# taz.de -- 70 Jahre Aufbau-Verlag: Die Bekloppten, das Erbe, der Trend | |
> DDR, Wende, Konkurs, Neuanfang: der Berliner Aufbau-Verlag hat eine lange | |
> Geschichte. Hat er auch eine Gegenwart? | |
Bild: Gunnar Cynybulk, Verlagsleiter Literatur beim Aufbau-Verlag | |
Wer in diesen Sommertagen durch das Aufbau-Haus am Berliner Moritzplatz | |
läuft, spürt durchaus die Tradition dieses Verlages, der in den vergangenen | |
siebzig Jahren vielleicht die wechselvollste Geschichte in der deutschen | |
Verlagslandschaft hinter sich gebracht hat. Vorzeigeadresse der DDR, ein | |
großes Hin und Her nach der Wende, Konkurs und Neuanfang. Er spürt aber | |
auch, wie hier gerade vieles über- und auch umgedacht wird. Das Kunststück | |
eines Spagats zwischen Erbe und Trend – das ist schnell das Thema eines | |
solchen Besuchs. | |
So besteht die Gegenwart bei Aufbau noch aus der Vergangenheit. Neue | |
Lesergenerationen führt der Verlag an seine Klassiker heran: Feuchtwanger, | |
Seghers, Klemperer. Die deutsch-deutsche Geschichte bleibt auch ein Thema. | |
Aber da fangen die Grenzen der Traditionspflege eben auch an: Bei | |
Gysi-Lesungen in Leipzig sei zwar volles Haus programmiert, munkelt man bei | |
Aufbau, die Gefahr bestehe aber immer, dass das zur Ü70-Party werde. | |
„Der Verlag muss noch mehr auf die Erzähltrends der Gegenwart reagieren“, | |
sagt Gunnar Cynybulk, der seit gut einem Jahr Verlagsleiter für den Bereich | |
Literatur ist. Auf seine starke Klassikerbacklist kann sich der Verlag | |
sowieso nicht ewig stützen. 2017 werden die Textrechte für Hans Fallada | |
frei, die zurzeit noch exklusiv bei Aufbau liegen. | |
Andererseits lassen sich auch mit Texten aus der Zeit vor 1945 immer noch | |
Scoops landen. Wie just mit den Texten des großen Victor Klemperer in „Man | |
möchte immer weinen und lachen in einem“. Cynybulk hatte erfahren, dass in | |
den Archiven noch Konvolute schlummerten, die Münchener Revolutionszeit | |
betreffend. Im Buch wurden die Texte zweier Zeitebenen dann geschickt | |
verschränkt. Also: Klassiker ja, aber zeitgemäß aufbereitet. „Ein | |
Glücksfall für den Verlag“, findet Cynybulk. „Bei manchen Autoren“, sag… | |
(und meint ausdrücklich nicht Klemperer), „ist ein bisschen Mehltau drauf. | |
Unsere Aufgabe ist es, den wegzupusten.“ | |
## Alkoholische Akquise | |
Mehltau wegpusten, das muss man bei allen Verlagen immer wieder, aber | |
vielleicht braucht man dazu gerade bei Aufbau besonders viel Puste. „Die | |
Leute müssen echte Leidenschaft mitbringen und einfach bekloppt sein“, sagt | |
Gunnar Cynybulk lachend. „Man muss auch bereit sein zur alkoholischen | |
Akquise an den Bars, in die die Künstler gehen“, so Cynybulk. Er mache das | |
schon auch noch, aber gesünder sei das, wenn die jüngeren seiner Crew | |
übernehmen. | |
Bei Kontakten mit neuen Autoren setzt man natürlich auf den Berliner | |
Standortvorteil. Mit Ronja von Rönne, der so umstrittenen wie angesagten | |
Berlin-Autorin, konnte man über den Titel ihres ersten Romans, der nächstes | |
