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# taz.de -- 500. Ausgabe des DDR-Comics „Mosaik“: Ostkobolde im Westen inte…
> Seit 62 Jahren existiert das in der DDR gegründete Comic „Mosaik“. Auch
> in der 500. Ausgabe wird noch auf spielerische Weise Wissen vermittelt.
Bild: Hat sich gut gehalten: das erste Mosaik-Heft vom Dezember 1955
Gerade läuft „Valerian“ im Kino, der teuerste europäische Film aller Zeit…
(200 Millionen Dollar). Mit der Verfilmung des Comics „Valerian &
Laureline“ hat sich der 58-jährige französische Regisseur Luc Besson einen
Kindheitstraum erfüllt. Die Comic-Helden hatten ihn damals fasziniert, weil
er sich mit ihnen identifizieren konnte. Keine Superkräfte, sondern Helden,
die gegen das Böse kämpfen, zum Identifizieren. Schön, wenn man als
Erwachsener den richtigen Job und die Kohle hat, den prägenden
Abenteuergeschichten aus der Kindheit ein gigantisches Denkmal in einem
anderen Medium zu setzen.
Millionen Ostdeutsche, die in etwa so alt sind wie Besson, würden die Kinos
stürmen, hätte irgendein ein ostsozialisierter Geldkrösus die Verfilmung
der Geschichten aus dem Mosaik finanziert, jenes DDR-Monats-Comic, in dem
drei gnubbelnasige Figuren ab 1955 auf Abenteuerreise durch Raum und Zeit
gingen. Sie hießen Dig, Dag und Digedag, ausgedacht vom freiberuflichen
Zeichner Johannes Hegenbarth alias Hannes Hegen. Die Mosaik-Hefte galten
als größter Schatz auf dem DDR-Printmarkt (bis zu einer Million Auflage),
den man als Abonnent nicht wieder hergab.
Die liebevollen, witzigen Zeichnungen waren ein einziger Bilderrausch
voller Details in den legendären Wimmelbildern, jedoch ohne versteckten
Zeigefinger, der sonst auch in den Kinderpublikationen üblich war. Wenn die
Kobolde in DDR-fernen Welten unterwegs waren, standen sie stets dem
niederen Volk zur Seite. Im alten Orient spielten sie den Herrschenden
Streiche, im Amerika der Bürgerkriegszeit halfen sie entlaufenen Sklaven.
Es sind diese Geschichten, die das humanistische Weltbild vieler Ossis
prägten (aber klar, einige Mosaik-Leser dürften heute auch Pegida-Fahnen
schwenken).
Die Digedags endeten abrupt und auf typische DDR-Weise. Kein Leser wusste,
was los war, als sie 1976 plötzlich durch die Abrafaxe ersetzt wurden.
Redaktionsleiter Hegen hatte den Verlag aus Unzufriedenheit verlassen. Die
neuen Figuren Abrax, Brabax und Califax und ihre Abenteuer erinnerten
jedoch sehr an die Vorgänger. Kein Wunder: Sie wurden vom selben Zeichner-
und Autorenkollektiv im Junge Welt-Verlag entworfen.
## Durch Weltepochen reisen und dabei Wissen vermitteln
So setzte sich die Erfolgsstory fort. Sogar nach der Wende, nachdem Klaus
D. Schleiter, Chef einer Westberliner Werbeagentur, die Rechte von der
Treuhand erworben hatte. Der neue Verleger verzichtete auf eine
Westanpassung des Konzepts (plus Spielzeuge als Kaufanreiz), ließ die
Abrafaxe weiterhin durch verschiedene Weltepochen reisen und die
Leserschaft durch Wissensvermittlung nebenher ein wenig klüger werden. In
einem Wissensteil im Heft werden noch mal speziell technische, natürliche
und gesellschaftliche Phänomene erklärt: „singende Gläser“, religiöse
Geschäftsmodelle wie der Ablasshandel oder die Entstehung von
Spekulationsblasen. Anhand einer „Puppenkrise“ im Mittelalter wurde kurz
nach der Finanzkrise 2008 das Spekulationswesen so gut erläutert, dass die
Deutsche Bank die komplette Restauflage aufkaufte, um sie an Kunden zu
verschenken.
Mit dieser eher ungewöhnlichen Comic-Strategie wurde das Mosaik der
längsten Fortsetzungscomic der Welt und mit rund 75.000 verkauften
Exemplaren zugleich der auflagenstärkste Comic deutscher Produktion. Seit
neun Jahren gibt es vierteljährlich auch ein Mädchen-Mosaik, in dem quasi
Abrafaxe-Schwestern Abenteuer zum Beispiel von deutschen
Amerika-Auswanderern aus der Frauenperspektive erzählen.
## Was fürs Leben lernen, dafür stand Mosaik schon immer
Zu den Hauptpersonen im nunmehr 500. Abrafaxe-Heft gehören Martin Luther
und Maler Lucas Cranach, was das Alleinstellungsmerkmal gut illustriert,
wie der künstlerische Leiter Jörg Reuter, ein 57-jähriger Graubartträger
mit der Späthippie-Aura, findet: „Weil das Alter unserer Leser von zwölf
bis Open End geht, legen wir die Geschichten in mehreren Ebenen an. In die
für die Kinder bringen wir auch Begriffe ein, bei denen sie auch mal ihre
Eltern fragen oder im Internet nachgucken müssen. Bisschen was fürs Leben
lernen ist doch nicht schlecht. Dafür stand das Mosaik schon immer, und es
hebt uns von anderen ab.“ Im Übrigen auch, dass Leute wie Joschka Fischer,
Sigmund Freud oder Bob Dylan gelegentlich in die Geschichten geschmuggelt
werden.
Interessant ist auch die Analog-digital-Verbindung über eine kostenlose
App, mit der man via Smartphone Zusatzinformationen bekommen kann, was aber
nur funktioniert, solange man auf das Heft guckt. Das Herzstück des
Mosaik-Erlebens bleibt jedoch wie seit 62 Jahren die Papierwelt. Die sieben
Zeichner und eine Zeichnerin in der Verlagsvilla in Berlin-Westend arbeiten
nicht an elektronischen Tablets, sondern nach wie vor mit Pinsel und Tinte.
25 Jul 2017
## AUTOREN
Gunnar Leue
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