# taz.de -- Vertragsarbeiter in der DDR: Die Spuren der Madgermanes | |
> 15.000 Mosambikaner arbeiteten als Vertragsarbeiter in der DDR, viele in | |
> Leipzig. Einige gründeten Familien. Nach der Wende mussten sie zurück. | |
Bild: Theresa Hahnsch zeigt das einzige Foto, das sie von ihrem Vater noch hat | |
Ein Name, ein Foto und der Eintrag auf ihrer Geburtsurkunde: Mehr ist | |
Theresa Hahnsch von ihrem Vater nicht geblieben. Ihre Mutter spricht nicht | |
viel über ihn. Irgendwann Mitte der 1980er Jahre hatte diese den | |
Mosambikaner in Leipzig kennengelernt. Wie genau, das weiß ihre Tochter | |
nicht. Nur, dass ihr Vater als Stahlbauschlosser in einem Leipziger Betrieb | |
arbeitete. Das Paar bekam zwei Kinder. Kurz darauf musste ihr Vater zurück | |
in seine afrikanische Heimat gehen. Sie, Mutter und Töchter, haben ihn bis | |
heute nicht wiedergesehen. | |
Die beiden Schwestern sind mit ihrer Geschichte nicht allein. Wie viele | |
Kinder es von mosambikanischen Vertragsarbeitern in Deutschland gibt, weiß | |
man nicht genau. Malte Wandel schätzt, dass es mindestens 1.500 sein | |
müssten. „Vielleicht sogar mehr“, sagt er. Der Fotograf und Projektkünstl… | |
beschäftigt sich seit etwa zehn Jahren intensiv mit der Geschichte der | |
mosambikanischen Vertragsarbeiter in der DDR. | |
Als er 2007 Mosambik bereiste, sprach ihn plötzlich ein Tankwart auf | |
Deutsch an. Er sei ein Madgerman, erklärte er dem Reisenden. So werden in | |
Mosambik Arbeiter genannt, die einen Teil ihres Lebens in der ehemaligen | |
DDR verbracht haben. Wandel begann, sich für die Geschichte der | |
Vertragsarbeiter zu interessieren, und veröffentlichte seine Recherche 2012 | |
in einem Buch. | |
Kurz nachdem sich Mosambik 1975 von der portugiesischen Kolonialherrschaft | |
befreit hatte, brach ein brutaler Bürgerkrieg aus. Der brachte die ohnehin | |
schwache Wirtschaft vollständig zum Erliegen. Die Sowjetunion und die | |
Deutsche Demokratische Republik schickten Geld und Soldaten, außerdem | |
schloss die DDR 1979 einen „Vertrag zur Freundschaft und Zusammenarbeit der | |
Völker“ mit Mosambik. Im selben Jahr kamen die ersten Vertragsarbeiter nach | |
Ostdeutschland. | |
## Arbeit ja, Beziehungen nein | |
„Es war nicht geplant, dass so viele kommen“, erklärt Malte Wandel. Am Ende | |
reisten über 15.000 Vertragsarbeiter in die DDR ein. Die meisten von ihnen | |
übten einfache Berufe aus, etwa in der Fleischerbranche oder als | |
Gabelstaplerfahrer in einem volkseigenen Betrieb. Wohl um sicherzugehen, | |
dass die jungen Männer eines Tages in ihre Heimat zurückkehren würden, | |
wurde ihnen nur ein Teil ihres Lohnes in Deutschland ausgezahlt. Den | |
anderen Teil sollten sie erst in Mosambik erhalten. | |
In der Regel wohnten die Arbeiter in Wohnheimen in der Nähe ihres | |
Arbeitsplatzes. Manchmal gab es nebenan eine Schule, in der sie Deutsch | |
lernten. Viele der jungen Männer schlossen Bekanntschaften mit Deutschen. | |
Es entwickelten sich Freundschaften und auch Beziehungen. Dass diese nicht | |
immer gerne gesehen wurden, erlebte Anette B.* als junge Frau. Die | |
gebürtige Thüringerin verliebte sich Ende der 1980er während ihrer | |
Ausbildungszeit in Leipzig in einen Mosambikaner. | |
Jede freie Minute wollten sie zusammen verbringen, häufig übernachtete sie | |
bei ihm im Wohnheim. Doch das war verboten, die Gastarbeiter sollten keine | |
intimen Beziehungen zu deutschen Frauen pflegen. Daher wurden die Wohnheime | |
regelmäßig von der Polizei durchsucht. Einmal wurde Anette B. entdeckt und | |
mitgenommen. Die Beamten tadelten sie für ihr „unsittliches Verhalten“ und | |
brachten sie nach Leipzig-Thonberg auf eine der damals berüchtigten | |
venerologischen Stationen. | |
Dort wurde sie mit vielen anderen Frauen wochenlang immer wieder gezwungen, | |
sich gynäkologisch auf Geschlechtskrankheiten untersuchen zu lassen. Für | |
die Frauen waren die oft gewaltsamen Untersuchungen in den „Tripperburgen“, | |
