| # taz.de -- Bühnenversion von J.M. Coetzee-Roman: Die Logik der Gewalt | |
| > Luk Perceval vertraut in seiner unterkühlten Bühnenadaption von Coetzees | |
| > „Schande“ an den Münchner Kammerspielen auf die Macht des Wortes. | |
| Bild: Gespenstischer Alltag: Szene aus „Perceval“ an den Münchner Kammersp… | |
| Ein schäbiger Pick-Up wippt auf und ab, erzeugt ein bedrohliches Quietschen | |
| durch das, was sich im Inneren abspielt: eine gewaltsame Paarung. Lucie | |
| (Brigitte Hobmeier), die Tochter des ehemaligen Universitätsprofessor David | |
| Lurie (Stephan Bissmeier), wird auf ihrer Farm in Südafrika von mehreren | |
| Männern vergewaltigt. Wir sehen nicht sie, sondern ihren hilflosen Vater, | |
| wie er in seiner erschütterten Männlichkeit im Dunkeln steht. | |
| Bedrohlich schleicht sich der namenlose dunkelhäutige Eindringling (Aaron | |
| Amoatey) nach der Schändung an Lurie heran. Sein aufflammendes Feuerzeug | |
| wirft in der Dunkelheit einen Lichtschein auf das Gesicht des Vaters. Der | |
| Junge hat sich Lucies Sommerkleid als Trophäe übergestreift. | |
| Diese Szene erzeugt das stärkste Bild dieser karg und unterkühlt | |
| dramatisieren, von Luries Monologen dominierten Inszenierung. Luk Perceval | |
| hat J.M. Coetzees Post-Apartheids-Meisterwerk „Schande“ über Rassismus und | |
| sexuelle Gewalt für die Münchner Kammerspiele nicht das erste Mal | |
| adaptiert. 2011 brachte er es bereits in Amsterdam auf die Bühne. | |
| ## | |
| Die Affäre mit einer Studentin, bei der ein sexueller Missbrauch durch | |
| Lurie suggeriert wird, kostet den Mann seinen Job. Die ungehemmte Lust auf | |
| schöne Frauen dominiert sein Leben, gnadenlos analysiert er seinen Trieb: | |
| „Wie alt war Origines, als er sich kastrierte?“ In Lurie tobt ein Krieg: | |
| Intellekt gegen Begierde. Zuflucht sucht er schließlich auf Lucies Farm und | |
| damit beginnt seine wahre Reise in das Herz der Finsternis. | |
| Wir sehen hier eine Handschrift Percevals, die sich von der körperlichen | |
| Drastik früherer Inszenierungen völlig unterscheidet. Er hat damit einen | |
| angemessenen Weg gefunden, um diesem komplexen Buch auf den Leib zu rücken | |
| und vertraut ganz und gar der theatralischen Dimension und Sprachmagie des | |
| skizzenhaften Textes, ohne die Geschichte mit krassen Bildern zu | |
| überfrachten. | |
| ## Verhängnisvolle Affäre | |
| Eine Strategie, die hervorragend klappt. Zwei Stunden lauscht man gebannt, | |
| wie sich Lurie, den Bissmeier überzeugend als blasierten, farblosen und | |
| gescheiterten Mittfünfziger mit einer völlig gestörten Beziehung zu Frauen | |
| darstellt, in dieser ruhigen Aufführung bis an die Grenze zum Erträglichen | |
| entblößt. Die Konzentration im Zuschauerraum ist spürbar. In Coetzees Stoff | |
| hätten auch viel Kunstblut und nackte Körper gesteckt. Die verhängnisvolle | |
| Verstrickung der Akteure in die traumatisierte südafrikanische Gesellschaft | |
| wird von Katrin Bracks großartigem Bühnenbild getragen, einer Installation | |
| aus dunkelhäutigen Schaufensterpuppen. | |
| Leider lässt Luries Ein-Mann-Show wenig Raum für die anderen Charaktere. So | |
| werden speziell die dunkelhäutigen Charaktere zu stereotyp abgehandelt, | |
| etwa die Sexarbeiterin Soraya (Lorna Ishema) und der sich in primitivem | |
| Kauderwelsch artikulierende Vergewaltiger. Vielschichtiger ist dagegen | |
| Lucies Nachbar Petrus, der sich als Farmer selbstständig macht, von Felix | |
| Burleson pragmatisch-zupackend gespielt. Er bleibt als Beschützer der | |
| Vergewaltiger eine wie Lurie von dubiosen Moralvorstellungen geprägte | |
| Person. Gut passt Burlesons gebrochenes Englisch: Sein ländlicher Kosmos | |
| unterscheidet sich von Luries eloquenter Welt. | |
| Der Logik der Gewalt scheint sich die lesbische Lucie schließlich zu | |
| unterwerfen, um als Nachfahrin der weißen Kolonialherren für deren Taten zu | |
| sühnen. Eindrucksvoll spielt Hobmeier die dunkelste Szene des Buches, als | |
| nämlich Lucie, schwanger nach der Vergewaltigung, ihrem Vater erklärt, sie | |
| wolle das Kind behalten und auf der Farm bleiben, auf der sie weiteren | |
| Übergriffen ausgesetzt ist: „Glaubst Du, ich hasse Kinder?“ Es ist auch ihr | |
| erschütterndes Bekenntnis, das an diesem Theaterabend nachhaltig berührt. | |
| 23 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Annette Walter | |
| ## TAGS | |
| Münchner Kammerspiele | |
| Schauspiel | |
| Romantik | |
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