# taz.de -- Krimis aus und über Südafrika: Dreck am Stecken | |
> Was läuft schief in Südafrika? Drei packende Kriminalromane liefern auf | |
> sehr unterhaltsame Weise erzählerische Antworten. | |
Bild: Aus den internationalen Nachrichten kennt man Ereignisse wie das Massaker… | |
Fangen wir mal mit einer Schmähung an. Warum gibt es kein „CSI: Cape Town“ | |
im Fernsehen? Ganz einfach: „Die hätten die Resultate aus dem Labor zum | |
ersten Fall nach Ende der Serie gehabt.“ Colonel Vaughn de Vries muss es | |
wissen. Er ist ein alter Haudegen der Kapstädter Kriminalpolizei und einer | |
der wenigen Buren dort. Früher war die südafrikanische Polizei von Briten | |
dominiert, heute will sich die schwarze Bevölkerungsmehrheit des Landes bei | |
den Ordnungshütern entsprechend repräsentiert sehen. Und es steht weiterhin | |
schlecht um den Ruf der Polizei am Kap. | |
Ausgedacht hat sich den zynischen Colonel der in London und Kapstadt | |
lebende Autor Paul Mendelson. Mit „Die Unschuld stirbt, das Böse lebt“ gibt | |
der Dramatiker und Sachbuchautor ein furioses Krimidebüt. Colonel, den | |
militärischen Rang hatte sein Ermittler nur vorübergehend nicht inne. 1994 | |
hatte die ANC-Regierung unter Nelson Mandela zivile Bezeichnungen wie | |
Commissioner (Kommissar) eingeführt. 2010 kehrte man jedoch zu den alten | |
Dienstgraden aus der Apartheidszeit zurück. | |
Schön ist das nicht. Mendelsons Kriminalbeamter hat so einiges zu | |
kritisieren am SAPS (South African Police Service), vor allem an seinen | |
Vorgesetzten. Der wettergegerbte Säufer de Vries und sein Warrant Officer | |
(Inspector) Don February schlagen sich mit dem Mord an zwei zu Lebzeiten | |
offenbar jahrelang sexuell missbrauchten Teenagern herum. In der Truppe | |
tobt währenddessen ein an Hautfarben orientierter übler Machtkampf. In | |
dessen Strudel geraten auch de Vries und February. Es sind nicht die | |
Fähigsten, die aus solchen Auseinandersetzung siegreich hervorgehen. | |
Vor allem diese Rahmenhandlung macht den recht konventionell nach allen | |
Regeln der Kunst zügig auf seinen Showdown zusteuernden Thriller so | |
lesenswert. Aus den internationalen Nachrichten kennt man Ereignisse wie | |
das Massaker südafrikanischer Polizeieinheiten an 34 protestierenden | |
Minenarbeitern in Marikana 2012. Oder den zweimaligen Austausch der | |
Polizeiführungsspitze durch die ANC-Regierung im vorigen Oktober. | |
Wie Mendelson dagegen die auch nach dem Ende der Apartheid fortbestehenden | |
Ressentiments und Vorurteile der Bevölkerungsgruppen auffächert, sie anhand | |
des von Korruptionsskandalen geschüttelten Polizeiapparats unter häufigen | |
Perspektivwechseln durchspielt, gehört zum Besten, was das Genre zurzeit zu | |
bieten hat. | |
## Irritierend brutal | |
Das durchgedrehte und irritierend brutale Ende des Romans lässt sich als | |
Menetekel verstehen. Als düstere Mahnung, wohin fortdauernde, mit harten | |
Bandagen ausgetragene ethnische Konflikte ein Land bringen können. | |
Mendelson gibt zwar neben James Ellroy seinen älteren südafrikanischen | |
Kollegen Deon Meyer als Vorbild an, allein dessen verhaltenen Optimismus | |
teilt er nicht. | |
Kaum versöhnlichere Töne schlägt auch Mendelsons hoch gelobte | |
Schriftstellerkollegin Malla Nunn an. Die Handlung ihres neuen Buchs, „Tal | |
des Schweigens“, siedelt sie wie bereits ihre zwei Vorgänger in den 1950er | |
Jahren an. | |
Wie alle guten Krimis ist es zugleich auch ein packender | |
Gesellschaftsroman. Nunn wanderte mit ihren Eltern in den 1970ern nach | |
Australien aus. Als „gemischtrassiges“ Paar waren sie besonders mit dem | |
System der Rassentrennung in Südafrika in Widerspruch getreten. Nunn wohnt | |
bis heute nicht wieder am Kap. Ihrer starken Schreibe, aus der gelegentlich | |
der Duft der Regenzeit des südlichen Afrikas aufsteigt, ist das nicht | |
anzumerken. | |
## Nicht ganz weiß | |
Nunns Cop, der nicht ganz weiße, aber gerade als weiß eingestufte Detective | |
Sergeant Emmanuel Cooper, befindet sich zwischen den Laken mit der | |
Geliebten seines Chefs. Da ereilt ihn der Anruf des Chefs. Eine junge Frau | |
wurde ermordet. Cooper soll sich umgehend mit seinem Kollegen Shabalala von | |
