| # taz.de -- Kolonialverbrechen im südlichen Afrika: Der weiße Terror | |
| > Vor nicht einmal fünfzig Jahren wehrten sich Weiße im südlichen Afrika | |
| > brutal gegen das Ende ihrer Herrschaft. Aufgearbeitet ist das bis heute | |
| > nicht. | |
| Bild: Achtung Lebensgefahr: Warnung vor Kriegsveteranen auf einer verlassenen F… | |
| Für Menschen und Nutztiere gilt Ausgangssperre ab Sonnenuntergang bis 12 | |
| Uhr mittags. Jeglicher Verkehr ist verboten, auch mit dem Fahrrad. Wer eine | |
| Anhöhe besteigt, wird erschossen. Hunde bleiben ganztägig angebunden oder | |
| sie werden erschossen. Kinder verlassen den Hüttenkreis nicht oder sie | |
| werden erschossen. Schulen und Geschäfte bleiben zu. | |
| Diese Regeln erließ das weiße Siedlerregime von Rhodesien für Reservate der | |
| Schwarzen zum Höhepunkt des schwarzen Unabhängigkeitskrieges im Jahr 1978. | |
| In Rhodesien, das Ende des 19. Jahrhunderts als britische Siedlerkolonie | |
| gegründet wurde, herrschten damals 400.000 Weiße über 6,5 Millionen | |
| Schwarze. | |
| Als Großbritannien seine Afrika-Kolonien in die Unabhängigkeit unter | |
| schwarzer Führung entließ und 1963/64 Nordrhodesien und Nyasaland als | |
| Sambia und Malawi frei wurden, konterten die Weißen in Südrhodesien mit | |
| einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung. Sie riefen 1965 einen eigenen | |
| Staat aus, der die weiße Herrschaft für tausend Jahre festigen sollte. | |
| Scharfe Sanktionen aus London folgten. Im Bündnis mit Apartheid-Südafrika | |
| fühlten sich die „Rhodies“, wie sie sich nannten, zunächst sicher. Nachdem | |
| aber Freiheitskämpfer im benachbarten Mosambik 1975 die Unabhängigkeit von | |
| Portugal erkämpft hatten, hielt sich das weiße Rhodesien nur noch mit | |
| nacktem Terror. 1979 übernahm London wieder und organisierte freie Wahlen. | |
| 1980 entstand das unabhängige Simbabwe unter dem schwarzen Guerillaführer | |
| Robert Mugabe. | |
| Aufarbeitung von Sklaverei und Kolonialismus ist heutzutage angesagt. Aber | |
| der weiße Terror, der sich vergeblich gegen den Untergang der | |
| Siedlerkolonien stemmte – Franzosen in Algerien, Briten in Kenia, | |
| Portugiesen in Angola und Mosambik, die Weißen in Südafrika, Südwestafrika | |
| und Rhodesien, wie die Länder damals hießen – wird meist ausgeblendet, vor | |
| allem im südlichen Afrika. Dabei ist das weniger als fünfzig Jahre her, und | |
| ohne dieses Kapitel der Geschichte des 20. Jahrhunderts versteht man die | |
| Gegenwart nicht. | |
| ## Überlegenheitsgefühl und Paranoia | |
| Im „weißen Afrika“ waren die Schwarzen entweder Wildtieren gleichgesetzt, | |
| die man fernhält und jagt, oder Nutztieren, die man zähmt, ausbeutet und | |
| bei nachlassender Produktivität entsorgt. Die Weißen lebten in Gewissheit | |
| ihrer Überlegenheit und zugleich in ständiger Paranoia, „wie weiße Mäuse … | |
| Laufrad“, wie es Doris Lessing 1957 in ihrem Reisebuch „[1][Going Home]“ | |
| ausdrückte. Sie beschreibt ihren Flug von London nach Johannesburg. Ab dem | |
| Zwischenstopp Nairobi übernimmt das weiße Südafrika; Sitze, auf denen | |
| Schwarze gesessen haben, werden desinfiziert. | |
| In den 1960er Jahren griffen schwarze Befreiungsbewegungen zu den Waffen. | |
| Das weiße Afrika flüchtete sich in blutige Selbstverteidigung. Auf jeden | |
| Anschlag oder Sabotageakt folgten brutale Strafexpeditionen gegen die | |
| Zivilbevölkerung: Massenverhaftungen, Umsiedlungen, Tötung von Vieh, | |
