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# taz.de -- Erfreuliche Nachrichten aus der Türkei: Menschenrechtler freigelas…
> Nach zwölf Stunden Verhandlung lässt das Gericht acht Menschenrechtler
> frei, darunter Peter Steudtner. Der Prozess geht am 22. November weiter.
Bild: Eine Illustration von Amnesty International: Menschenrechtler, die Terror…
Am Mittwoch hat in Istanbul die erste Anhörung im Büyükada-Prozess gegen
elf Menschenrechtsaktivisten begonnen. Darunter sind die Direktorin der
türkischen Sektion von Amnesty International, İdil Eser, und der deutsche
Staatsbürger Peter Steudtner. Der Vorwurf: Unterstützung einer bewaffneten
Terrororganisation. Nach dem knapp zwölfstündigen Verhandlungstag entschied
das Gericht, acht der verhafteten Angeklagten freizulassen, darunter auch
Steudtner.
Während eines Seminars zu Datensicherheit und Stressmanagement auf der
Istanbul vorgelagerten Insel Büyükada hatte die türkische Polizei das
Treffen gestürmt und Personen festgenommen. Taner Kılıç, der türkische
Vorsitzende von Amnesty International, der einen Monat vor jener Razzia in
Izmir festgenommen wurde, sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, Mitglied
in einer Terrororganisation zu sein. Er befindet sich derzeit wegen einer
anderen Anklage in Haft, wird jedoch auch in der Anklageschrift des
Büyükada-Prozesses beschuldigt. Das Gericht entschied, dass sein Fall nun
ausschließlich im Büyükada-Prozess behandelt werden soll.
Allen anderen wird in der Anklageschrift darüber hinaus vorgeworfen,
„gewaltsame Ereignisse“ geplant zu haben, die den Gezi-Protesten vom Sommer
2013 ähneln und „Chaos im Volk“ auslösen sollten. Die Anklageschrift stü…
sich auf die Aussagen von Dolmetschern, die an dem Seminar teilnahmen.
Ein schwerwiegender Vorwurf
Der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner forderte am Mittwoch in
seiner etwa einstündigen Anhörung seine „sofortige und bedingungslose
Freilassung“. „Der Vorwurf, eine Terrororganisation zu unterstützen, ist
ein schwerwiegender Vorwurf“, sagte er vor Gericht. Die Anklageschrift lege
keinerlei Beweise für eine Verbindung zwischen ihm und einer
terroristischen Organisationen vor: „Ich habe niemals eine terroristische
Gruppe unterstützt. Als jemand, der sich gegen Gewalt einsetzt,
widerspricht das meiner Persönlichkeit“.
Zu Beginn seiner Verteidigungsrede stellte Steudtner sich und seine Arbeit
vor. Seit dem Jahr 2000 arbeite er im Bereich der Menschenrechte und
Friedensarbeit. Er habe bisher in verschiedenen Ländern, darunter Mosambik
und Südafrika, Angola, Kenia, Nepal, Myanmar und Palästina gearbeitet. „Nie
zuvor habe ich mit türkischen Organisationen zusammengearbeitet“, sagte
Steudtner.
