| # taz.de -- Hamburger Kunsthalle: Warten und warten lassen | |
| > Eine gelungene Ausstellung zum Phänomen des Wartens: Sie zeigt auch, wie | |
| > viel das Verweilen und Geduldüben mit sozialer Ungleichheit zu tun hat | |
| Bild: „The Wait“ von Elmgreen & Dragset | |
| HAMBURG taz | Dürfte ein Zeitungstext mit Gedankenstrichen beginnen – – – | |
| hier wäre es angemessen. Sogar die gute alte Tagesschau hat sich den Scherz | |
| erlaubt, ratlose Sprecher mit der Unterzeile „Bitte warten“ zu zeigen, um | |
| am Eröffnungstag auf diese Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle | |
| hinzuweisen. Kaum etwas ist so allgemein zugänglich wie das Thema Warten. | |
| Dabei geht es hier weder um die Deutsche Bahn noch um Behörden, sondern um | |
| freiwillig abgegebene Zeit für die Kunst. | |
| Die Ausstellung „Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit“ beginnt | |
| tatsächlich mit einem Warteraum. Die beiden Digitaluhren zeigen | |
| verschiedene Zeiten: Wartezeit wird subjektiv unterschiedlich empfunden. | |
| Selbst wenn man gar nicht gewartet hat, wenn man die bereitgelegten Bücher | |
| zum Thema nicht durchgeblättert hat, suggeriert die zweite Uhr neben der | |
| Tür zur Ausstellung schon einen deutlichen Zeitverlust. | |
| Linkerhand kommt dann ein dunkler Raum. Mit lebensgelangweilter Stimme | |
| erzählt Jochen Kuhn in seinem Zeichenfilm „Neulich 3“, was er beim | |
| natürlich genervten Warten auf den Bus erlebte. Der Ludwigsburger | |
| Filmprofessor schafft es in wenigen Minuten, eine Liebesgeschichte von der | |
| ersten Überraschung über das höchste Glück, den notwendigen Verzicht darauf | |
| und die traurige Trennung bei Abfahrt des Busses zu erzählen: Warten als | |
| Chance – es kommt darauf an, was man daraus macht. Der Erzähler beschließt | |
| nach alledem, ohne weiteres Warten gleich zu Fuß zu gehen. | |
| Haltestellen sind die naheliegendsten Orte beim Thema Warten. Versprechen | |
| Bahnhöfe Hoffnung auf den zukünftigen Transport, kann man sich an der | |
| Straße in gottverlassener Gegend nicht so sicher sein. Die von Ursula | |
| Schulz-Dornbusch fotografisch dokumentierte Architektur alter Haltestellen | |
| in Armenien lässt aber an erwartbaren Dingen zweifeln. Was da in der einst | |
| sowjetischen Provinz gebaut wurde, sind eher Traumschaltstellen, | |
| metaphysische Orte für den Wechsel nicht von Orten, sondern von | |
| Wirklichkeitsräumen, ja von Systemen: utopische bis irre Umsteigeorte einer | |
| Reise ins total Ungewisse. | |
| ## Die große Geste ist dem Warten fremd | |
| Mit dem Gedanken an „Vor dem Gesetz“, Franz Kafkas großem Text zum Warten, | |
| erhalten Andreas Gurskys frühe Fotos von Pförtnern großer Konzerne oder die | |
| von Paul Graham schon 1985 in englischen Sozialämtern heimlich | |
| abgelichteten Wartenden eine zusätzliche Bedeutung. Zeigen Letztere das | |
| ermüdende Warten in den Behörden, konnten bei Rayyane Tabet die Behörden | |
| nicht warten: Das Visum des Beiruters lief noch vor Ausstellungseröffnung | |
| ab. Sein Raum mit Strichmustern an den Wänden zählt vielleicht Stunden, | |
| vielleicht Tage oder Wochen; auch ein zeitvertreibendes Spiel aus Knochen | |
| und Kugeln wäre hier möglich, scheint aber wenig attraktiv. | |
| Gedehnte Zeit vergeht ebenfalls sehr langsam in den Fotos des Katalanen | |
| Txema Salvans, gleich ob im hellen Mittagslicht an eher unwirtlichen Orten | |
| auf die Angelrute gestarrt wird oder an peripheren Straßenecken junge | |
