steht: Vertraue ich mir selber als Quelle? Oder gebe ich zu, dass | |
| es lange her ist und ich vieles nicht mehr weiß? In Pemba waren meine | |
| Gesprächspartner oft fast nostalgisch und wollten von mir wissen, ob ich | |
| den Osten kenne und ob es bestimmte Produkte noch gibt. | |
| Für die in Deutschland Gebliebenen hingegen war die DDR nur eine Etappe in | |
| ihrem Werdegang, da musste ich viel genauer nachfragen. Und in Maputo | |
| wollten einige gar nicht erst mit mir sprechen. Als ich das Buch dort | |
| kürzlich vorgestellt habe, haben manche geweint und sich bedankt. Andere | |
| waren sehr bitter und sagten: „Dein Buch hilft uns nicht. Wir wollen unser | |
| Geld, für das wir gearbeitet haben.“ Ich kann das verstehen. | |
| Gibt es noch Hoffnung, dass das Geld eines Tages wieder auftaucht? | |
| Ich glaube nicht. Laut meiner Recherchen – ich hatte aber keinen Zugang zu | |
| Geheimarchiven – hat die DDR das Geld an den mosambikanischen Staat | |
| gezahlt. Ob der Bürgerkrieg damit finanziert wurde oder ob es direkt auf | |
| das Konto von irgendeinem Genossen in Maputo geflossen ist, weiß man nicht. | |
| Der Zorn der Madgermanes in Maputo richtet sich aber weiterhin gegen | |
| Deutschland, denn sie meinen, es hätte genug Druckmittel, um ihre Regierung | |
| zur Rückerstattung zu zwingen. Als Frank-Walter Steinmeier kürzlich in | |
| Maputo war, hat er das Thema aber nicht angesprochen. | |
| Wie kam überhaupt die Abmachung zwischen der DDR und Mosambik zustande? | |
| In den Achtzigern hatte die DDR extremen Arbeitskräftemangel. Erste | |
| Verhandlungen mit Algerien, Arbeiter ins Land zu bringen, wurden | |
| abgebrochen. Dann kamen Arbeiter aus Vietnam, Angola und Mosambik. Einige | |
| in Maputo erzählen, dass sie gegen Waffen und Waren verschachert wurden, | |
| dass es also moderne Sklaverei war. Dafür habe ich aber keine Beweise. | |
| Im Buch wird Samora Machel, der damalige Präsident von Mosambik, zitiert: | |
| „Die Besten von euch bekommen eine Ausbildung in Europa.“ Doch die | |
| Madgermanes wurden lediglich zu HilfsarbeiterInnen ohne Mitspracherecht. | |
| Nach allem, was ich gehört und gelesen habe, war dies tatsächlich die Idee | |
| von Samora Machel. Portugal hatte die Kolonien in schlechtem Zustand | |
| hinterlassen, staatliche Bildungsprogramme gab es im Vergleich zu | |
| französischen Kolonien fast keine. Insofern war der Wille da, Bildung ins | |
| Land zu bringen, und einige wenige kamen tatsächlich in die DDR, um zu | |
| studieren. | |
| In vielerlei Hinsicht erinnert der von Rassismus und Abschottung geprägte | |
| Alltag der VertragsarbeiterInnen an die heutige Situation von Flüchtlingen. | |
| Das ist leider immer noch das Gleiche. Die heutige Lage betrachte ich | |
| zunehmend pessimistisch: Das Konstrukt eines geeinigten Europas scheint mir | |
| nicht sicher, wenn die Ränder immer als Bedrohung und viel zu selten als | |
| Bereicherung wahrgenommen werden. | |
| Im Prolog zu „Madgermanes“ stellen Sie die Frage „Was ist Heimat?“ und | |
| erzählen von einer Erfahrung, die Sie mit den ProtagonistInnen teilen, | |
| nämlich in Afrika und Europa gelebt zu haben. | |
