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# taz.de -- Bachmann-Preis 2015, 2. Tag: Ronja und die Veganesis
> Die Nacherzählung der Bibel und das Mädchen aus der Großstadt: Am zweiten
> Tag in Klagenfurt war die Laune nicht so gut – trotz Ronja von Rönne.
Bild: Große Gesten: Ronja von Rönne in Klagenfurt.
Klagenfurt taz | Am ersten Tag war’s luftiger. Als noch Auftaktnervosität
im Klagenfurter ORF-Theater hing und die Gebanntheit der Zuschauer an ihrer
Geräuschlosigkeit ablesbar schien. Heute hakt es irgendwie, Gewusel,
Gemurmel, Smartphonegefilme; Moderator Christian Ankowitsch ist sauer, weil
er sein Bachmann-Preis-Publikum nicht unter Kontrolle kriegt, eine
Sechstklässlerin ist sauer, weil es im Raum keinen Handyempfang gibt, die
Luft ist sauer, weil es voller ist als tags zuvor und sich über die Stunden
der Studioschweiß sammelt. Und die Jury: Scheint zu loben, wenn sie
kritisieren könnte, und zu kritisieren, wenn sie loben könnte.
Erster Fall: Die Geschichte eines Menschenhassers. Peter Truschner liest
sie vor, gebürtiger Klagenfurter, sein zweiter Roman war 2007
Deutscher-Buchpreis-Anwärter. Nun also liest er von diesem jungen Mann, den
die Menschen anekeln, „RTL-Reptile mit Hackfresse“ nennt er sie,
„aufgedrehte Minirockmädchen“; er hält nicht aus, wie die „Bulgaren oder
Albaner“ vor seiner Wohnung im Müll nach Plastikflaschen suchen.
Es ist die Innensicht eines Rassisten, Desinteressierten, eines
Porno-Red-Bull-Poker-Konsole-Druck-und-Spucke-Freunds – geschildert von
einem auktorialen Erzähler, den es, so sagt Jurorin Meike Feßmann, nicht
bräuchte.
Und dass der Held „explizit dargestellt“ wird, „vom Denken und Reden kein
Ministrant ist“; und dass sich Truschner, der Autor, Worthülsen bedient –
sicher stimmt das alles. Aber nachdem ihm ein „riesengroßer Haufen voller
Floskeln“, ein „nicht sehr geordnetes Ding“, „Schusseligkeiten oder ganz
einfach Fehler“, eine „extrem große Unsicherheit“ und
„Möchtegern-Ausdruckshaltung“, eine „Welterklärungs-Pose“ attestiert …
– da liegt noch „Arbeit“ drin, „die geleistet werden muss“, „da ist…
der ist nicht lebendig wie ein Fisch im Wasser“, da ist jemand, der Phrasen
kauft „wie im Baumarkt“ – da fragt man sich doch: War’s denn wirklich so
schlimm?
## Im Buxtehuder Forst
Zweiter Fall: Monique Schwitter, studierte Theaterregisseurin und
Schauspielerin, die in ihrem Porträtfilmchen – von denen jeder Autor eines
hat und die, entsprechend getimt, vor der zugehörigen Lesung eingeblendet
werden – mittels Stop-Motion-Technik durch den Wald steppt und pfeift.
Darum geht es dann auch gleich in ihrem Text: Wir befinden uns im
Buxtehuder Forst und suchen, gemeinsam mit ihr und ihrem schwulen Freund,
nach einem Grab für dessen Mutter. Wobei noch sieben weitere Personen in
diesem Grab Platz finden können, Achim und Fredi und Julika womöglich,
später gibt es auch noch Wolf und Bärbel, die Hauptfigur hat außerdem
Kinder und einen Mann, beim Arzt trifft sie Silke, die dumme Kuh, außerdem
hat der schwule Freund seinen Angelo verloren, und insgesamt handelt alles
von der Liebe und der Abwesenheit der Liebe und der Liebe verschiedener
Generationen.
