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# taz.de -- Legendärer Berliner Comicladen wird 25: „Comics galten damals al…
> Als Michael Wießler Modern Graphics aufmachte, galt Kreuzberg als
> Berliner Schmuddelkiez. 25 Jahre später ist das anders, sein Geschäft ist
> eine Institution.
Bild: Wer blickt da noch durch? Das Angebot an Comics ist riesig
taz: Oh Gott, Herr Wießler, sind das viele Hefte hier. Wie viele sind denn
das ungefähr?
Michael Wießler: Mehrere Zehntausend werden es schon sein.
Kann man hier überhaupt Inventur machen?
Natürlich!
Sie feiern demnächst ein Vierteljahrhundert Modern Graphics, das ist eine
lange Zeit.
Manchmal versuche ich, alte Bilder zu finden, und stelle fest, dass wir aus
den Anfangsjahren, aus der vordigitalen Zeit, so gut wie gar nichts haben.
Wir haben gerade für unseren Internetauftritt einen Zeitstrahl mit alten
Flyern gemacht – und ich fürchte, wir haben ganz schön viel vergessen. Man
weiß genau, dass da noch mehr war. Aber was war das nur?
Sie haben viele Veranstaltungen gemacht?
Früher gab es in Comicläden immer nur Signierstunden. Das wollten wir
unbedingt ändern. Dafür haben wir oft einen Wahnsinnsaufwand betrieben,
einen gesamten Raum leer geräumt, riesige Malaktionen gemacht. Oder Berlins
ersten Comicbattle veranstaltet.
Comicbattle?
Wir haben zwei Zeichner gegeneinander antreten lassen. Die Idee hatte ich
aus Hamburg. Einer der Zeichner musste anfangen, der zweite musste
reagieren, das abwehren oder so, und immer so weiter. Das Publikum stand um
ihren Tisch herum und kürte am Ende den Sieger. Das war schon ganz schön
lustig und wild manchmal.
Was halten Sie davon, dass es hier in Kreuzberg so schick geworden ist?
Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits wohne ich schon immer
hier. Andererseits profitieren wir natürlich von der Gentrifizierung. Die
Kaufkraft der Kreuzberger war Anfang der 1990er Jahre nicht besonders hoch,
dafür war das kulturelle Interesse sehr ausgeprägt. Anders als an anderen
Orten hatte hier damals schon kein Mensch Probleme damit, das ein Comic
genau wie ein Buch 10 oder 15 Mark kosten muss.
Wie sind Sie eigentlich selbst zum Comic gekommen?
Ich bin auf dem Land bei Freiburg aufgewachsen, mit drei Schwestern. Ich
brauchte Fluchtmöglichkeiten. Ich habe von klein auf alles gelesen: Bücher,
Romanhefte, alte Zeitungen vom Dachboden waren Schätze für mich. Als ich
den ersten Comic sah, war das für mich das große Andere. Ich habe genommen,
was ich kriegen konnte. Mein Vater hat mir einen „Prinz Eisenherz“-Band aus
den fünfziger Jahren vererbt. Und meine Oma hat meinen Schwestern und mir
auf der Bettkante Micky Maus vorgelesen. Und trotzdem waren die Eltern
natürlich nicht sehr glücklich mit meinem Hobby. Comics galten damals als
Schund, nicht als Literatur.
Sie haben trotzdem weiter gemacht.
Meine erste Sammlung, die ich von meinem eigenen Geld zusammen bekommen
konnte, waren alle 24 Bände von Tim und Struppi. Später, als in den 1970er
Jahren die tollen Sachen von Marvel heraus kamen, die ganzen
Superheldengeschichten und so: Da durfte ich mir im Monat nur ein einziges
Heft kaufen. Das war schrecklich. Denn ich habe mich ausgerechnet für „The
Avengers“, entschieden, die am Anfang, also 30 Hefte lang, einen sehr
schlechten Zeichner hatten. Zum Glück konnte ich dann ein ausgeklügeltes
Tauschsystem entwickeln.
