# taz.de -- Politikerin über ihre Lebensgeschichte: „Die DDR war für mich d… | |
> Nomazulu Thata tritt in Bremen für die Feministische Partei Die Frauen | |
> zur Europawahl an. Im Interview spricht sie über ihre Vergangenheit und | |
> ihre Ziele. | |
Bild: Möchte Konservatismus überwinden: Nomazulu Thata | |
taz: Frau Thata, haben Sie Chancen, von Bremen aus ins Europaparlament | |
einzuziehen? | |
Nomazulu Thata: Ich bin sehr zuversichtlich. Ich trete auf Listenplatz vier | |
für die Feministische Partei Die Frauen an. Bis Ende Februar brauchen wir | |
aber erst mal 4.000 Unterschriften, um zugelassen zu werden. | |
Bei den letzten Wahlen erhielt die Partei Die Frauen höchstens 0,6 Prozent. | |
Das wäre zu wenig. | |
Ja, aber so sind Wahlen. Man darf nicht daran zweifeln, ob man gewählt | |
wird. Man sagt einfach: „Ich habe gute Chancen!“ Und meine Botschaft für | |
die Wahl ist stark. | |
Welche Botschaft? | |
Ich trete mit der Forderung an, Afrika bewohnbar zu machen, Armut zu | |
bekämpfen und die Lebensmittelversorgung sicherzustellen. Wir brauchen | |
einen Marshall-Plan für Afrika. Damit meine ich eine Zusammenarbeit mit | |
Europa, wo das technische Know-how zur Armutsbekämpfung vorhanden ist. So, | |
dass wir uns selbst helfen können. | |
Spielt Ihre Lebensgeschichte für Ihre Politik eine Rolle? | |
Sie spielt eine große Rolle. Dass ich in Simbabwe geboren bin und in | |
Deutschland als Lehrerin gearbeitet und einen Hochschulabschluss habe – das | |
kommt einmal in tausend Fällen vor. Oft müssen Afrikanerinnen hier | |
Toiletten putzen. Zum großen Teil sind die Fluchtursachen von Frauen | |
geschlechtsspezifisch, weil sie ihre Sippe, die Tradition nicht mehr | |
ertragen konnten. | |
In Ihrer Biografie schreiben Sie darüber, dass Sie als Mädchen von | |
Familienangehörigen vergewaltigt wurden. | |
Ich war fünf Jahre alt, als meine Eltern sich trennten. Wir waren sechs | |
Kinder und mussten zu verschiedenen Verwandten. Mit meiner größeren | |
Schwester kam ich zur Schwester meines Vaters. Da ging es los. Ich war acht | |
Jahre, als das passierte. Bis ich elf Jahre alt war. Meine Schwester war 13 | |
und wurde von unserem Onkel schwanger. Später kam ich zu Verwandten nach | |
Sambia. Da wurde ich erneut sexuell missbraucht. | |
Würden Sie sagen, dass es durch Initiativen wie die #metoo-Bewegung | |
einfacher geworden ist, über Missbrauch zu sprechen? | |
In meinem Fall muss ich sagen, dass es schon früher funktioniert hat. Es | |
gab eine Zeit, in der ich mich geschämt hätte zu sagen, dass ich mit acht | |
Jahren missbraucht wurde. Mir fehlten dafür die Worte. Dann brach ich 1985 | |
einfach zusammen und es kam zur Sprache. Ich hatte gute Menschen um mich | |
herum, es gab einen Psychologen, der mich begleitete. Ich hatte Mut. Eine | |
Biografie zu schreiben hat insofern genützt, dass die ganzen Scham- und | |
Schuldgefühle rauskamen. | |
Woher kamen die Schuldgefühle? | |
Uns wurde als Mädchen von manchen Verwandten gesagt, wir hätten uns nicht | |
gut benommen und seien deshalb missbraucht worden. Sie haben uns als | |
Achtjährige die Schuld gegeben. Wir haben das internalisiert. Schuld und | |
Scham. Ich habe nur noch von Scham gelebt. Deshalb musste ich abhauen. | |
Wegen Rape. I was raped. Bei jeder Gelegenheit hatte er das gemacht. Ich | |
konnte das nicht mehr. Ich musste weg. Ich verstehe heute, warum | |
Straßenkinder sich auf der Straße freier und sicherer fühlen als zu Hause. | |
Sie versteckten sich als junge Frau in einem Flüchtlingslager in Sambia? | |
Ja. Es war Krieg zwischen Rhodesien – wie Simbabwe damals hieß – und den | |
Befreiungskämpfern, die immer auch nach Sambia kamen. Deshalb wurde auch | |