| Frauen auf Kundschaft warten. Dem Warten nicht unähnlich ist das | |
| Rumlungern, das „Cornern“ und dergleichen. In der Provinz entdeckt es | |
| Tobias Zielony im Treffen Jugendlicher in ihren ersten Autos, Aleen Solaris | |
| manifestiert es in unklar bestimmten Sitzecken samt Zimmerspringbrunnen. | |
| Teils bannt die Kunst über das Warten das, was man gerade nicht erleben | |
| möchte, teils zeigt es, was einen schon immer interessierte: Wie | |
| Schauspieler auf ihren Auftritt warten, zeigt die geheimnisvoll dunkle | |
| Backstage-Beobachtung von Jakob Engel. In Vaijko Chachkhianis Video taucht | |
| in einem Hospizfenster ein müdes Gesicht auf und verschwindet wieder: Eine | |
| unerwartet eindrucksvolle Erscheinung, wartet man die langsame Kamerafahrt | |
| ab. | |
| Doch eigentlich ist die große Geste dem Warten fremd. Es tritt eher | |
| unspektakulär auf, wie Ceal Floyers winzige Projektion des Däumchendrehens | |
| in einer Ecke knapp über dem Fußboden oder das letzte Bild des Rundgangs, | |
| das den tschechischen Konzeptkünstler Jiri Kovanda neben seinem Telefon | |
| zeigt: Im Foto wird es sicher nicht klingeln, wie es mit der abgebildeten | |
| Realität war, ist nur müde zu ahnen. | |
| Da Warten so allgegenwärtig ist, sind manche Arbeiten auch außerhalb des | |
| Ausstellungsstockwerks verteilt. Im Lichthof wartet ein Knabe auf einem | |
| Gerüst: Diese von Elmgreen & Dragset inszenierte Situation ruft die | |
| trostlose Langweile des Erwachsenwerdens in Erinnerung. Im Keller läuft der | |
| fast einstündige, mit einer Nachtsicht-Überwachungskamera aufgezeichnete | |
| Film, in dem Bruce Nauman zeigt, was alles passiert, wenn er nicht im | |
| Studio arbeitet: fast nichts – mal kommt eine Maus. Ein so schöner wie | |
| langweiliger Beleg, dass auch Künstler oft lange auf die Muse warten | |
| müssen. | |
| ## Manche Anspielung bleibt unklar | |
| In der Nähe der Toiletten kann man auf einen auf Almosen wartenden | |
| Obdachlosen treffen – keine Performance, sondern eine der | |
| hyperrealistischen Figuren des US-Amerikaners Duane Hanson. Und dabei wird | |
| einem einfallen, dass man schon vor der Kunsthalle an einem einigermaßen | |
| deplatzierten hölzernen Wartehäuschen vorbeigekommen ist, das mit Bett, | |
| Tisch, Stuhl, Regal, Kühlschrank und Klo zu einem Lebensmoment im | |
| Wartestand eingerichtet wurde. | |
| Nicht sehr gelungen sind die wandfüllenden Plakatabzüge von Jens Ullrich. | |
| Er versetzt mit Hoodies geschützte Wartende vor dem Lageso, der zentralen | |
| Flüchtlingsregistrierung Berlins, in alte Aufnahmen einer Bremer | |
| Fabrikantenvilla. Dabei haben die großbürgerlichen Räume ersichtlich ein | |
| Heimat-Design der späten 1930er-Jahre, was der Aktualisierung schadet und | |
| als verschämte Anspielung unklar bleibt. Zwei Realitäten bloß zu | |
| überblenden, ist zu wenig und in der Präsentation zu groß, vergleicht man | |
| die Tradition politischer Fotocollagen. | |
| Schade auch, dass nur der Text, aber keine der 27 Arbeiten darauf verweist, | |
| dass man sich mit Geld oft vom Wartezwang freikaufen kann. Und dass | |
| Wartezeit durch Handysurfen inzwischen längst scheinoptimiert ist. Mit dem | |
| Besuch dieser ansonsten gelungenen Ausstellung kann übrigens auch ein | |
| bisschen gewartet werden: sie läuft bis Mitte Juni. | |
| 25 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Hajo Schiff | |
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