Kein bisschen stört sich die Jury da an der Flut der Namen. Oder daran,
dass dauernd einer sachbuchartig „seufzt“ im Text. Oder daran, dass die
Kinder „großer Kleiner“ und „kleiner Kleiner“ heißen, dass „wo blei…
eigentlich der Frühling?“ gerufen wird, Pathosgewitter die Zeilen
erschüttert – „Kräftiger Wind kommt auf. Wir frieren in unseren
durchnässten Pullovern“, „er sieht zum Fenster hinaus und denkt nach“,
„,Die Liebe’, Nathanael macht eine lange Pause, in der er nicht atmet, ,hör
mir auf damit!’“ – nein, die Jury kann gar nicht benennen, warum ihr „a…
daran gefällt“.
Hubert Winkels, bisher nicht um Sätze ringend, versucht mit vielen Sätzen
seiner „Begeisterung ein halbwegs rationales Aussehen zu geben“. Kastberger
will gar einen „Bonsaibarock“ erkennen, was immer das sein mag, ihm gefällt
jedenfalls, „dass der Text eine Schnauze hat“; Hildegard E. Keller mag die
„unerhörte Unmittelbarkeit“ und bei Stefan Gmünder sind’s die
„Leerstellen“.
## Keine Gattung, kein Sinn
Was noch?
Lyrik über Leichen, über Kirschen und Körper, Scharfschützen und Sex,
changierend zwischen „politischer Parabel“ und „Manifest“, bestückt mit
„Frankensteinmotiven“ und „Tötungsorgie“. Außerdem: Die Bibel, neu er…
Als Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben werden, müssen sie langsam zu
Sündern werden und Tiere töten. Ist das vielleicht, wie eine fragt, „die
Veganesis“? Kinderliteratur? Nötig? Die Gattung? Der Sinn? Dahin.
Schließlich der dritte Fall: Ronja von Rönne hat ihren Auftritt. Flüssiger
Vortrag, hübsche Frau, alle gucken hin und scheinen drauf zu warten, dass
sie einen Fehler macht. Stattdessen erliegt man ihr und schenkt Lacher, die
meisten bekommt sie hierfür: „Ne, ehrlich, sagt mal, habt ihr da
irgendwelche Verbesserungsvorschläge?“, fragt das Mädchen mit Dreadlocks
und leerem Blick in die Runde. Habe ich, aber nur für ihr Gesicht. Burka.“
Und doch, „Welt am Sonntag“, so nett dieser Titel für ihre Geschichte ist:
Bleibt es eben die eines Großstadtmädchens, das sehr früh erwachsen
geworden ist und deshalb schon sehr viel gesehen hat und deshalb kaum mehr
zurück kann zu den anderen, kleinstädterischen Mädchen, den Mädchen in
Karlsruhe zum Beispiel, die halt beim Bier gern über Jungs reden, die
Schluss machen. Diese Mädchen, die in ihrer Einfachheit in Wahrheit zu
beneiden sind.
## Alles Pose. Gnadenlos banal
Zunächst aber muss da eine höchstgradig einsame, depressive, verkaterte
Person in einem leeren Hotelbett aufwachen. Gibt es eigentlich Statistiken
darüber, wie viele Romane mittlerweile so anfangen? Ah, die Scheißsonne
blendet. Wo sind die Scheißvorhänge.
Winkels, der Ronja von Rönne eingeladen hat, verteidigt die „Suche nach dem
authentischen Moment“ der Figur, das herausgestellte
„Sich-Nicht-Zurechtfinden in einer vorgemodelten Welt“. Meike Feßmann
übernimmt die Gegenposition und sagt: „Alles Pose. Demonstrative Pose.“
Sagt: „Kokettierende Selbstbezüglichkeit.“ Sagt: „Gnadenlos banal.“ Da…
werden weitere Begriffe gesagt, die jetzt gesagt werden müssen. Sagt jemand
„Coolness“, sagt jemand „Dekadenz“. Sagt jemand „Sinnsuche“, sagt j…
„Sehnsucht“. Sagt jemand „Anpassung“, sagt jemand „System“.
Nur Sandra Kegel von der FAZ: Die sagt gar nichts.
3 Jul 2015
## AUTOREN
Annabelle Seubert
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