unser Flüchtlingslager bombardiert. In dieser Zeit ergab es sich, dass | |
Erich Honecker aus der DDR zu einem Staatsbesuch nach Sambia kam und unser | |
Flüchtlingslager besuchte. Ich war dann eine von wenigen, die ein | |
Stipendium für Ostdeutschland bekamen. | |
Sie wurden von Erich Honecker in die DDR eingeladen? | |
Genau. Ich habe in Leipzig Abitur gemacht und wurde Ingenieurin für | |
Metallhüttenkunde. Eigentlich hätte ich als Mädchen in Simbabwe nach der | |
sechsten Klasse nicht mehr zur Schulen gehen sollen. Es hieß, es reiche | |
aus, dass ich lesen und schreiben kann. Mein Vater wollte das nicht, aber | |
er war arm und meine Familie groß. Aber im Flüchtlingslager hatte ich die | |
Sekundarstufe weiter machen können – bis zum Abitur. Das habe ich in | |
Leipzig dann noch erweitert. Danach ging ich an die Ingenieurschule für | |
Automatisierung und Werkstofftechnik in Hennigsdorf. Das war die schönste | |
Zeit meines Lebens. | |
Wieso ging es Ihnen in der DDR so gut? | |
Bevor ich nach Sambia ging, hatte ich Bulimie und war depressiv von den | |
Herausforderungen des Lebens, auch in Sambia vom Krieg. Auf einmal erhielt | |
ich 270 Ostmark pro Monat. Das war viel für ein junges Mädchen wie mich, | |
das zuvor in Afrika einmal am Tag etwas zu Essen bekam. In der DDR haben | |
wir gegessen und gegessen. Ich habe an Kleider gedacht, an Schminke, an | |
Zigaretten und Alkohol. An all diese Sachen, die zum Studium gehören. Ich | |
habe mitgemacht. Ich war aber auch in der FDJ und trug die blaue Uniform. | |
Die fünf Jahre in der DDR haben mich stabilisiert. Es war der einzige Ort, | |
der mir diese psychische Sicherheit gegeben hat. Ich war Teil von etwas. | |
Ich fühlte mich wirklich frei, auch wenn das unglaubwürdig klingt. | |
Wie meinen Sie das? | |
Man denkt immer, es gab keine Freiheit in der DDR. Aber Freiheit ist | |
relativ. Ich denke, die Ostdeutschen waren nicht frei, sie durften nicht in | |
den Westen reisen und nicht über Politik sprechen. Aber wenn man aus einem | |
Flüchtlingslager aus Sambia kommt … Meine Bedürfnisse waren sehr begrenzt. | |
Für mich war es der Himmel, für die Ostdeutschen nicht. | |
Würden Sie sich heute noch als Sozialistin bezeichnen? | |
Ja. Wissen Sie, diese Botschaft, die mir von einem Mann wie Erich Honecker | |
mitgeteilt wurde, der in unser Flüchtlingslager kam … | |
… welche Botschaft war das? | |
Er sagte: „Ihr geht nach Deutschland, um zu studieren. Bitte kommt zurück | |
und baut eure Länder wirtschaftlich auf.“ Für mich war er ein Hero. | |
Ist Erich Honecker für Sie auch heute noch ein Held? | |
Immer noch. Als ich 1989 hörte, dass die Mauer gefallen ist, war ich | |
Studentin an der Technischen Uni in West-Berlin. Ich habe ich mir solche | |
Sorgen um ihn und Margot gemacht. | |
Warum lachen Sie jetzt darüber? | |
Naja, ich war sehr besorgt. Es gibt diese zweierlei Sichtweisen. Die | |
Deutschen sehen Erich Honecker als Diktator. Für mich ist er ein Held. Aber | |
ich kann das nicht offen sagen. | |
Warum nicht? | |
Es sind viele Deutsche umgekommen, bei der Flucht von Ost nach West. Was | |
meinen Sie, wie die Leute reagieren, wenn ich sage, dass Erich Honecker | |
mein Held ist? | |
Der Idee Honeckers, als Ingenieurin zurück nach Afrika zu gehen, sind Sie | |
aber nicht gefolgt? | |
Ich wollte immer zurückgehen. Aber jedes Mal stand dem etwas entgegen. 1984 | |
hätte ich zum Beispiel nach dem Studium in der DDR theoretisch zurückgehen | |
können. Doch zu der Zeit gab es einen Genozid in Simbabwe, gerade in | |
Matabeleland, wo ich herkomme. Es gab immer etwas, das mich hinderte. Ich | |
bin auch nach Südafrika gegangen, wo ich 1997 einen tollen Job als | |
Umweltgutachterin in Pretoria bekam. Der Rassismus, den wir dort erfahren | |