| Ich habe sehr lange gebraucht, um mich an das Thema zu wagen. Ich dachte | |
| mir: Bin ich schwarz? Habe ich in der DDR gelebt? Kenne ich Mosambik? Wie | |
| arrogant ist es, mir diese Geschichte anzumaßen? Doch bei den Gesprächen | |
| wurde immer wieder dieses gespaltene Gefühl zum Thema Heimat und | |
| kultureller Zugehörigkeit erwähnt, das ich sehr gut kenne. Die Geschichte | |
| aus dieser Perspektive zu erzählen gab mir die Legitimation, das überhaupt | |
| machen zu dürfen. Während der Arbeit hatte ich trotzdem immer Angst, dass | |
| ich vielleicht alles falsch verstanden habe oder nicht die Form und Sprache | |
| treffe, um die Geschichte wiederzugeben. Die Buchvorstellung in Maputo war | |
| für mich insofern der ideale Abschluss des Prozesses. Nun bin ich auf die | |
| Reaktionen in Deutschland gespannt. | |
| 30 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Elise Graton | |
| ## TAGS | |
| Comic | |
| DDR | |
| Mosambik | |
| DDR | |
| Deutscher Comic | |
| Kamerun | |
| Kenia | |
| Kenia | |
| Deutsche Leitkultur | |
| Indonesien | |
| DDR | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Ehemalige DDR-VertragsarbeiterInnen: In Deutschland verrückt gemacht | |
| Jede Woche demonstrieren in Mosambiks Hauptstadt ehemalige | |
| DDR-VertragsarbeiterInnen. Sie sehen auch die Bundesrepublik in der | |
| Verantwortung. | |
| Vertragsarbeiter aus Mosambik: „Moderne Sklaverei“ in der DDR | |
| Ehemalige DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik fühlen sich um ihren Lohn | |
| betrogen. Der Afrikabeauftragte Nooke sieht keine offenen Forderungen. | |
| 500. Ausgabe des DDR-Comics „Mosaik“: Ostkobolde im Westen integriert | |
| Seit 62 Jahren existiert das in der DDR gegründete Comic „Mosaik“. Auch in | |
| der 500. Ausgabe wird noch auf spielerische Weise Wissen vermittelt. | |
| Kolumne Globetrotter: Schnupperkurs Sprachenvielfalt | |
| Spricht man mit Kamerunern über den Reichtum ihrer Sprache, hört man Sätze | |
| wie: „Ich bin duala geboren, bassa aufgewachsen, fang verheiratet.“ | |
| Schriftstellerin zur Situation in Afrika: „Die Frage der Menschlichkeit“ | |
| Yvonne Owuor glaubt an die Macht der Rückkehr. Sie erklärt, welche Wirkung | |
| Merkels Satz „Wir schaffen das“ in Kenia hatte. | |
| Weltliteratur aus Kenia: Der Sound von Nairobi | |
| Yvonne Adhiambo Owuor erzählt in ihrem Debütroman mit großer narrativer | |
| Kraft eine Geschichte von Liebe und Tod, Verrat und Schweigen. | |
| Leitkultur-Comic für Geflüchtete: Sexuelle Vielfalt? Fuck you! | |
| Ein schwäbischer Landkreis druckt ein Comicheft über deutsche Werte – und | |
| übersieht die missverständliche Bedeutung des Like-Symbols. | |
| Comicautor über Kolonialismus: „Wir lernten fast nichts über die Zeit“ | |
| Peter van Dongen über niederländischen Rassismus, japanischen Imperialismus | |
| und den indonesischen Unabhängigkeitskrieg. | |
| Politische Gefangene in der DDR: „Arbeitsscheu“ gleich illegal | |
| Wer keinen Beruf lernte, galt in der DDR als asozial und wurde inhaftiert. | |
| Heute kämpfen die Verurteilten um Anerkennung als politisch Verfolgte. |