| Zerstörung von Ernten, Brunnenvergiftung, Massaker. Der weiße Mosambikaner | |
| Mia Couto schildert in seinem Roman „[2][Der Kartograf des Vergessens]“ aus | |
| dem Jahr 2020 über die Suche nach einem verschwundenen Kolonialsoldaten, | |
| wie portugiesische Truppen 1973 auf einem mosambikanischen Dorfplatz über | |
| einen Haufen Leichen wachen, „alle nackt und voller Straßenstaub“, daneben | |
| ein Schild mit der Aufschrift: „Das geschieht mit jedem, der den | |
| Terroristen hilft“. | |
| Die Rhodesierin Alexandra Fuller, Autorin scharfsinniger Erinnerungsbücher, | |
| beschreibt in ihrem Reisebuch „[3][Scribbling the Cat]“ aus dem Jahr 2005 | |
| versprengte Soldaten der [4][Rhodesian Light Infantry], einer berüchtigten | |
| weißen Spezialeinheit. Einer erzählt darin, wie er einst ein Dorf erspäht, | |
| wo Frauen Essen kochen, aber keine Männer zu sehen sind – er vermutet, es | |
| seien Familien von Guerillakämpfern draußen im Busch. Er terrorisiert mit | |
| seiner Einheit das Dorf, einem Mädchen gießt er kochenden Maisbrei in die | |
| Scheide, bis ihre Mutter die Männer verrät. Nach zwei qualvollen Wochen | |
| stirbt die Tochter. | |
| ## Europa geriert sich als Terrorgegner | |
| Die weiße Selbstverteidigung war vergeblich, überall siegten die Befreier. | |
| Wer heute in diesen Ländern an der Macht ist, wurde in diese Kriege | |
| hineingeboren und ist davon geprägt, in der Lebenserfahrung und in der | |
| Sicht auf die Welt. In den 1970er und 1980er Jahren unterstützte Moskau | |
| Afrikas Befreiungsbewegungen, der „freie Westen“ dagegen die Weißen. Wen | |
| wundert also das Misstrauen dieser Länder, wenn heute wieder Massaker an | |
| Zivilisten mit „Selbstverteidigung“ gegen „Terroristen“ gerechtfertigt | |
| werden? | |
| Vor nicht einmal 50 Jahren stand das weiße Europa im schwarzen Afrika für | |
| Terror. Aber noch nie hat ein europäisches Land einen seiner Bürger vor | |
| Gericht gestellt wegen Verbrechen, die er in einer Siedlerkolonie an den | |
| Einheimischen beging. | |
| Eine vollständige Aufarbeitung jener Zeiten blieb aus. In Simbabwe spielen | |
| die Verbrechen Mugabes nach der Unabhängigkeit heute eine größere Rolle. | |
| Südafrikas Wahrheitskommission zog einen Schlussstrich unter die Apartheid, | |
| was vieles ungesagt ließ. Viele Archive der einstigen Siedlerregime sind | |
| unter Verschluss oder verschollen, viele Beteiligte leben noch und | |
| schweigen. Erinnerungen weißer Akteure finden kaum Beachtung. Dabei sind | |
| Tätergeschichten in Kriegen genauso wichtig wie Opfergeschichten. Nur | |
| zusammen ergeben sie ein Bild. | |
| „Wahrscheinlich gibt es in Afrika Gegenden, wo jeder über zehn Jahre ein | |
| alter Soldat ist und in der Hand ein Sturmgewehr gehalten hat, dessen | |
| Rattern sich in Menschenfleisch frisst“, schreibt Fuller. „Viel schwerer | |
| ist es, alte Soldaten zu finden, die mit Fremden über ihre Kriege sprechen | |
| wollen. Warum sollten sie?“ | |
| Die Geschichte lebt im Verborgenen weiter – als Trauma in den Köpfen, als | |
| Dämonen der Nacht. „Der Krieg, der ist in uns drin, von unserer Geburt an“, | |
| schreibt Couto. „Die Kinder Gottes können nicht vergeben, nur vergessen. | |
| Aber genaugenommen vergessen sie auch nicht.“ | |
| 21 Oct 2024 | |
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| [4] https://therli.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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