Jahr bei Aufbau erscheinen soll, dann auf der so großartigen Dachterrasse | |
des Gebäudes reden. Der Blick über Kreuzberg macht locker. Dort wird Aufbau | |
in einem Monat auch die große 70-Jahre-Fete schmeißen. | |
Die Highlights des Programms sind alle so getaktet, dass sie zum Fest | |
vorliegen. Harald Martenstein und Tom Peuckert fragen in dem | |
kontrafaktischen Roman „Schwarzes Gold aus Warnemünde“ aberwitzig: Was wä… | |
gewesen, wenn die DDR Öl en masse gefunden hätte und das reichste Land der | |
Welt wäre? Hansjörg Schertenleibs „Jawaka“ kommt ebenso pünktlich zum Fe… | |
wie Ulrich Schachts „Grimsey“. Bov Bjergs „Auerhaus“ lief dank des | |
Buchtrailers mit Robert Stadlober viral im Netz. Wochenlang konnte kaum | |
nachgeliefert werden. | |
## Erfolg mit Graphic Novels | |
„Auerhaus“ ist allerdings bei Blumenbar erschienen – keineswegs die | |
Jugendabteilung von Aufbau, aber großstädtischer. Blumenbar widmet sich | |
Themen wie Pop- und Alltagskultur. Und dann gibt es noch Metrolit: einen | |
eigenständigen Verlag der Aufbau-Gruppe, unter Leitung Peter Grafs. Der | |
macht ein Vollprogramm, auch Graphic Novels und Spannung. „Das Verhältnis | |
von Aufbau zu Metrolit ist wie zwischen Cousins“, sagt Cynybulk. Matthias | |
Koch, der Aufbau vor sieben Jahren aus dem Konkurs gerettet hat und seitdem | |
alleiniger Gesellschafter ist, ist auch Mehrheitsgesellschafter bei | |
Metrolit. | |
Der Roman „Blutsbrüder“ von Ernst Haffner etwa, der Metrolit-Erfolg von | |
2013, erscheint im Aufbau-Hauptprogramm als Taschenbuch. Auch hier zeigt | |
sich, wie Aufbau erfolgreich den Spagat grätscht zwischen Erbe und Trend: | |
„Blutsbrüder“ ist ein sozialkritischer Text aus den 1930er Jahren, typisch | |
für Aufbau, aber „Blutsbrüder“ ist auch ein rougher Berlin-Cliquenroman. | |
Wenn sich außer Verleger Peter Graf jemand mit den Images von Metrolit und | |
Blumenbar auskennt, ist es Lars Birken-Bertsch. Sein offizieller Titel: | |
Labelmanager. Klingt nach Rock ’n’ Roll. Birken-Bertsch kam 2011 für die | |
Andere Bibliothek zu Aufbau. Dann hat Birken-Bertsch aber auch Metrolit mit | |
aus der Taufe gehoben. Er hatte sich bereits einen Namen als | |
Blumenbar-Mitbegründer gemacht, lange bevor Aufbau die Marke kaufte. | |
Blumenbar ist im Aufbau-Kontext junge deutsche Literatur. | |
Metrolit wird breiter aufgestellt: Belletristik, Sachbuch, Bildbände. Wie | |
man das Ganze inszeniert, dafür hat sich Birken-Bertsch die Nächte um die | |
Ohren geschlagen. Er will Bücher auch als Objekte attraktiver machen. | |
Farbwelten, Schriften, Style. „Unsere urbanen Themen werden von anderen | |
Verlagen nur am Rande bedient“, sagt er. „Tropen“ aus dem Hause Klett-Cot… | |
und „Suhrkamp Nova“ heißen die Konkurrenzlabels. Netflix-Gucker und | |
Spex-Leser seien das typische Metrolit-Publikum. | |
Auch sonst denkt Aufbau heute andere Medien mit. Im Frühjahr 2014 haben sie | |
ein kleines Audioprogramm gegründet. Über 15 Prozent des Aufbau-Umsatzes | |
spielen die E-Books zurzeit ein. Genreliteratur läuft da gut: Krimis, | |
