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# taz.de -- Ehemalige DDR-VertragsarbeiterInnen: In Deutschland verrückt gemac…
> Jede Woche demonstrieren in Mosambiks Hauptstadt ehemalige
> DDR-VertragsarbeiterInnen. Sie sehen auch die Bundesrepublik in der
> Verantwortung.
Bild: Jeden Mittwoch wird in Maputo für den ausstehenden Lohn demonstriert
Maputo taz | Jetzt war eine Deutsche bei unserer Demo“, sagt Jommne, „jetzt
kommt unser Geld morgen!“, und lacht. Es bleibt unklar, ob es Humor oder
Zynismus ist, in jedem Fall wissen wir beide, ganz sicher ist es nicht die
Wahrheit.
Es ist ein Mittwoch im August in Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, 11
Uhr am Vormittag und ich stehe im Jardim dos Madgermanes, einem winzigen
Flecken in der Stadt. Eingezäunte Wiese, ein paar Bäume, zwei ausgefranste
Deutschlandfahnen am Eingang, zwei längst außer Betrieb genommene
Karusselle, die mit den Hoffnungen der Menschen im Park um die Wette
rosten.
Und trotzdem ist dieser Fleck bis heute der Treffpunkt der ehemaligen
DDR-Vertragsarbeiter, der Madgermanes. Von hieraus startet seit über 30
Jahren jeden Mittwoch ihre Demo. Der heute 55-jährige Leonel Jommne läuft
jede Woche mit, in der Hoffnung, doch noch eines Tages sein Geld ausgezahlt
zu bekommen.
Mosambik ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die ehemalige
portugiesische Kolonie erlangte durch die Freiheitskämpfer der
[1][Frelimo], der heutigen Regierungspartei, 1975 die Unabhängigkeit.
Geprägt vom Jahrzehnte währenden Bürgerkrieg, von Misswirtschaft und
Korruption scheint es aber, als suche das Land noch heute nach dem eigenen,
mosambikanischen Weg.
Die Madgermanes wissen sehr genau, was sie suchen, sie nämlich warten auf
ihr Geld aus der Bundesrepublik, der Rechtsnachfolgerin der ehemaligen DDR.
Nach der Unabhängigkeit hatte sich Mosambik dem realen Sozialismus als
Staatsform zugewandt und 1979 einen Staatsvertrag mit der DDR
abgeschlossen.
Darin wurde unter anderem geregelt, dass etwa 17.000 Mosambikanerinnen und
Mosambikaner als Vertragsarbeiter in die DDR kommen, um dort ihren Teil zum
obersten Ziel der Betriebe beizutragen: Die staatlich vorgegebene
Normerfüllung, für die der DDR Arbeitskräfte fehlten. Die Geschichte dieser
Menschen wird heute, wo gar nicht genug an Realem und Erdachten in der DDR
herumanalysiert werden kann, all zu oft vergessen.
## Landmaschinen schweißen
Dabei waren es [2][nicht gerade wenige Menschen aus Mosambik] in den Jahren
zwischen 1979 und 1990, die in Orten wie Wolfen, Lichtenberg oder Premnitz
eingesetzt wurden, Bohrmaschinen zusammensetzten, Landmaschinen schweißten
oder als Dreher arbeiteten, gemeinsam mit ihren deutschen Kolleginnen und
Kollegen und doch in ihren Wohnheimen nur am Rand der Gesellschaft.
„In unserem Wohnheim in Lichtenberg lebten 250 Männer, alles nur
Vertragsarbeiter“, erinnert sich Leonel Jommne, der in der dortigen VEB
Wälzlagerfabrik eingesetzt wurde. „Man brachte uns mit Bussen dorthin und
auch wieder zurück.“ Nur die wenigsten konnten sich mit ihrem Wohnsitz in
die Stadtgesellschaft integrieren. „Das war gar nicht gewollt“, so Jommne.
