| # taz.de -- „Das Handbuch der Hoffnung“: Ein finnisches Non-Action-Comic | |
| > „Vielleicht gab es niemals ein früher“: Tommi Musturi variiert in „Das | |
| > Handbuch der Hoffnung“ meisterhaft Tempo und Raum. | |
| Bild: Der alte Mann bei der Arbeit | |
| „Was sollen wir tun? – Tun? Womit? – Na mit diesem? Leben. – Was der Me… | |
| so tut. Dahinleben. – Ufff. (Pause) Das klingt so einfach.“ | |
| Man hat es nicht immer leicht, erst recht nicht als alter finnischer Mann. | |
| Dieser hier hat gerade eine existenzielle Krise. Er schwitzt in der | |
| Sommerhitze. Er steht vor dem Spiegel und redet über seinen fett gewordenen | |
| Bauch. Er begräbt einen toten Vogel. Und hängt immer wieder erschöpft in | |
| seinem Sessel. | |
| Da werden auch schon mal Todesanzeigen studiert oder Dinge gesagt wie | |
| „Mann, ich fühl mich so leer.“ oder „Vielleicht gab es niemals ein früh… | |
| oder auch: „Die Taten, die man sich für das Alter aufgespart hat, sind in | |
| den Augen der Zeit nur gefälschte Kopien der eigenen Ideen.“ Zwischendurch | |
| hat er wirre Träume, in denen er der Held eines blutrünstigen Westerns ist. | |
| Ein ganzer Kerl, bereit zu töten. | |
| ## Kleinigkeiten, die erfreuen | |
| Aber das Comic, das von diesem einen alten Mann und vom Mannsein überhaupt | |
| handelt, heißt nicht umsonst „Das Handbuch der Hoffnung“. Immer wieder | |
| sehen wir auch, wie der Mann sich an den Kleinigkeiten der Welt erfreuen | |
| kann, wobei seine Welt zum größten Teil aus den Birkenwäldern des | |
| finnischen Hinterlandes besteht. Zeichner Tommi Musturi ist selbst in | |
| diesem Nirgendwo aufgewachsen. In seinem Heimatdorf lebten nur etwa zwanzig | |
| Leute, der nächste Laden war zehn Kilometer weit weg. Das romantisch | |
| verwitterte Holzhaus, in dem der alte Mann mit seiner Frau lebt, ist dem | |
| von Musturis Großmutter nachempfunden. | |
| Jede Doppelseite im Handbuch der Hoffnung erzählt eine kleine Geschichte, | |
| insgesamt sind es über hundert in fünf Teilen, die zwischen 2006 und 2013 | |
| erschienen sind. Nun gibt es die Gesamtausgabe auch auf Deutsch. Die | |
| Produktion des Buches hat Tommi Musturi mit den Ausgaben für Polen, | |
| Frankreich, Spanien, Finnland und Dänemark synchronisiert, um Druckkosten | |
| zu sparen und nebenbei auch noch sämtliche Bücher eigenhändig gelettert. | |
| Monate hat er damit zugebracht. | |
| Das Vergehen der Zeit ist das große Thema seiner Comics. Dabei nutzt Tommi | |
| Musturi gestalterisch stets den gleichen Aufbau, ein Raster von sechzehn | |
| gleich großen Bildern, in zwei Reihen angeordnet. Meisterhaft variiert | |
| Musturi das Tempo. Mal vergehen auf einer Doppelseite nur Augenblicke, mal | |
| wird der Lauf eines ganzen Lebens erzählt, mal teilen wir die Träume und | |
| Gedanken des alten Mannes. | |
| ## Kunst mit Komplementärfarbenpaaren | |
| „Ich nenne es einen finnischen Non-Action-Comic: Die meiste Action spielt | |
| sich im Kopf des Protagonisten und des Lesers ab“, sagt Tommi Musturi. Er | |
| empfiehlt, sein Buch möglichst in einem Stück zu lesen. „Klar, man kann ein | |
| paar Seiten sehr schnell lesen. Aber auf dem Land verläuft das Leben viel | |
| langsamer. Deswegen will ich die Leser dazu bringen, runterzuschalten. Man | |
| braucht so 50 Seiten, um sich darauf einzustellen.“ | |
| Er hat recht. Nur so ist es überhaupt denkbar, einen Zugang zu den | |
| mäandernden Gedankengängen des alten Mannes zu finden. Auch hat man erst | |
| dann das Auge für die vielen Details in den Zeichnungen, die Musturi mit | |
| saftigem Strich gestaltet hat. Und was für Farben er verwendet! In den | |
| ersten drei Teilen zeigt Musturi, was man alles aus | |
| Komplementärfarbenpaaren – orange-blau, violett-ockergelb, waldgrün-rosarot | |
| sind sie – herausholen kann. | |
| Ab dem vierten Teil entfaltet das Buch dann expressionistische | |
| Regenbogenqualitäten. Nun rückt auch die Ehefrau erstmals ins Bild, vorher | |
| war sie nur als seltene Stimme der Vernunft aus dem Off wahrnehmbar. Die | |
| Depression ist überwunden, aus dem Saftsack im Sofasessel wird ein Mann | |
| voller Talente. Alte Fotos zeigen, auf was für ein wildes und erfülltes | |
| Leben er mit seiner Frau zurückblicken kann. | |
| Auf die Frage, ob er Angst vor dem Alter habe, antwortet Tommi Musturi mit | |
| Nein. Es gibt noch Hoffnung. | |
| 21 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Brake | |
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