Romance. Für Leute, die früher die besonders dicken Taschenbücher in der | |
S-Bahn wälzten. | |
## Neue Erzähltrends | |
83 Prozent der E-Book-Umsätze kommen aus der Abteilung von Reinhard Rohn, | |
dem Unterhaltungschef. Er war es, der „Die Päpstin“ vor zwanzig Jahren zu | |
Aufbau holte, einen Megaseller. „Unser Angebot war gar nicht so hoch“, | |
erzählt er, 35.000 D-Mark. Ein Wendepunkt, Aufbau signalisierte damit, dass | |
der Verlag auch Titel fürs ganz große Publikum macht. „Wir wollen aber | |
nicht den achten amerikanischen Popcornthriller liefern“, sagt er, „sondern | |
Deon Mayer, der als Erster Südafrika auf die Thrillerlandkarte gebracht | |
hat. Der hat nicht nur eine spannende Geschichte, sondern auch über das | |
Land zu erzählen.“ Manche Dinge lässt Rohn auch lieber einfach sein: | |
Fantasy, Splatterthriller und erotischer Roman sind Aufbaus Sache nicht. | |
„Wir machen auch keine Aufbau-Fassung von Shades of Grey“, sagt Rohn. | |
Wer die ganze Bandbreite von Aufbau kennenlernen will, muss bei seinem | |
Randgang auch bei Lina Muzur vorbeikommen, der Lektorin, die Aufbau | |
kürzlich vom Umzug von München nach Berlin überzeugt hat. „Im Vertrag steht | |
nicht, wo ich Aufbau in einem halben Jahr hinbringen soll“, sagt die | |
34-Jährige, die jetzt das Literaturlektorat leitet, „aber das ist für beide | |
Seiten unausgesprochen klar.“ Neue Erzähltrends halt. Man kennt sich: Muzur | |
hat hier vor 14 Jahren ihr erstes Lektoratspraktikum gemacht, bevor sie | |
lange bei Hanser in München war. | |
Ronja von Rönne ist ihr jüngster Fang. „Das wird nicht der hundertste | |
Tschick-Roman oder Bernhard-Abklatsch“, sagt Muzur. Aber von Rönne ist auch | |
eine krasse Persönlichkeit. Gleichwohl hält Muzur es für eine „komische | |
Entwicklung“, dass man Autorenpersönlichkeiten vermarkte: „Die ersten | |
Fragen, wenn ich einen Titel präsentiere, sind: Wie alt ist er, wie sieht | |
er aus, kann er gut lesen?“ Die jüngere Generation wisse, dass sie solche | |
Qualitäten mitbringen soll, auf die es beim Schreiben „eigentlich nicht | |
ankommt“. Aber auch als Lektorin müsse sie „die ganze Zeit die Trommel | |
rühren für die Bücher, die man macht“. Hauptsache, die Vermarktung fühle | |
sich am Ende nicht so an, als verkaufe man ein „Joghurtglas“, sagt sie, | |
„das wäre schrecklich“. | |
Ihrer Autorin Ronja von Rönne hat Muzur zeitweise ein Büro im Aufbau-Haus | |
organisiert. Schreibtisch, strikt ohne Internet. Sensibel müsse man aber | |
umgehen mit Autoren, da sie per se die ganze Zeit verunsichert seien. Angst | |
und Schreibkrisen und andere Krisen: „Oft reicht es, ein bisschen zu | |
pampern.“ | |
Zurzeit ist Muzur viel unterwegs mit Agenten und Autoren in der Stadt: „Man | |
sitzt bei einem normalen Abendessen, und plötzlich kommt raus, dass die | |
Freundin von XY ein Buch schreibt. Dann tippt man der schnell eine | |
Nachricht.“ | |
Im ständigen Spagat halt. Aufbau 2015. | |
15 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Stefan Hochgesand | |
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