# taz.de -- John M. Coetzees Autobiografie: Der Autor mit der Trickkiste | |
> Pünktlich zum 70. Geburtstag erscheint der dritte Teil von John M. | |
> Coetzees romanhafter Autobiografie auf Deutsch: "Sommer des Lebens". | |
Bild: Erhielt 2003 den Nobelpreis für Literatur: John Maxwell Coetzee aus Süd… | |
John Coetzee ist tot. Der südafrikanische Literaturnobelpreisträger | |
verstarb, mitten in der Arbeit am dritten Teil seiner Autobiografie, mehr | |
als Fragmente gibt es davon nicht, ein Jammer. | |
Entwarnung: Das ist nur der Hintergrund, vor dem J. M. Coetzee seinen neuen | |
Roman entstehen lässt. Schon dieses Szenario macht klar: In "Sommer des | |
Lebens" greift der Autor wieder tief in die selbstreflexive Trickkiste. | |
Bekannt ist Coetzee vor allem für seine zeitkritischen Werke über die | |
Kolonialzeit in Südafrika. Nicht zu Unrecht oft mit Beckett und Kafka | |
verglichen, wurde sein Drang zum Authentischen seit Ende der Neunzigerjahre | |
immer deutlicher - wie auch die Frage nach den Grenzen von Fiktion. "Sommer | |
des Lebens" zeigt das erneut. Die unveröffentlichten Fragmente des | |
Verstorbenen rahmen den Roman, die Tagebucheinträge öffnen und schließen | |
den Text. Vincent, ein Wissenschaftler, macht sich daran, die Lücken zu | |
schließen; Interviews mit Coetzees Umfeld sollen helfen, unbekannte | |
Facetten des Schriftstellers zu zeigen. Doch die Befragten reagieren brüsk. | |
Fünf Kapitel, fünf transkribierte Gespräche: mit Julia, der verheirateten | |
Geliebten, Cousine Margot, Adriana, Mutter einer Nachhilfeschülerin, der | |
Coetzee liebestoll Liebesbriefe schickte, mit Martin, einem Unikollegen, | |
und der Französin Sophie, einer weiteren Kollegin, eine weitere Liaison. | |
Diese Zeitzeugen hat Vincent ausgegraben, es sind Namen aus Coetzees | |
Notizbüchern. Es geht ihm um den "Sommer" seines Schaffens, um die Jahre | |
zwischen Coetzees Rückkehr aus den USA nach Südafrika 1971 bis zum | |
Erscheinen des Debüts "Dusklands" sechs Jahre später. "Diese Phase scheint | |
mir wichtig in seinem Leben", so Vincent, "wichtig jedoch bislang | |
unbeachtet; eine Zeit, in der er noch versuchte, als Schriftsteller Fuß zu | |
fassen." Die Interviewten sind skeptisch, vermuten dahinter Interesse an | |
Klatsch und Tratsch. | |
Der Text strotzt vor lässiger Selbstironie. Es entsteht das Bild eines | |
emotional unterentwickelten Typen, unansehnlich und ungekämmt, kryptisches | |
Zeug redend, der mit seinem Vater haust und Sex zu Schubert vollzieht. Ein | |
Einzelgänger und sturer Hund, der aus Prinzip Reparaturen an Haus und Truck | |
selbst übernimmt, "weil wir lange genug andere Menschen unsere Arbeit | |
machen ließen, während wir im Schatten saßen und zuschauten". Postkoloniale | |
Kritik taucht so als Subtext auf, wie üblich kommt Ethos bei Coetzee durch | |
die Hintertür. | |
Coetzee schließt mit "Sommer des Lebens" also seine autobiografische | |
Trilogie ab. Das Romanhafte war schon typisch für die ersten beiden Teile, | |
"Der Junge" und "Die jungen Jahre", darin distanzierte er sich qua | |
Erzählerhaltung von sich selbst, betonte das Fiktionale am Subjektiven. Er | |
war "er", ein Kerl namens "John". | |
Dass Coetzee 1997, zeitgleich mit "Der Junge", einen Essay mit dem Titel | |
"Was ist Realismus?" veröffentlichte, ist vielsagend. Zu dieser Zeit begann | |
er sein Spiel mit dem literarischen Spiegelkabinett. Seither widmen sich | |
alle Texte dieser vergnügten Selbstreferentialität; bis auf "Schande", muss | |
man hinzufügen, es war sein erster Roman, der im Südafrika der | |
Postapartheidsära angesiedelt war. | |
In "Sommer des Lebens" treibt Coetzee, der fictioneer, sein Spiel mit der | |
Doppelbödigkeit augenzwinkernd weiter. Gut, das brillante Changieren einer | |
diffusen Autorschaft durchzieht Coetzees Werk seit dem ersten Text, dennoch | |
ist die Steigerung dieser Selbstinszenierung kaum zu übersehen: Da sind | |
seit 1997 die Essays um die fiktive Schriftstellerin Elizabeth Costello, | |
Coetzees literarisches Alter Ego, die mit Verve über Tierrechte und | |
Moralvorstellungen debattiert; in "Zeitlupe" (2005) quartiert sie sich im | |
Leben eines alternden Mannes ein und entpuppt sich als seine Erfinderin; | |
das "Tagebuch eines schlimmen Jahres" (2007) verschmilzt radikal | |
Autobiografie, Essay und Roman. Diesmal eben Gesprächstranskripte, der | |
Erzähler macht editorische Eingriffe transparent, baut Kommentare, Lacher, | |
Pausen ein. Wie schon in den Costello-Texten beweist Coetzee, sonst eher | |
bekannt für Schwergängiges, Gespür für Pointen, ein Händchen für schnelle | |
Dialoge. | |
"Es geht mir nicht um ein endgültiges Urteil über Coetzee", sagt Vincent | |
einmal. Genau daran arbeitet sich Coetzee, der Autor, seit Jahren in seinen | |
Werken ab: an seinem eigenen Mythos. Am kommenden Dienstag wird er 70 Jahre | |
alt, am kommenden Donnerstag erscheint dann die deutsche Übersetzung dieses | |
Buchs. So erfrischend seine Sprache immer wieder sein mag, Selbstironie hin | |
oder her: Es wird höchste Zeit, dass John M. Coetzee sich wieder ein neues | |
Thema sucht. | |
J. M. Coetzee: "Sommer des Lebens". Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. | |
Fischer, Frankfurt a. M. 2010, 288 S., 19,95 Euro | |
6 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Anne Haeming | |
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Münchner Kammerspiele | |
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