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# taz.de -- Geta Brătescu stellt in Hamburg aus: Anpassung und Subversion
> Die Hamburger Kunsthalle zeigt die erste Retrospektive der rumänischen
> Konzeptkünstlerin Geta Brătescu außerhalb ihrer Heimat.
Bild: Geta Brătescu, „Magneți în oraș“ (Magnete in der Stadt), 1974
HAMBURG taz | An der Wand hängen vier Besen. Sehen aus wie Hexenbesen,
hängen archaisch und geschwätzig in der kalkweißen Galerie der Gegenwart
der Hamburger Kunsthalle, als wären sie fehl am Platz: Organisch
flatterhafte Form aus Papier, die sich, als Arte Povera getarnt, in einen
White Cube verirrt hat.
Frech hat ihre Erschafferin, die Rumänin Geta Brătescu, die Skulptur
„Magie“ genannt, um jeden Ruch des Modernen auszuschließen. Das scheint so
gar nicht zu passen zur Grande Dame der Konzeptkunst, als die Brătescu in
etlichen Museen der Welt firmiert. Aber gemach: Natürlich ist das
konzeptuelle Denken, die Entmaterialisierung von Kunst, das Aufbrechen von
Sehgewohnheiten, zentral im Schaffen der 90-jährigen Künstlerin, der
Hamburg jetzt die erste Retrospektive außerhalb Rumäniens widmet.
Brătescus Werkgenese zeichnet auch diejenige der politischen Umstände nach,
die sie erlebte: Zweiter Weltkrieg, Kommunismus und 1989. Eine Karriere
voller Verwerfungen: Das Studium musste die Begabte 1948 abbrechen, als
Apothekertochter war sie dem Regime zu „bürgerlich“; erst 1971 konnte sie
es abschließen. Ihre Fächer Philosophie, Literatur und Kunst hat sie als
gleichwertig empfunden, nie einen qualitativen Unterschied zwischen
Illustration und Kunst gemacht. Brătescu hat nur künstlerisch arbeiten
wollen und sich daher zeitweilig dem System angedient: In den sechziger
Jahren trat sie der Rumänischen Künstlervereinigung bei, war Grafikerin des
Magazins Secolul 20.
„Um nicht nur für die Schublade zu arbeiten, musste man auch
gesellschaftliche Themen angehen“, sagt sie. Kunst- und Forschungsreisen
musste sie folgerichtig mit regimekonformen Werken etwa über den Zustand
der Arbeiterklasse entgelten. Brătescu hat das über Serien wie „Die Regel
des Kreises, die Regel des Spiels“ gelöst, das Rund des Hochofens einer
Stahlfabrik zum Abstraktum umdeutend. Collagen mit geometrischen Formen
wirken wie verspätete russische Konstruktivismen.
## Lange Selbstverortung
Parallel hat Brătescu eine lebenslange Selbstverortung versucht – etwa in
ihren schwarzweißen, an Chaplin erinnernden fotografischen Selbstporträts,
auf denen sie sich mal die Augen zuhält, mal theatralisch gestikuliert.
Auch ihr an die Konzeptkunst erinnernder Film „Atelier“, in dem sie ihren
eigenen Raum vermisst, ist ernst und selbstironisch zugleich: Wo hinter der
Pose versteckt sich das Individuum? Unterscheidet uns letztlich nur die
Textur der Haut von anderen? Die Linien ihrer gealterten Hände, die sie
filmt, bis sie Abstrakta werden?
Linien und Texturen sind Brătescus Elixier, Werkzeug und Methode ihrer
Spurensuche. Kein Wunder, dass ihre Arbeiten Titel wie „Der Pfad. Die große
Spur“ tragen – das als Land Art in Bodenplatten eingelassene Mosaik aus
Stofffetzen etwa, die wie Blüten und geologische Schichten daliegen. Dabei
sind es Stoffreste ihrer verstorbenen Mutter, das private Erinnern birgt
auch eine politische Dimension. Jede Diktatur möchte Geschichte neu
schreiben, da wird Erinnern schnell zum subversiven Akt.
Wie eine Ahnengalerie aus blinden Spiegeln, vielleicht auch schwarzen
Grabsteinen wirken die „Erinnerung“ betitelten 40 Bilderrahmen mit
schwarzem Papier im weißem Rand. Denkt sie an die Opfer der Ceaușescu
-Diktatur?
Sie mag nicht sagen, dass sie politisch ist, das wäre ihr zu eng – so, wie
ihr die Festlegung auf Feminismus zu eng ist. Dabei gibt es auffallend
viele Frauenfiguren in ihrem Werk. Zum Beispiel die Frauenzeichnungen mit
geschlossenen Augen. Surreal, karikaturesk, entstanden, weil sie etwas
Neues probierte.
Wichtig sind auch zwei Figuren der antiken Mythologie: Medea und Dido,
starke, spektakulär scheiternde Frauen. Den Kopf der Kindsmörderin Medea
hat Brătescu abstrakt-organisch als Stoffcollage genäht – mit der
Nähmaschine gezeichnet, wie sie es nennt. Dido, die laut Mythos von dem
Numidierkönig so viel Land bekam, wie eine Kuhhaut umspannen könne,
zerschnitt die Haut zu Streifen und vervielfachte die Fläche. Brătescu hat
schwarzen Samt zerschnitten und in kalligrafischen Schwüngen aufgehängt.
Gedankenräume, so der Subtext, lassen sich durch List vergrößern. Listig
und subversiv auch die Wahl des Motivs, denn antike Mythologie zählt ganz
sicher nicht zum realsozialistischen Bildungskanon. Kleines Aperçu
außerdem: Allen Forscherzweifeln zum Trotz leitet sich das rumänische Volk
von den alten Römern her.
## Identitätsstiftende Figuren
Medea- und Dido wären demnach Identität stiftende Figuren jenseits jeder
Ideologie und Diktatur. Dass Letztere anziehend magisch sowohl im
Machtversprechen als auch im Repressionsvolumen sein kann, hat Brătescu in
ein starkes Symbol gegossen: den Hufeisenmagneten, den sie auf einem Foto
als Skulptur in den Stadtraum montiert.
Im Detail durchdekliniert hat sie das Dilemma unentrinnbarer Anziehung dann
in kleinen Fotoserien, in denen die angezogenen Metallteilchen wechselnde
Muster bilden. Es erfordert Kraft, dieser Gravitation standzuhalten; als
Lösung bietet sich Distanz. Und die lautet bei Brătescu nicht nur: Vielfalt
und Nichtfestlegbarkeit, sondern auch eine Haltung in einem scheinbar
marginalen Punkt: Gemalt hat sie nie. „Gemälde haben die Funktionäre in
ihrer Wohnung“, hat sie einmal gesagt.
7 Jun 2016
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Konzeptkunst
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