# taz.de -- Nachruf Gabriele Wohmann: Die begnadete Vielschreiberin | |
> Sie war Feministin und sezierte mit Vorliebe die Bigotterie des | |
> bürgerlich-liberalen Milieus. Nun ist Gabriele Wohmann 83-jährig | |
> gestorben. | |
Bild: Gabriele Wohmann 2009 in ihrem Haus in Darmstadt, im Hintergrund ein ält… | |
„Wenn sie mit Schlachtermessern durch eure Schlafzimmer geht, werdet ihr | |
die Wahrheit wissen.“ Diesen martialischen Satz – eine Variation einer | |
Aussage der Manson Family – schrieb Heiner Müller, der Berserker unter den | |
Geschlechterkampfbeschreibern. | |
„Mit einem Messer“ hieß 1958 der erste Band mit Erzählungen der Autorin | |
Gabriele Guyot. Im selben Jahr erschien ihr erster Roman, „Jetzt und Nie“, | |
nun hieß die Autorin mit Nachnamen Wohmann, so wie ihr Ehemann Reiner, mit | |
dem sie seit 1953 verheiratet war. Doch anders als Müller hat Gabriele | |
Wohmann nie zu martialischen Wendungen greifen müssen, wenn sie die | |
Ehehölle beschrieb. | |
Ihre Waffe war das Seziermesser, mit scharfer Ironie drang sie in die | |
Geschlechterverhältnisse ein, in die Bigotterie des Bürgertums, die sie in | |
17 Romanen und Hunderten von Erzählungen und Kurzgeschichten ausmaß. | |
Daneben produzierte sie zahlreiche Dramen, Fernseh- und Hörspiele und | |
zeitlebens immer wieder Lyrik. Die Analyse der Verhältnisse von Menschen | |
untereinander hatte sie bei Tschechow gelernt, seine ruhige Art der | |
Konfliktbeschreibung war auch die ihre. Ihre bekanntesten Romane sind | |
„Paulinchen war allein zu Haus“ und „Schönes Gehege“. | |
Gabriele Wohmann wurde 1932 in eine Darmstädter Pastorenfamilie | |
hineingeboren, die sich nicht mit den Nazis gemeinmachte, und sie erlebte | |
während des Kriegs eine Art glückliche Kindheit, was sie selbst beinahe | |
befremdete. Auch ihre Ehe verlief harmonisch. Zudem war sie, die in den | |
Sechzigerjahren der Gruppe 47 angehörte, ungemein erfolgreich und erhielt | |
zahlreiche Literaturpreise. | |
Auf den klassischen Gabriele-Wohmann-Autorenfotos aus den Achtzigerjahren | |
lächelt dem Betrachter ein zuversichtliches Gesicht an, unter dem dichten | |
schwarzen Haar blicken hellwache Augen. Auf den Fotos aus den letzten | |
Jahren hat sie noch immer diese wachen Augen, und noch immer sieht man ihr | |
nicht an, wie viel sie rauchte. | |
## Große Lust am Klassenverrat | |
Umso mehr erstaunt es, dass diese weitgehend zufriedene Frau so beharrlich | |
die versteckten Lügen aufspürte – seltener im großen politischen Gefüge, | |
mehr im privaten, das, wie jedes Kind weiß, ja nicht minder politisch ist. | |
Dies lag sicherlich daran, dass sie eine Feministin war, zu einer Zeit, als | |
dieses Wort kaum bekannt war. Sie war keine Kommunistin, trommelte nicht | |
wie Grass für die SPD und gab auch keine Galionsfigur der Emma oder der | |
Courage ab. | |
Und dennoch sezierte sie die bürgerlich-liberale Sphäre, der sie | |
entstammte, mit einer großen Lust am Klassenverrat, an der | |
Nestbeschmutzung. Ein Teil des Publikums mied sie daher, andere, die | |
Reich-Ranickis Urteil folgten, sahen in ihr eine nichtsozialistische | |
Realistin, die sie auch nicht war. | |
Der Rückgriff auf Tschechow und andere frühe Realisten erlaubte ihr, die in | |
ihrer Schreibe keinesfalls rückständig war, vielmehr eine wahrhaftige | |
Beschreibung der Verhältnisse abseits der politischen Flügelkämpfe – die | |
sie nicht aus Feigheit mied, sondern um ihre künstlerische Integrität zu | |
wahren. Das Hässliche war bei ihr hässlich, das Vergängliche vergänglich, | |
sie war Realistin, wie gesagt, wenn auch zuletzt stärker Gott zugewandt. | |
## Unerschöpfliches Potenzial | |
Gabriele Wohmann, deren kreatives Potenzial unerschöpflich war und sie zur | |
begnadeten Vielschreiberin werden ließ, geriet dennoch in die Mühlen des | |
Systems. Da der Luchterhand Verlag nach mehreren Besitzerwechseln nicht | |
mehr ihre literarische Heimat sein konnte, musste sie, die nie nur in einem | |
Verlag veröffentlichte, in den Neunzigerjahren mehrmals die Verlage | |
wechseln, erst vor rund zehn Jahren fand sie im Aufbau-Verlag eine neue | |
Heimat – aber ihre Backlist wurde nicht mehr aufgelegt. | |
Für September ist unter dem Titel „Die Idee des Jahres oder Weihnachten | |
ohne mich“ ein Band mit Erzählungen zur Weihnacht angekündigt. Sicher ein | |
gutes Buch. Doch das Vermächtnis der Gabriele Wohmann, die am Dienstag im | |
Alter von 83 Jahren gestorben ist, bleiben vor allem ihre Geschichten aus | |
der rheinischen Republik, die sie so gut beschrieb wie wenige. | |
24 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Jörg Sundermeier | |
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Literatur | |
DDR | |
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