wie die Stationen genannt wurden, eine traumatische Erfahrung. Viele von | |
ihnen kämpfen bis heute mit den Nachwirkungen. | |
## Löhne wurden mit Staatsschulden verrechnet | |
Nachdem sie aus der Klinik entlassen wurde, zogen Anette B. und ihr Freund | |
zusammen in eine eigene Wohnung. „Es war eine schöne Zeit für uns. Wir | |
haben gut zusammengepasst“, sagt sie noch heute. Doch die Wiedervereinigung | |
Deutschlands bedeutete für sie die Trennung: Zwar übernahm die | |
Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolger der DDR die Arbeitsverträge | |
der Gastarbeiter, doch wurden viele ihrer Betriebe geschlossen. | |
Sie durften nur bleiben, wenn sie einen festen Beruf gefunden oder | |
geheiratet hatten. Viele der Mosambikaner erlebten außerdem vor und nach | |
der Wende rassistische Anfeindungen und gingen freiwillig in ihre | |
afrikanische Heimat zurück. Auch der Freund von Anette B. verlor seinen Job | |
und musste nach Mosambik zurückkehren. Dort hofften die Vertragsarbeiter | |
auf die Auszahlung ihrer Löhne. Doch diese erhielten sie nie. „Schulden, | |
die Mosambik bei der DDR hatte, wurden mit den Löhnen verrechnet“, erklärt | |
Malte Wandel. | |
Dafür erhielt das afrikanische Land Zahlungen von der Bundesrepublik, um | |
die Gastarbeiter wieder zu integrieren. Aber auch davon haben viele der | |
Rückkehrer nichts gemerkt. Das hatte für sie weitreichende Folgen. „Viele | |
glaubten, die Vertragsarbeiter wollten ihren Lohn einfach nicht teilen“, | |
erklärt Wandel. Lange waren die Madgermanes in ihrem Heimatland deshalb | |
sehr unbeliebt. | |
## Kinder vernetzen sich | |
Aber nicht nur in Mosambik wirken die Ereignisse der Geschichte bis heute | |
nach. Jahrelang hat Anette B. versucht, wieder Kontakt zu ihrem Exfreund zu | |
finden. Möglich wurde es am Ende über das soziale Netzwerk Facebook. Heute | |
schreiben sie sich regelmäßig. Außerdem ist sie Teil einer geschlossenen | |
Facebookgruppe namens „Solibaby. Das was bleibt“. Hier vernetzen sich die | |
Kinder von ehemaligen mosambikanischen Vertragsarbeitern – sie nennen sich | |
selbst Solibabys – und andere Angehörige, um Informationen auszutauschen. | |
Auch Theresa Hahnsch ist Teil der Gruppe. Mit den wenigen Informationen, | |
die sie über ihren Vater hat, versucht sie ihn seit Jahren zu finden. Sie | |
hat ihre Kontaktdaten auch bei dem deutsch-mosambikanischen Netzwerk | |
„Reencontro familiar“ hinterlegt, das versucht, mosambikanische Väter mit | |
ihren deutschen Kindern wieder in Kontakt zu bringen. Ins Leben gerufen | |
wurde diese Initiative von dem bis vor kurzem in der Türkei inhaftierten | |
Menschenrechtler Peter Steudtner und Manuel Siegert, selbst Kind eines | |
Vertragsarbeiters aus Mosambik. | |
Trotzdem blieben Theresa Hahnschs Versuche, ihren Vater zu finden, bis | |
jetzt erfolglos. Seit neun Jahren lebt und arbeitet die gebürtige | |
Leipzigerin in der Schweiz. Dort hat sie eine Zufallsbekanntschaft zwar | |
nicht ihrem Vater, doch aber seinem Heimatland nähergebracht: Vor drei | |
Jahren fragte ein Mann aus Mosambik sie am Bahnhof in Zürich nach dem Weg. | |
Aus einem kurzen Gespräch entstand eine Freundschaft. Im April 2017 hat | |
Theresa Hahnsch ihn und seine Familie für vier Wochen in Afrika besucht. | |
Zusammen suchten sie nach ihrem Vater auf Bürgerämtern, starteten sogar | |
einen Aufruf bei einem lokalen Radiosender – alles vergeblich. | |
Trotzdem ist Theresa Hahnsch nicht enttäuscht. „Meinen Vater habe ich auf | |
der Reise vielleicht nicht getroffen. Dafür habe ich aber ein Stück von mir | |
selbst in seinem Land gefunden“, sagt sie. Und sie möchte unbedingt in das | |
Land ihres Vaters zurückkehren. Momentan versucht sie, für sich und andere | |
Solibabys eine Reise nach Mosambik im September dieses Jahres zu | |
organisieren – in der Hoffnung, ihren Vater vielleicht doch noch zu finden. | |
26 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Pia Siemer | |
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