# taz.de -- Vertragsarbeiter aus Mosambik: „Moderne Sklaverei“ in der DDR | |
> Ehemalige DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik fühlen sich um ihren Lohn | |
> betrogen. Der Afrikabeauftragte Nooke sieht keine offenen Forderungen. | |
Bild: Um ihren Lohn gebracht: Ehemalige DDR-Vertragsarbeiter demonstrieren 2013… | |
Antonio Daniel mag Mitte 50 sein und ist zum zweiten Mal in seinem Leben in | |
Deutschland. „Als ich das erste Mal hierher kam, vor mehr als 30 Jahren, da | |
hatte ich noch viel mehr Haare auf meinem Kopf“, sagt der Mosambikaner, der | |
heute eine Glatze trägt. „Ich habe mich auf das Leben in der DDR gefreut | |
und dachte, meine Haare würden immer schöner werden.“ | |
Daniel kam damals voller Optimismus als einer von 21.000 mosambikanischen | |
Vertragsarbeitern in die DDR. Die Realität holte ihn ein, als er in der | |
Nähe von Cottbus Kohlen auf ein Förderband schippen musste. Und die | |
Realität holte ihn auch nach dem Mauerfall und seiner Rückkehr nach | |
Mosambik ein: Der Bürgerkrieg hatte sein Land im Griff. Statt der | |
versprochenen Karriere nach einem DDR-Aufenthalt wartete zuerst das Militär | |
auf ihn. | |
Die „Madgermanes“ (etwa: „die verrückten Deutschen“), wie die | |
DDR-Rückkehrer in Mosambik genannt werden, erlebten soziale Ausgrenzung. | |
Weil sie verhältnismäßig gut ausgebildet sind, werden sie von vielen als | |
lästige Konkurrenten um Arbeitsplätze angesehen. Andere werfen ihnen vor, | |
sie hätten es sich in Europa gutgehen lassen, während in Mosambik der | |
Bürgerkrieg tobte. | |
Die Folgen der Ächtung: Ihre in der DDR erworbenen Abschlüsse wurden nicht | |
anerkannt. Bis heute nicht. „Wenn wir krank werden, haben wir kein Geld für | |
das Krankenhaus“, sagt Daniel. Wenn bekannt sei, dass jemand ein | |
„Madgermanes“ sei, könne er leicht den Job verlieren. Darum sind die | |
ehemaligen Vertragsarbeiter bis heute auf bäuerliche und handwerkliche | |
prekäre Jobs angewiesen. | |
## Von ihren Familien verstoßen | |
In der Folge der Ausgrenzung wurden viele Madgermanes von ihren Familien | |
verstoßen, sie konnten oft keine eigenen Familien gründen. „Diejenigen von | |
uns, die schon gestorben sind, konnten sich nicht einmal einen Sarg und | |
eine würdige Bestattung leisten“, sagt Antonio Daniel. | |
Eine Tagung in Magdeburg zur Geschichte der mosambikanischen | |
Vertragsarbeiter ist der Anlass für die zweite Reise von Antonio Daniel | |
nach Deutschland gewesen. Unter dem Titel „Respekt und Anerkennung“ hatten | |
verschiedene kirchliche Träger, die Landesregierung Sachsen-Anhalt und | |
Einzelpersonen eingeladen. Anlass war der 40. Jahrestag der Unterzeichnung | |
des Vertrages über die Entsendung von Vertragsarbeitern zwischen der DDR | |
und Mosambik im Februar 1979. Die Veranstalter hatten acht ehemalige | |
Vertragsarbeiter nach Magdeburg geholt, die längst wieder in Mosambik | |
leben. Antonio Daniel ist einer von ihnen. | |
Die acht forderten die Auszahlung der ihnen zu DDR-Zeiten vorenthaltenen | |
Lohnanteile. 60 Prozent des 350 Mark überschreitenden Einkommens sowie die | |
Rentenversicherungsbeiträge wurden damals auf ein Regierungskonto gezahlt. | |
„Das Geld diente der Tilgung von entwicklungspolitisch fragwürdigen | |
DDR-Krediten gegenüber Mosambik“, sagt Hans-Joachim Döring vom | |
Ökumenezentrum in Magdeburg. „Davon wussten die Arbeiter und Arbeiterinnen | |
aber nichts.“ Im Gegenteil: Ihnen wurde gesagt, sie erhielten das Geld nach | |
ihrer Rückkehr nach Mosambik zurück. | |
## 2.000 blieben nach dem Mauerfall | |
21.000 mosambikanische Vertragsarbeiter kamen zwischen 1979 und 1989 in die | |
DDR. Nur 2.000 von ihnen blieben nach dem Mauerfall hier. Sie sollten für | |
wirtschaftliche Projekte der DDR in Mosambik ausgebildet werden und | |
personelle Engpässe in der DDR-Produktion stopfen. | |
Adelino Massuvira João, heute Integrationsbeauftragter der evangelischen | |
Kirche in Suhl und einst selbst Vertragsarbeiter, erinnert sich: „In | |
Vorbereitungskursen in Mosambik wurden wir mit militärischem Drill zum | |
Gehorchen erzogen. Das nahmen wir aber alles auf uns, denn es hieß, wir | |
seien die Auserwählten, um nach der Rückkehr aus der DDR etwas zur | |
Entwicklung unseres Landes zu leisten.“ | |
Dass er und seine Mitstreiter „als Zahlungsmittel benutzt wurden“ für den | |
Schuldenabbau Mosambiks bei der DDR, wie es Massuviro João formuliert, | |
hatte niemand von ihnen gewusst. Der Vertrag, der Grundlage war für ihre | |