Der großgewachsene Mann war schon kurz nach meinem Auftauchen im Park
einladend auf mich zugekommen und hatte direkt angefangen, mir alle anderen
um uns herum Stehenden vorzustellen. Und so höre ich von vielen der
Menschen, mit denen ich an diesem Tag spreche, wie sie dieses Gefühl in
Worte zu fassen versuchen, eigentlich gar nicht gewollt gewesen zu sein,
damals, in der DDR; dass sie es bis heute nachspüren können, wie es damals
war, ein Teil sein zu wollen und doch immer wieder in dieses Wohnheim
gebracht zu werden.
[3][Dieses Beäugt-werden damals, das Außenstehen, bis hin zu offenem
Rassismus in der DDR.] „Wir hätten so gut zusammenleben können. Ich bin
deutsch geworden dort“, sagt Jommne, „doch für euch war ich das nie und so
waren wir ganz schnell vergessen. Viele von uns erlebten vor allem nach der
Wende schlimme Dinge, spätestens da sind dann auch die, die bleiben
wollten, zurückgegangen.“
Deutsch geworden, das sind die ehemaligen Vertragsarbeiter auch dem Namen
nach, denn Madgermanes bedeutet für sie soviel wie das Qualitätslabel „Made
in Germany“. Viele von ihnen waren in den Betrieben als Auszubildende oder
als Arbeiter so viele Jahre, dass sie in Mosambik als in Deutschland
ausgebildet angesehen werden.
Und trotzdem fand der Großteil von ihnen zurück in der Heimat keine
dauerhafte Anstellung. Denn Madgermanes bedeutet hier eben auch „mad“:
verrückt, nervig, als Querulanten verschrien, weil sie sich nicht in ihr
vermeintliches Schicksal fügen wollen, Geld fordern, das sie dann nicht
teilen wollen, so die Unterstellungen.
## Nach der Wende aus dem Land geschmissen
„Wir kämpfen für unser Recht, das ist alles“, sagt Gidno Matne, ein
langjähriger Freund von Jommne, der mehrere Jahre als Schweißer in Weimar
lebte. „Man hat unser Geld gestohlen und das wollen wir zurück. So viele
von uns sind schon gestorben, verarmt, arbeitslos und niemanden kümmert es,
das muss einen doch wütend machen!“
Er steht umringt von fünf anderen, die alle nicken. „Wir haben für eure
Normerfüllung Nacht- und Sonderschichten eingelegt, haben 350 Ostmark
bekommen und wurden nach der Wende aus dem Land geschmissen.“
Die ehemaligen Vertragsarbeiter in der DDR erhielten damals laut des
Staatsvertrags tatsächlich nur maximal 350 Ostmark. Der Rest des Lohns
sollte ihnen erst zurück in Mosambik ausgezahlt werden, wohl auch als eine
Art Versuch, ihre Rückkehr zu garantieren. Nachweislich zahlte die
Bundesrepublik nach der Wende dafür etwa 75 Millionen D-Mark, doch so gut
wie nichts davon kam bei denen an, denen dieses Geld tatsächlich gehört.
„Frelimo hat unser Geld gefressen“, ruft es aus einer Gruppe, die gerade
Deutschlandfahnen aufrollt und vor einem Tor des Parks stapelt. „Die können
nur fressen, die ganze Zeit! Frelixo, das sind Verbrecher!“ Frelixo, das
ist eine Kontraktion aus dem Parteinamen und dem portugiesischen Wort Lixo,
Müll. Für die Madgermanes sind die Schuldigen an ihrem verschwundenen Geld
also schon lange klar, weiter unklar dagegen bleibt, aus welchem Grund
genau die Menschen damals in die DDR geholt worden sind.
„Uns hat das niemand gesagt, wir haben einfach die Chance genutzt, man hat
uns viel Geld und eine gute Ausbildung versprochen, doch das war Betrug“,
resümiert Gidno Matne und es lohnt sich zur Klärung dieser Frage ein Blick
auf die Geschichte Mosambiks.