der Native Detective Branch von Durban aus in ein ländliches Kaff namens | |
Roselet begeben, gelegen in der Nähe der den Drakensberge im saftig-grünen | |
Kamberg Valley. Shabalala, „ein Schwarzer im Anzug“, wie sich dort die | |
Leute bei seiner Ankunft wundern werden. | |
Natives, Eingeborene, wie das Apartheidregime die Schwarzen nannte, hatten | |
eine eigene Polizeieinheit. Diese hatte wenige Befugnisse. Sie war den | |
Nachkommen der Kolonisatoren untergeordnet, selbst wenn Polizisten höhere | |
Ränge bekleideten. Natives wurden hinzugezogen, wenn es galt, unter | |
Schwarzen zu ermitteln. Detective Shabalala ist es in den 1950er Jahren | |
nicht erlaubt, ein Auto zu steuern. Es zählt zu den Skurrilitäten der | |
früheren Apartheid, dass ihn sein weißer Vorgesetzter durch den | |
südafrikanischen Linksverkehr kutschieren muss. | |
## Unterdrückung in der leisesten Körpersprache | |
Nunn ist eine Meisterin darin, die Unterdrückung noch in der leisesten | |
Körpersprache darzustellen. An der Zusammenarbeit ihres ungleichen | |
Ermittlergespanns, beides sensible Männer mit ausgeprägtem | |
Gerechtigkeitssinn, macht die Autorin das Ausmaß der Repression im | |
damaligen Regime deutlich. Nunns Hauptaugenmerk gilt dabei den Frauen in | |
ländlichen Regionen. Sie leiden unter traditionellen Rollenvorstellungen | |
der Stammesgesellschaft und dem rassistischen Sexismus ihrer weißen | |
Arbeitgeber. | |
Die junge Frau, die bei britischen Farmern als Hausmädchen arbeitete und | |
von ihrem Vater, einem Zulu-Häuptling, gerade gegen einige Rinder | |
verheiratet werden sollte, hatte kurz vor ihrer Ermordung noch versucht, | |
ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. So weit entfernt ist Nunns | |
Geschichte von der Gegenwart nicht. | |
Gleiche Chancen gibt es auch im Südafrika von heute für die meisten Frauen | |
nur auf dem Papier. Seit Längerem versuchen in KwaZulu-Natal Lokalfürsten, | |
mit Unterstützung von Staatspräsident Jacob Zuma, den patriarchalen | |
Stammesgesetzen aus grauer Vorzeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. | |
Malla Nunn macht ohne falsche didaktische Töne deutlich, was es bedeutet, | |
als Frau hier aufzuwachsen. | |
## Knackiges Sittengemälde | |
Mit einer etwas bemühten Exposition beginnt die in Heidelberg lebende | |
Südafrikanerin Charlotte Otter ihre Erkundung der offenen Wunden des | |
Landes. „Karkloof Blue“ spielt im Pietermaritzburg von heute. Ein | |
Holzkonzern unter schwarzer Führung droht das Habitat der titelgebenden, | |
vom Aussterben bedrohten Schmetterlingsart zu vernichten. Der scheinbare | |
Ökothriller entpuppt sich jedoch schon nach wenigen Seiten als weiteres | |
knackiges Sittengemälde, diesmal aus einer der nach außen hin niedlichsten | |
Provinzstädte Südafrikas. | |
Wie schon in Otters Erstling, „Balthasars Vermächtnis“, ermittelt wieder | |
die rastlose, auf hardboiled Art coole Reporterin Maggie Cloete. Bei der | |
Rodung werden versehentlich die Gebeine von einem Dutzend Teenagern | |
ausgebuddelt, alt genug, um aus der Zeit der Apartheid zu stammen. Dreck am | |
Stecken, das findet Cloete bald heraus, haben hier aber nicht nur die | |
damaligen weißen Herren der Gegend. | |
Wer wissen will, was in Südafrika heute los ist, darf keinen dieser Romane | |
auslassen. Das Land hat wie kaum ein anderes versucht, das Ende eines | |
Terrorregimes durch den weitgehenden Austausch des Personals in den | |
staatlichen Organen gründlich zu besiegeln. Die Kriminalromane des Landes | |
sind das Beste, was wir haben, um diesen Prozess, der so vielversprechend | |
begann und bei dem dann so viel schiefging, zu begreifen. | |
Für Südafrikas Leser lässt sich übrigens nicht von einem Krimiboom | |
sprechen. Dabei würde man sich wünschen, seine Protagonisten mit ihrer | |
glasklaren Sicht auf Vergangenheit und Gegenwart des Landes würden auch | |
dort stärker zur Kenntnis genommen. Aber bei einem durchschnittlichen | |
Monatseinkommen von 580 US-Dollar leistet sich in Südafrika kaum jemand | |
Bücher. | |
17 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Christiane Müller-Lobeck | |
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