Nach seiner Festnahme hätten die Polizisten abstruse Anschuldigungen
gemacht: „Sie haben mir vorgeworfen, verschiedenen Terrororganisationen
anzugehören.“Die Festnahme selbst beschreibt Steudtner als „unmenschlich�…
Bis Mitternacht habe ihn niemand in der Polizeistation in Büyükada über den
Grund der Festnahme informiert, niemand habe ihn über das Recht, seine
Aussage zu verweigern, aufgeklärt. In seiner Verteidigungsrede kritisierte
Steudtner auch die türkischen Behörden: „Trotz unserer Anfragen hat die
türkische Justiz nichts dafür getan, um meine Rechte zu schützen.“
Der Versuch, Straftaten zu konstruieren
Die Angeklagte Özlem Dalkıran von der Menschenrechtsorganisation „Helsinki
Gruppe“ erklärte in ihrer Verteidigung, dass sie beschuldigt werde, das
Seminar auf Büyükada organisiert zu haben: „Das Versammlungsrecht ist in
der Verfassung garantiert. Die Tatsache, dass die Teilnahme an einer
Versammlung als Straftat bewertet wird, ist böswillig“. Über die ersten
Stunden der Haft sagte sie: „Ohne zu wissen, wofür wir beschuldigt werden,
saßen wir in einem Raum, in dem das Licht 24 Stunden an war, ohne frische
Luft.“
Der schwedische Menschenrechtler Ali Gharavi berichtete von einem
Menschenrechtssymposium im Jahr 2004, das mit einer Rede des damaligen
Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan eröffnet
wurde: „Der Ministerpräsident Erdoğan sagte damals, dass es ein
hervorragendes Interesse für das Symposium gebe und dass wir alle stolz
darauf sein könnten.“
Eine weitere Kuriosität, die Gharavi kundtat, bezieht sich auf eine
Landkarte, die die Behörden auf seinem Laptop fanden: „Sie beschuldigen
mich dafür, dass ich eine Landkarte besitze, auf der das Staatsgebiet der
Türkei in zwei Staaten geteilt sei. Dabei handelt es sich um eine
Sprachkarte des Nahen Ostens, also um eine Karte, auf der die Gebiete nach
verschiedenen, in den jeweiligen Gebieten verbreiteten Sprachen markiert
sind.“
Nichts zu bereuen
İdil Eser, die Direktorin der türkischen Sektion von Amnesty International,
wies die Vorwürfe wie alle anderen Angeklagten zurück: „Ich verstehe nicht,
wie es sein kann, dass wir ein Seminar über digitale Sicherheit und
Stressmanagement abhalten und dann für die Mitgliedschaft in drei
verschiedenen Terrororganisationen angeklagt werden.“
Nur weil eine Veranstaltung nicht auf Social-Media-Kanälen beworben werde,
sei sie nicht geheim. Ihre Verteidigung beendete Eser unter dem Applaus der
Anwesenden mit folgenden Worten: „Ich habe in meinem Leben niemals etwas
getan, das ich bereuen würde.“
Auch Nalan Erkem, wie Dalkıran Mitglied der Menschenrechtsorganisation
„Helsinki Gruppe“, skandalisierte den Vorwurf eines vermeintlich
konspirativen Treffens : „Während des Treffens waren unsere Handys an, die
Türen standen offen. Alles was wir dort sprachen, war von draußen hörbar.
Ich habe sogar Fotos und den Namen unseres Hotel auf Instagram gepostet.
Was soll das für ein geheimes Treffen gewesen sein?“
Prozess gegen Menschlichkeit
Nach den Verteidigungsreden forderte der Staatsanwalt die Freilassung aller
Angeklagten bis auf Veli Acu. Acu, der für die Menschenrechtsorganisation
IHGD und das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen arbeitet, sagte
zuvor: „Mir wird der Prozess gemacht, weil ich Menschen helfe. Das ist ein
Prozess gegen meine Menschlichkeit“
Das Gericht entschied nach den Plädoyers der Anwälte, acht angeklagte
Menschenrechtler freizulassen. Murat Dinçer, der Anwalt von Nalan Erkem und
Özlem Dalkıran sagte anschließend: „Das ist das, was wir erwartet haben.“
Es habe sie zunächst besorgt, dass der Staatsanwalt den Menschenrechtler
Veli Acu weiter in Haft behalten wollte. Eine solche Entscheidung hätte sie
traurig gemacht, so Dinçer.
Ferruh Erkem, der Ehemann von Nalan Erkem sagte: „Ich bin sehr glücklich.
Ich möchte, dass alle Menschen schöne Tage erleben.“ Ali Acur, der Bruder
von Veli Acu äußerte sich ähnlich: „Ich habe erwartet, dass Veli
freigelassen wird. Ich freue mich sehr.“ Der Prozess gegen die elf
angeklagten Menschenrechtler wird am 22. November im Istanbuler Gericht von
Caglayan fortgesetzt.
26 Oct 2017
## AUTOREN
taz. gazete
Gülten Sari
## TAGS
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Türkei
Peter Steudtner
Menschenrechte
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