## VertragsarbeiterInnen als Zahlungsmittel
Denn Mosambik war als Nachbarland von dem unter Großbritanniens Herrschaft
stehenden Südafrika und dem damaligen Rhodesien nicht mit wehenden Fahnen
aus dem Kolonialismus spaziert. Die Freiheitskämpfer sahen sich ab 1977 mit
einem im Wesentlichen aus Großbritannien finanzierten Bürgerkrieg
konfrontiert, durch den die Freiheitsbewegung in Mosambik zerstört werden
sollte.
Und die DDR? Schickte Geld, Soldaten und vermutlich auch Waffen in den
sozialistischen Bruderstaat, festgehalten im 1979 abgeschlossenen
Staatsvertrag. Und die Vertragsarbeiter, sie schienen so etwas wie ein
Zahlungsmittel gewesen zu sein. Mosambik hatte kein Geld, das Land lag nach
jahrelangen Kämpfen und dem Abzug der Portugiesen wirtschaftlich und
finanziell vollkommen am Boden.
Aber die DDR hatte nichts zu verschenken, auch keine Waffen. Also kommen
die Vertragsarbeiter in Spiel, die für winzige Löhne in Wohnheimen
versteckt in den DDR Betrieben unwissentlich Mosambiks Waffenschulden
abbezahlen sollten.
Mosambik hat den Bürgerkrieg 1992 gegen die [4][Renamo] gewonnen, als kein
Geld aus Südafrika, Schrägstrich Großbritannien, mehr kam. Bis heute ist
die Frelimo auch aus diesem Grund die regierende Partei, und bis heute
haben die Vertragsarbeiter ihr Geld nicht bekommen.
## „Frelimo ist scheiße“
Hinter Jommne und Matne wird das Treiben um die Deutschlandfahnen nun immer
geschäftiger. Einer trägt einen Deutschlandhut, ein anderer
Deutschlandhosenträger, einige mehrere Jahre alte Fußballtrikots. Sie haben
Trillerpfeifen und auf Laken gemalte Spruchbänder dabei.
Es ist mittlerweile 11.30 Uhr, Demostartzeit eigentlich, jeder hier tut,
was er jeden Mittwoch tut, bevor sie durch Mosambiks Straßen zum
Arbeitsministerium ziehen. Mein Blick geht immer wieder auf die Uhr, doch,
so sagt mir einer der Männer, man wartet noch auf die Polizei. „Irgendwann
kommen sie schon.“ Jeder nimmt sich nun ein Fähnchen vom Stapel, testet die
Pfeifen, Lachen schallt über den Asphaltweg.
„Frelimo é uma merda“, schallt es, als der viel zu spät eingetroffene
Polizist seine Mütze richtet und das Plakat mit dem Namen ihrer Bewegung
darauf ausgerollt wird. „Frelimo ist scheiße“ und weitere sehr
unfreundliche Dinge werden gesungen, während ein paar Dutzend Madgermanes
nun die Avenida 24 de Julho entlang ziehen. „Frelimo ist der Durchfall des
Landes“, immer mehr Menschen schließen sich dem Demozug an, einfach weil
ihnen gefällt, was sie hören.
Deutschland hat mit der Geldüberweisung seine Schuldigkeit getan, könnte
man meinen. Doch zur Aufarbeitung gehört mehr als das Senden von Geld, das
dann verschwindet. Die in Deutschland gemachten Mosambikaner, die
Madgermanes, sie sind ein Teil der Geschichte dieses Landes, sie sollten
ein Teil der Erzählung sein, wenn irgendwas vom sozialistischen Bruderland
Mythos wenigstens ein wenig der Wahrheit entsprechen soll.
5 Sep 2024
## LINKS
[1] /Wahlstreit-in-Mosambik/!5977079
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[3] /Auslaendische-Arbeiter-in-der-DDR/!5187255
[4] /Friedensabkommen-fuer-Mosambik/!5616588
## AUTOREN
Sophie Sumburane
## TAGS
Mosambik
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