Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausstellung im Hamburger Kunstverein: Der beiläufige Schrecken
> Die Schau „Malerei, böse“ dreht sich nicht um das Genre an sich. Es
> behandelt konkrete Bildinhalte und deren gesellschaftliche Konnotation.
Bild: Die kampferprobten Heldinnen des Berliner Künstlers Martin Eder
Diese Ausstellung bleckt die Zähne. Sie vollzieht keine intellektuellen
Experimente, setzt nicht auf erklärintensive Konzeptkunst, sondern geht nah
ans Gefühl, an den Mainstream und die Grenzen des guten Geschmacks.
„Malerei, böse“ heißt die aktuelle Schau im Hamburger Kunstverein, die mit
„böse“ das individuell Inakzeptable meint – sei es aus ethischen, sei es
aus stilistischen Gründen.
Anders als ein Großteil der aktuellen, auf der Metaebene operierenden
Malerei-Ausstellungen will diese hier Bildinhalte untersuchen. Ziel ist,
herauszufinden, wie es um die vermeintlich leichte Rezeption dieses Genres
bestellt ist, das sich, obwohl oft totgesagt, hartnäckig hält und auf
Auktionen immer noch die größten Erlöse erzielt.
In der Tat fühlt man sich vor den Kopf gestoßen, wenn man im
elitär-minimalistisch eingerichteten Hamburger Kunstverein die hoch
kitschigen Mittelalter-Maiden Martin Eders vorfindet: altmeisterlich
perfekt gemalt, blicken einem Heroinen in Ritterrüstung entgegen, die gut
das Cover eines Fantasy-Romans zieren könnten.
## Reflexion leistet allein der Ausstellungskontext
Bilder wie diese werden massenhaft verbreitet, und es ist schon eigenartig,
dass das 21. Jahrhundert eine Epoche verherrlicht, in der Frauen so wenig
Rechte hatten. Fast scheint es, als würden die wenigen erfolgreichen Frauen
des Mittelalters zu Vorbildern verklärt.
Aber nicht nur diese Idee ist Kitsch, auch die an die Präraffaeliten
erinnernden Gemälde sind es, und sie reflektieren ihre eigene Haltung
nicht: Das leistet allein der Ausstellungskontext.
Bewusst oberflächlich dagegen die surrealen, mit maskenartigen Figuren
dekadent daherkommenden Bilder Bernhard Martins. Egomanische Rauchende,
Gähnende, Essende hat er nebeneinander gesetzt, wie auch George Grosz es
tat. Martins Thema ist der Schein – der Gesellschaft und des Kunstbetriebs,
der großenteils von der Pose lebt und vielleicht nicht einmal einen Subtext
birgt.
## Märtyrerin Madonna
Explizit bringt das Dawn Mellor auf den Punkt: „Strike a Pose“ heißt ihr
neoexpressionistisches Bild, auf dem – angelehnt an ein Propagandafoto
einer chinesischen Plakatwerkstatt – Arbeiterinnen Liedzitate der Pop-Ikone
Madonna malen. Madonna selbst wird von Pinseln durchbohrt, als seien es
Pfeile. Das ist eine Anspielung auf den heiligen Sebastian, einen
christlichen Märtyrer des Mittelalters.
Pop- wie Hochkultur werden ausgeschlachtet, vervielfältigt, wobei die
Provokation dieses Bildes überraschenderweise in der Parallele zwischen
Madonna und dem Märtyrer liegt. Dabei ist die Härte, mit der Presse heute
Ikonen zerstiebt, nichts gegen die physische Brutalität des Mittelalters.
Bleibt noch die von der Schau intendierte ethische Entrüstung. Diesen Part
spielt Lydia Balke, die fünf Massenmörder porträtierte: keine deutschen,
damit man sie nicht sofort erkennt, aber der Schock wirkt. Denn obwohl man
den Unterschied zwischen Ethik und Ästhetik kennt: Ist es statthaft, solche
Menschen so aufwändig und handwerklich perfekt zu porträtieren und
salonfähig zu machen? Oder ist solch ein Bild die längst fällige
Integration des Bösen zurück in die Gesellschaft?
## Kunst und Verbrechen
„The Killer in me is the killer in you“ lautet eine Zeile aus dem Song
„Disarm“, nach dem das Werk benannt wurde, und genau deshalb hat sich die
Künstlerin mit aufs Bild gemalt: Künstler und Verbrecher folgten einer
Obsession, sagt sie, und seien durchaus verwandt. Und der Betrachter gleich
mit, und das gefällt ihm nicht.
Eine subtilere Ästhetisierung des Bösen versucht Birgit Brenner, die die
Gleichzeitigkeit von „Gut“ und „Böse“ in eine gemeinsame Narration fas…
Herausgekommen sind aquarellartige Bildchen, die man ins Wohnzimmer hängen
könnte – wären darauf nicht Panzer-Modelle zu sehen. Oder der Schriftzug
der Nobelmarke „Prada“ neben kleinen Berichten von Migranten über Details
ihrer Flucht.
Wieder zerstört die Malerei ihre eigene, vermeintlich leichte
Rezipierbarkeit, wieder werden ästhetische Technik und schockierender
Inhalt gegeneinander geschnitten. Das ist Verdienst der Malerei, dazu
braucht man keine Installation und kein 3-D. Sondern nur den ganz
beiläufigen Schrecken, provoziert durch das Bild von nebenan.
19 Oct 2015
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Kunst
Künste
Malerei
Kunstverein Hamburg
Beduinen
Konzeptkunst
Kunstverein Hamburg
Zwangsarbeit
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Integration
## ARTIKEL ZUM THEMA
Libanesischer Künstler in Hamburg: Der sprechende Ziegenhaarteppich
In der Ausstellung „Fragments/Bruchstücke“ in Hamburg verknüpft der
Libanese Rayyane Tabet Familienchronik mit Weltgeschichte.
Geta Brătescu stellt in Hamburg aus: Anpassung und Subversion
Die Hamburger Kunsthalle zeigt die erste Retrospektive der rumänischen
Konzeptkünstlerin Geta Brătescu außerhalb ihrer Heimat.
Verkaufte Konzeptkunst: Idee ist Materie geworden
Hamburgs Kunstverein sucht Konzeptkunst und findet sich zwischen
Nicht-mehr-Netzkunst und verkauften Ideen wieder.
Wanderausstellung: Zwangsarbeit in Deutschland: Gesamteuropäische Erfahrung
Historiker haben die Ausbeutung der Zwangsarbeiter des Zweiten Weltkriegs
erstmals umfassend recherchiert. Die Wanderausstellung ist derzeit in
Hamburg zu sehen.
Politische Kunst: Wo kein Flieger abhebt
Der Konzeptkünslter Khalil Rabah will in Hamburg Vorschläge für eine neue
palästinensische Identität jenseits des Nahostkonflikts machen.
Integration: Kein Dialog auf Augenhöhe
Eine Ausstellung über muslimisches Leben in Lübeck kombiniert Preziosen der
islamischen Kunst mit privatem Religionskitsch.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.