| # taz.de -- Bachmann-Preis 2015, 3. Tag: Pippi wird erwachsen | |
| > Michael Jackson, Märchen, Affen: alles dabei. Auch am letzten Tag vor der | |
| > Preisverleihung gibt es Absurdes zu lesen – und zwei neue Favoritinnen. | |
| Bild: Teresa Präauer während ihrer Lesung in Klagenfurt. | |
| Klagenfurt taz | Am Samstag stellt sich in Klagenfurt als erstes die Frage, | |
| ob man als Schriftsteller, der den Bachmann-Preis gewinnen möchte, ernst | |
| dreinschauen muss. Dreeein-schauen: So heißt das doch in Kärnten. Wird man | |
| also ernster genommen, als Schriftsteller, wenn ernst dreingeschaut wird? | |
| Sollte Leiden immer noch einziger Ursprung einer jeder Kunstform sein, und | |
| sollte dieses innerliche Leiden, das nach außen dringen will – ach was, | |
| muss: auf Papier, auf Leinwand, in eine Komposition – dem Körper unbedingt | |
| anzusehen sein: Dann macht Jürg Halter vieles richtig. Um 10 Uhr sitzt er | |
| da, scheinbar mienenlos, und liest im ORF-Theater einen Text vor, in dem | |
| ebenfalls ein Mensch dasitzt. Um 5 Uhr 20 allerdings schon. | |
| Der Mensch macht sich Gedanken, die von seiner Haut zu den | |
| Kontinentalplatten der Erde reichen. Und darüber hinaus: Er macht sich | |
| Gedanken über den Tod, über die Angst vorm Tod, über Technologie, über das | |
| 21. Jahrhundert, über Bildungsreisen, Einfamilienhäuser, das Universum, vor | |
| allem eben: über den Sinn. Das schafft kluge Sätze (“Nach Aufklärung folgt | |
| Verklärung“, „Der Mensch erkennt und vergisst“). Klingt aber nach Wort z… | |
| Sonntag (“Nach Aufklärung folgt Verklärung“, „Der Mensch erkennt und | |
| vergisst“). | |
| Schreibt hier Gott? Fragt sich folglich die Jury. Und warum muss sich das | |
| die Jury erklären? Und sollte sie nicht mal aufhören zu erklären? Und hört | |
| es nicht hier aber mal auf: Wenn ihr verboten wird, zu erklären? | |
| ## Auf der Toteninsel | |
| Mitten rein in die Welt zoomt man das Publikum immerhin ab jetzt – und dann | |
| sogar in verschiedene Länder. Los geht’s auf einer Insel, die Jurorin | |
| Sandra Kegel „Toteninsel“ nennt: Sträucher, Erde, alles ist verbrannt. Das | |
| Essen: verdorben. | |
| Ziemlich wahrscheinlich sind wir in der Adria gelandet, auf Brač, wo | |
| Autorin Anna Baar zu Hause war, wenn sie nicht in Österreich zu Hause war. | |
| Hin- und hergerissen zwischen dort und da, beschreibt sie in einem Auszug | |
| ihres Romans die Möglichkeiten, als Mädchen auf Brač zu pubertieren – unter | |
| der Obhut einer Großmutter, die hart ist und fürsorglich, zart und brutal, | |
| in jedem Fall kroatisch und bestimmt nicht am Österreichischsein | |
| interessiert. | |
| Wobei: Obhut? Führen Oma und Enkelin nicht eher einen Mittelmeerkrieg? Ganz | |
| fein entsteht hier eine Stimmung, wechseln Abscheu und Liebe füreinander. | |
| Man sieht die Großmutter im Abfall wühlen, den „zu großzügig entfernten | |
| Mangoldstrunk“ wieder rausholen, ist bestimmt noch zu was gut; man hört die | |
| Boote am Strand aneinander klacken. | |
| Und trotzdem leidet die Sprache unter Überfrachtung, zu viel gewollter | |
| Sprachgewalt, „ziemlich vielen schrägen Bildern und Umständlichkeit“, wie | |
| Meike Feßmann urteilt. Tatsächlich würde man – wenn etwa aus einem | |
| Aschenbecher „Berge verkohlter, achtlos aufeinander geworfener Körper aus | |
| Korkhaut und Papier“ quellen – manche Zeile kurz durchschütteln wollen. | |
| Oder für sich denken: „Zigarette“ tut’s doch auch. | |
| ## Michael Jackson patzt | |
| Weiter geht’s nach Rumänien, per Zeitreise katapultiert in die Jahre nach | |
| Ceaușescus Exekution, in der die Bevölkerung nun auf westliche Ideale und | |
| vor allem Michael Jackson steht. Das Friedens- und Freiheitsgefühl gipfelt | |
| während eines Konzerts, das er in Bukarest gibt – die Menge glüht, Jackson | |
| macht „uuuh“, Feuerwerk, Funken, errettet, erlöst – und plötzlich: Verp… | |
| dieses Gefühl. Stirbt ab, als er ans Mikro tritt: „Hello, Budapest!“ | |
| Budapest. „I love you.“ | |
| Ein Romanauszug mit „Märchenton“, eine „Burleske“, eine „Satire in d… | |
| Etappen“, die „zumindest 200 Seiten weitergehen“ möge. Am Nachmittag ist | |
| klar: Dana Grigorceas „Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit“ trägt ein… | |
| Gewinnertitel wie „Die Unerträglichkeit des Seins“, bestimmt mal ein | |
| Gewinnercover wie das von „Der Schatten des Windes“ – und hier, in | |
| Klagenfurt, hochgehandelten Gewinnerinhalt. | |
| Den legt allerdings auch eine andere vor, mit einem „Rap“, einem | |
| „Soundtrack zum Lesen“ – die Jury wird sich nicht einig – jedenfalls mit | |
| einem Text über einen Mann, der sich für eine Frau sprichwörtlich zum Affen | |
| macht. Er geht wirklich in einen Kostümverleih und zieht sich ein | |
| Affenkostüm an, ähnlich wie Michael Jackson macht er „u-u-u“ und kauft si… | |
| Schokobananen im Supermarkt. | |
| Dass das „so ist, als ob Pippi Langstrumpf erwachsen geworden ist“, kann | |
| man mögen, weil die Klagenfurt-Kommission das mag. Muss man aber nicht. | |
| Mögen muss man aber schon: Wie gar nicht ernst Teresa Präauer, die | |
| Schriftstellerin, nach ihrem Auftritt dreinschaut. Sie lacht sogar richtig, | |
| als sie aufsteht. | |
| 4 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Annabelle Seubert | |
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