Sind Comics mit den Graphic Novel erwachsen geworden, in der Hochkultur
angekommen?
Natürlich, auch wenn manche von den alten Comic-Hasen nicht immer ganz
glücklich damit sind. Sie haben das Gefühl, man würde ihnen den Underground
wegnehmen. Aber ich bin natürlich total glücklich, dass hier heute auch
ältere Damen hereinkommen, sich etwas empfehlen lassen oder eine
Besprechung im Feuilleton gelesen haben. Ganz normale Leser eben.
Was waren das früher für Leute, die bei Modern Graphics eingekauft haben?
Comics waren früher eher was für Jungs und Männer – allein wegen der vielen
Muskeln und großen Brüste. Aber es gab schon damals auch viel anderes, auch
autobiographische Geschichten, für die ich mich sehr interessiert habe.
Darum sind hier von Anfang auch immer sehr viele Frauen reingekommen.
Haben Sie sich als Kreuzberger auch für die Szene in Ostberlin
interessiert?
Noch vor der Eröffnung von Modern Graphics hatte ich in der Comicbibliothek
Renate eine meiner ersten Begegnungen mit der Ostberliner Comicszene. Da
haben sie eine Ausstellung gemacht zu den „Mosaik“-Heften, die ja in der
DDR berühmt waren. Ich konnte mit denen aber gar nichts anfangen, ich war
halt nicht damit aufgewachsen. Da dachte ich im ersten Moment: Was ist das
denn für eine Ausstellung? Die hatte einfach Seiten aus den Heften gerissen
und an die Wand gepappt. Aber dann haben sie einfach das Licht ausgemacht
und mit Taschenlampen Seite für Seite beleuchtet. Und ihre Geschichten
erzählt. Wie sie als kleine Steppkes Mosaik unter der Bettdecke gelesen
haben. Da habe ich auf einmal verstanden, was daran so toll war. Es war
echt ein schöner Abend.
Gab es damals zwei Comicszenen in der Stadt?
Im Westen war die Szene von Cartoonisten und Witzezeichnern dominiert, von
Seyfried und vom Zitty-Umfeld, mit den Rising Stars Fil und Tom. Im Osten
gab es die Renate und die grafisch anspruchsvollen Sachen der PGH Glühende
Zukunft rund um Anke Feuchtenberger. Diese Leute sind dann ja auch alle
berühmt geworden.
Sind aus diesen Szenen auch gute Geschichtenerzähler hervor gegangen?
Eher nicht. Ich denke, das ist auch der Grund, warum gute, romanhafte
Graphic Novels aus Berlin nach wie vor rar sind.
Gibt es da denn keine Nachfrage?
Doch, total! Hier kommen wahnsinnig viele Leute rein und fragen nach
epischen Berlincomics.
Woran liegt das denn? Ist die Stadt immer noch zu entspannt? Sitzen die
Künstler immer noch zu viel im Café und haben zu wenig Existenzdruck?
(Lacht) Mag sein. Aber ich denke, da kommt noch viel.
Verkaufen Sie auch Kindercomics?
Na klar, schon immer. Auch in diesem Bereich war es am Anfang viel schwerer
als jetzt. Zuerst gab es nur die Klassiker – und da ist das Frauenbild wie
gesagt oft ganz schön fragwürdig gewesen. Schlumpfinchen zum Beispiel wird
erst von den Schlümpfen akzeptiert, als sie sich die Haare blondiert.
Vorher ist sie nur ein nerviges Ding, das zu viel plappert. Ich spreche
hier auch als Vater einer Tochter: Es war eine Herausforderung, Comics zu
finden, in denen die weiblichen Hauptfiguren nicht immer nur in der Ecke
stehen und Angst haben.
Und heute?
Ich liege den Verlagen schon lang in den Ohren und erkläre, dass da etwas
passieren muss. Ich würde sagen: Es geht gerade los.
11 Nov 2016
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Comic
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Superman
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Graphic Novel
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