# taz.de -- Debütroman von Ronja von Rönne: Träume sind so nineties | |
> Der Roman heißt „Wir kommen“. Von Rönne porträtiert die „wohlbehüte… | |
> und depressivste“ aller Generationen – leider nicht bissig genug. | |
Bild: Ein Bild, so meta wie die Witze ihre Altersgenossen: Ronja von Rönne. | |
Muss es uns „jungen Leuten“ gut gehen. Dass wir uns so langweilen. Dass wir | |
uns so sehr langweilen, dass wir irgendwohin fahren, ohne zu wissen, was | |
wir da sollen. Dass wir Amazon-Rezensionen über Toaster verfassen und uns | |
über Gemüsekisten-Abos unterhalten. Dass wir eigentlich nichts zu erzählen | |
haben. Muss uns langweilig sein, dass uns Therapeuten erklären müssen, dass | |
das völlig in Ordnung ist. Und dass wir am besten drüber schreiben sollten. | |
Dass wir über all das dann tatsächlich Protokoll führen. So wie Nora. So | |
wie Ronja von Rönne. | |
Die nämlich hat genau das getan. Oder besser: sie hat ihre Protagonistin | |
Nora das tun lassen, so ein Protokoll führen lassen. Auf Ansage. Denn Ronja | |
von Rönne liegt das Thema, das beweist ihr Blog, das beweisen ihre | |
launischen Beiträge für die Welt, in denen sie schon seit einer Weile nicht | |
nur den heutigen Feminismus, sondern auch ihre eigene Generation aufs Korn | |
nimmt. | |
Nicht zuletzt handelte auch der Text, den sie vergangenes Jahr beim | |
Bachmannpreis in Klagenfurt vorlas, von abgeklärten Langweilern wie Nora, | |
von den Studentinnen der zehner Jahre. Der Text war sarkastisch und böse – | |
und irgendwie wahr. Über ihre Generationskolleginnen standen darin Sätze | |
wie: „Sie studieren Kulturwissenschaft oder Politikwissenschaft, in den | |
Semesterferien reisen sie nach Asien, lassen sich von australischen | |
Backpackern ficken und irgendwo im Hinterland Indiens fühlen sie sich auf | |
einmal ganz klar und wissen, was sie vom Leben wollen.“ | |
Auch in ihrem ersten Roman „Wir kommen“ porträtiert die Autorin die | |
„wohlbehütetste und depressivste“ aller Generationen. Allen voran Nora. Die | |
ist jung, privilegiert und Schauspielerin. Um Geld und Miete muss sie sich | |
eh keine Sorgen machen. Den Eltern sei Dank. Außerdem ist Nora nicht | |
allein. Mit Jonas, Karl und Leonie lebt sie in einer offenen | |
Viererbeziehung. Nora hat alles, was sie braucht. Und genau da liegt ihr | |
Problem. | |
Ausdruck findet es in regelmäßigen Panikattacken. Der Psychotherapeut rät | |
ihr zum Protokoll. Nora ist genervt, trotzdem schreibt sie. Über ihre | |
Provinz-Kindheit und ihre damalige Freundin Maja, die mittlerweile tot sein | |
soll. Über Jonas, den depressiven Grafikdesigner, der inzwischen viel | |
lieber mit Leonie schläft als mit ihr. Über Karl, der seine Depressionen | |
mit Hilfe von Yoga in Schach hält, den ausgeglichenen Sachbuch-Autor gibt | |
und so gern in „inhaltlosen Büchern mit schöner Typo blättert“. Und über | |
Leonie, junge Mutter eines sprach- und vaterlosen Kindes, die zu alldem ihr | |
stählernes Lächeln aufsetzt und sich zum Ausgleich eben ab und an ein wenig | |
selbst verletzt. | |
„Wir sahen aus wie alle anderen hier“, heißt es, als sich die vier auf | |
einer öden Hausparty wiederfinden, „wir sprachen den gleichen Code, wir | |
tranken unser Gemüse püriert und nannten das kalifornisch, wir waren | |
genauso schlechte Menschen wie alle hier, aber wir waren schlechte | |
Menschen, die beschlossen hatten, zusammenzugehören“. | |
Selbst das aber funktioniert nicht. Und so bröckelt die Beziehung, kaum ist | |
sie beschrieben. Auch ein paar gemeinsame Tage am Meer können sie nicht | |
retten. Im Gegenteil, auf der so großen wie gezwungenen Reunion-Party in | |
Karls Strandhaus, die stark an Rollos rauschend-tragisches Fest aus Krachts | |
„Faserland“ erinnert, kommt es zum Eklat. | |
Dass man überhaupt oft an einen Poproman erinnert ist, liegt auch am ätzend | |
abgeklärten Sound seiner Protagonisten. Träume sind nineties. Nora und Co | |
haben alles durchschaut, alles probiert, alles gesehen, alles erlebt und | |
alles gelesen. Sogar Popromane. Und selbst die sind ihnen Klischee | |
geworden. Bonjour Tristesse. | |
Doch was früher Lebensgefühl war, Protest und Pose, ist heute, eben, | |
Klischee, nicht nur was „zutiefst unglückliche Beziehungen mit | |
geschmackvollem Interieur“ angeht: „Man kannte die Angst vor dem Fall, man | |
wusste Klischees zu bedienen, man wusste nicht, was man alldem | |
entgegensetzen konnte.“ Was alldem entgegensetzen? Der Roman zuckt mit den | |
Schultern, kratzt sich am Kopf. Auch er verliert sich irgendwann in den | |
Klischees. Bedient sie, wohl wissend, dass er das tut. | |
Was folgt, ist ein unaufhaltsamer Strom aus gesteigerter Langeweile – für | |
Figuren und Leser. Was folgt, ist viel Ironie und Metawitz. Man vermisst: | |
den beißenden Spott und bösen Sarkasmus der Artikel von Rönnes, den Sound, | |
der aufschreckt und provoziert. Man vermisst: die großartig rotzige | |
Arroganz der Welt-Redakteurin, die mit Anlauf in die Nesseln der politisch | |
korrekten, durchgegenderten Zehnerjahre-Wohlstandsblase springt. Man liest: | |
eine Autorin, der, gefangen in ihren Langweilerfiguren, der Ton | |
abhandenkommt, der Zug. Leider. | |
4 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Moritz Müller-Schwefe | |
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