Arbeit, war geheime Verschlusssache. Der Mann ist davon überzeugt, dass der | |
Vertrag einer Prüfung durch die Internationale Arbeitsorganisation ILO | |
nicht standhalten wird. | |
Als Mosambik ihn mit der DDR geschlossen hatte, hatte es sich gerade aus | |
der Kolonialherrschaft befreit. Mosambik hatte wenige Möglichkeiten, seine | |
Schulden bei der DDR abzuzahlen. Verzichten wollte die DDR darauf aber | |
nicht. | |
## Anwalt erschossen | |
Eine Fotoausstellung im Magdeburger Landtag zeigt die Magdermanos in | |
armseligen Hütten ohne Möbel. Jeden Mittwoch ziehen die Leute mit | |
DDR-Fahnen und deutschen Fahnen durch die Straßen von Maputo. Sie fordern | |
das Geld, um das sie sich von der DDR, Mosambik und schließlich der | |
Bundesrepublik betrogen fühlen. Lazaro Magalhaes, der Sprecher der Gruppe, | |
spricht in Magdeburg von „moderner Sklaverei“ und einem „Verbrechen gegen | |
die Menschlichkeit“. | |
Den Vertrag, der ihn verpflichtete, einen Teil seines Lohnes abzutreten, | |
hält er für eine Verletzung der Menschenwürde. Magalhaes spricht von einem | |
Versuch der DDR-Rückkehrer, die Gelder gegenüber der Regierung in Mosambik | |
einzuklagen. Doch bevor es dazu kam, sei ihr Anwalt erschossen worden. | |
Der Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin, Günter Nooke (CDU), sieht | |
allerdings aus Sicht der Bundesregierung keine offenen Forderungen. Die DDR | |
hätte ihre Pflichten aus dem Vertrag erfüllt. Die Rückzahlung der | |
Transferleistungen an diejenigen, die das Geld erarbeitet hätten, läge | |
somit in der Verantwortung von Mosambik. „Es ist nicht die Aufgabe des | |
deutschen Steuerzahlers, hier die Härten abzufangen.“ Auch | |
entwicklungspolitischen Projekten für die Madgermanes erteilt Nooke eine | |
Absage. „Es birgt immer Sprengstoff, eine einzelne soziale Gruppe als | |
Zielgruppe der Entwicklungszusammenarbeit herauszunehmen.“ | |
Das wollte Markus Meckel von der „Stiftung zur Aufarbeitung der | |
SED-Diktatur“ so nicht stehen lassen. „Das ist die heutige Position der | |
Bundesregierung“, sagt der letzte Außenminister der DDR, der zuvor als | |
evangelischer Pfarrer mosambikanische Vertragsarbeiter im Gottesdienst | |
kennengelernt hatte. „Die Debatte um die Entschädigung der NS-Opfer hat | |
gezeigt, dass es immer eines Regierungswechsels bedurfte, um da einen | |
Schritt weiterzu kommen. Die Geschichte von Opfern ist immer die Geschichte | |
von lange Vergessenen.“ | |
## 3.000 DM Entschädigung für die Ausreise | |
Antonio Daniel, der Mann mit Glatze, der einst bei Cottbus Kohlen geschippt | |
hatte, erlebt auf der Tagung eine Achterbahnfahrt seiner Gefühle. Die | |
Einladung dazu hatte ihm viel Hoffnung gemacht. Die Rede von Nooke, aber | |
auch die Tatsache, dass eine geladene Vertreterin des mosambikanischen | |
Arbeitsministeriums gar nicht erst gekommen war, schien sie wieder zu | |
begraben. „Wir verlangen unser Geld, bevor wir alle sterben“, sagt er auf | |
der Bühne in Magdeburg. | |
Und ein Kollege ergänzt, dass es noch weitere offene Forderungen gab: Die | |
letzte DDR-Regierung hatte verhandelt, dass jeder mosambikanische | |
Vertragsarbeiter, der die DDR wieder verlässt, 3.000 DM Entschädigung | |
erhält. Zahlen sollte das Geld der Betrieb. Doch nicht jeder Betrieb hat | |
gezahlt. Zwei Vertreter des ehemaligen Staatssekretariats für Arbeit und | |
Löhne der DDR, das die Einsätze der Vertragsarbeiter koordiniert und die | |
Lohnkürzungen vorgenommen hatte, bewerten die Vorgänge heute | |
unterschiedlich. | |
Jürgen Schröder teilt nicht die Einschätzung, es hätte sich um | |
„Sklavenhandel“ gehandelt. Er regt an, die „Magdermanes“ in deutschen | |
Entwicklungshilfeprojekten zu beschäftigen. | |
## Wenig bekannten Kapitels der DDR-Geschichte | |
Sein ehemaliger Kollege Ralf Straßburg hingegen – er macht sich seit Jahren | |
um die Aufarbeitung dieses wenig bekannten Kapitels der DDR-Geschichte | |
verdient – sagt: „Wenn die Betroffenen hier von moderner Sklaverei | |
sprechen, dann waren wir wohl dafür die verantwortlichen Sklavenhändler. | |
Mich schmerzt das sehr, denn die Betroffenen leben in prekären | |
Verhältnissen.“ | |
Er selbst sei jedoch bis 1990 immer davon ausgegangen, dass die | |
Vertragsarbeiter nach ihrer Rückkehr nach Mosambik die ausstehenden | |
Lohnteile von der mosambikanischen Regierung ausgezahlt bekämen. „Es gab | |
keine Hinweise für das Gegenteil.“ | |
3 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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