mussten, war so krass. | |
Wie hat sich der Rassismus in Pretoria geäußert? | |
Das war in der deutschen Schule. Mein Sohn wurde dort geschlagen, die | |
Schulkinder haben ihn mit Schlangen beworfen. Auch als ich in Simbabwe kurz | |
als Dozentin an der Universität, am Institute for Mining, arbeitete, ging | |
es für mich nicht weiter. | |
Warum nicht? | |
Ich hatte einen deutschen Pass. Dann hieß es, dass angeblich ein Simbabwer | |
gefunden wurde, den man bevorzuge. Es ging in Wahrheit darum, dass ich eine | |
Frau bin und vor allem um ethnische Konflikte zwischen Matabele- und | |
Mashona-Volksgruppen: Ich komme aufgrund meines Namens eindeutig aus | |
Matabeleland. Harare, wo ich arbeitete, war teils Mashonaland. Die | |
Feindschaft ist immer noch krass, auch heute noch. | |
Als Tochter von MissionslehrerInnen – spielt Religion für Sie eine Rolle? | |
Das ist eine gute Frage … Als ich 1988 mein Kind bekam, nannte ich mich | |
schon Sozialistin oder Kommunistin. Aber ich wollte, dass mein Sohn getauft | |
wird. Ich war alleinerziehend und dachte mir, ich brauche die katholische | |
Kirche, sodass mein Sohn die kirchlichen Werte mitbekommt. | |
Und heute? | |
Seit er erwachsen ist, sehe ich das mit der Kirche wieder lockerer. Ich bin | |
wieder mehr die Sozialistin. Meine Schwester ist dagegen sehr religiös, | |
sehr katholisch. Sie verarbeitet die ganzen Schwierigkeiten der Kindheit | |
durch das Gebet. Aber ich muss sagen: Gott hat mir nicht geholfen, er war | |
einfach nicht da, in vielen Situationen. Aber ich bin zwiespältig. Wenn ich | |
sterbe, möchte ich eine kirchliche Beerdigung – für alle Fälle. | |
Würden Sie sagen, dass Rassismus und auch Antifeminismus in Europa eine | |
Renaissance erleben? | |
Ich habe es am eigenen Leib mitbekommen – ich war in vielen Vereinen in | |
Bremen. Wenn ich sagte, ich bin von der Feministischen Partei, gab es | |
viele, die danach nicht mehr mit mir reden wollten. Bei Feminismus denken | |
viele, es bedeutet, dass ich lesbisch bin. Das ist engstirnig. In unserer | |
Partei gibt es auch Lesben, aber wir stehen für die Rechte aller Frauen | |
ein, unsere Ziele sind feministisch. | |
Welche Ziele? | |
Wenn wir über Deutschland sprechen, ist für uns schwer zu verstehen, dass | |
in so einem hochzivilisierten Land Prostitution legal ist und eine normale | |
Arbeit sein soll. Deutschland ist ein Puff. Es gibt afrikanische Mädchen, | |
die hier herkommen, um schnelles Geld zu machen. Frauen werden missbraucht | |
in dieser Sex-Industrie. Auch die ganze Porno-Industrie ist entwürdigend. | |
Das sehen auch viele FeministInnen anders, die sich für die Rechte und | |
Anerkennung von SexarbeiterInnen einsetzen. | |
Die Frauen werden entwürdigend behandelt. Psychisch und physisch macht es | |
alles von einer Frau kaputt. | |
Würden Sie sagen, Ihre Partei steht für einen konservativen Feminismus? | |
Weil wir Pornografie und Prostitution ablehnen, heißt das noch lange nicht, | |
dass wir konservativ sind. Wir sind progressiv. Wir wollen den | |
Konservatismus der Gesellschaft überwinden. | |
In ihrem Parteiprogramm steht, Sie sind gegen Bekleidungsvorschriften für | |
Frauen und gegen Diskriminierung aufgrund von Bekleidung. Wo stehen Sie in | |
der Kopftuch-Debatte? | |
Ich selbst trage immer ein Kopftuch – aber das ist meine freie Wahl. | |
Manchen Kindern wird schon mit sechs Jahren ein Kopftuch vorgeschrieben. | |
Das finde ich persönlich ein Problem. Man muss sich fragen, inwieweit die | |
Kinder darunter leiden, denn in Europa gehört das Kopftuch nicht zur | |
Kultur. | |
11 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
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