# taz.de -- Hamburg zeigt einst geschmähte Kunst: Im Schatten Tizians | |
> Ungewöhnlich für den Norden, zeigt Hamburgs Kunsthalle italienische | |
> Malerei. Und das, obwohl diese Institution derlei Südeuropäisches lange | |
> verschmähte | |
Bild: „Junge Dame mit Spiegel und Magd“: eines von zwei Bildern Paris Bondo… | |
Nicht, dass übertriebener Regionalismus erstrebenswert wäre, doch manchmal | |
überrascht schon, wie weit vom Ursprung entfernt sich Kulturgeschichte | |
vertiefen lässt. So wird Hamburg jetzt für drei Monate zu einem Zentrum der | |
venezianischen Malerei des 16. Jahrhunderts. | |
Das ist deshalb verwunderlich, da – anders als bei den fürstlichen | |
Sammlungen in Berlin, Dresden und München – Italien niemals ein | |
Sammelschwerpunkt der Kunsthalle war. Die diesbezügliche Abteilung ist | |
klein. Sowohl Alfred Lichtwark, der Gründungsdirektor der Kunsthalle, wie | |
sein Nachfolger Gustav Pauli sahen weder die ökonomische Möglichkeit noch | |
die künstlerische Notwendigkeit, sich um Werke der großen Maler der | |
italienischen Renaissance zu kümmern. | |
Die Niederlande, auch England lagen Ihnen am Herzen, vorwiegend aber | |
deutsche Kunst und davon vor allem die Zeitgenossen. Selbst wenn | |
großbürgerliche Sammler wie Amsinck, Hudtwalcker, Stenglin, Weber oder | |
Wedells im 19. Jahrhundert sogar Bilder von Mantegna oder Tintoretto nach | |
Hamburg geholt hatten, so wurden diese meist weiterverkauft. Nur wenige | |
davon gelangten als Geschenke in die Kunsthalle und teils wurden sie dann | |
wieder weggetauscht gegen mehr dem speziell nordeuropäischen Hamburger | |
Profil entsprechende Stücke. | |
Heute befinden sich im hiesigen Besitz immerhin zwei Bilder des Venezianers | |
Paris Bondone, wobei die „Junge Dame mit Spiegel und Magd“ erst 2015 von | |
der Kulturstiftung angekauft wurde. Dieses und die Restaurierung des 1949 | |
von der Stiftung Siegfried Wedells erhaltenen Bildes „Bathseba am Brunnen“ | |
wurden dann der Ausgangspunkt, eine große Ausstellung zu deren Kontext zu | |
planen. | |
Was wiederum überrascht: Es gab weder national noch international eine auf | |
den im Schatten seines Lehrers Tizian stehenden Paris Bondone fokussierte | |
Ausstellung. So ergab sich weltweit eine große Bereitschaft zu Leihgaben, | |
wissenschaftlichen Katalogtexten und der Schirmherrschaft des italienischen | |
Botschafters für diese Ausstellung, der ersten in der Kunsthalle zu einem | |
Thema der Kunst vor 1800 seit sieben Jahren. | |
Im Alter von 14 Jahren beginnt Paris Bondone (1500 – 1571) seine Ausbildung | |
in der Werkstatt Tizians. Das war mitten in einer reichen und besonders in | |
ihrem Rekurs auf die Antike kulturell höchst fruchtbaren, wenn auch von | |
zahlreichen Kriegen und Pestausbrüchen heimgesuchten Zeit. Mit Stichen und | |
Büchern gibt ein Kabinett der Ausstellung ansatzweise einen Einblick in die | |
venezianische Kulturgeschichte und die humanistischen Ideen der Epoche. | |
Überall gab es mehr und mehr nicht-religiöse Bildthemen und private | |
Auftraggeber für Kunst. Das Besondere an der im Veneto gepflegten Malerei, | |
das wussten schon die Zeitgenossen, war aber der spezielle Umgang mit | |
Farbe. Hat sich die florentinisch-toskanische Kunst eher konzeptionell aus | |
der Zeichnung und im Bildaufbau aus dem großflächigen Fresko entwickelt, | |
konnten die Tafelbildmaler in Venedig auf einen nur dort vorhandenen | |
eigenen Berufsstand von Farbhändlern zurückgreifen, die neue, teils in | |
Zusammenarbeit mit der Glasindustrie entwickelte Pigmente anbieten konnten: | |
Gelborange, leuchtende Blau- und Grüntöne und Venezianisch Rot. | |
Was aber über den Bildgeschmack hinausgeht, sind die besonderen Motive und | |
vor allem die seltsame Unbestimmtheit der Darstellungen zwischen Ideal und | |
Abbild. Es ist nicht oder zumindest nicht mehr zu bestimmen, ob nackt in | |
die Landschaft gerekelte Frauen idealisierte Darstellungen von Venus oder | |
einer Nymphe sind oder von damals bekannten Kurtisanen, vielleicht auch | |
intime Hochzeitsbilder. Es ist nicht einmal abwegig, sie als erotische | |
„Poster“ fürs Schlafzimmer des reichen Hausherrn einzuschätzen. | |
Bondones Bildthemen sind oft der antiken Mythologie entnommen. Neben | |
Allegorien und Porträts ist eine üppige neuantike Architektur ein | |
besonderer Schwerpunkt des Malers. Bei den immer wieder dargestellten | |
Szenen mit schönen Frauen und ihren Mägden beim Ankleiden oder mit Spiegel | |
gilt, wie bei den Akten in der Landschaft, die gleiche schwebende | |
Unklarheit über das Dargestellte: Sowohl porträthafte Einzelpersonen wie | |
moralisierende Allegorien über die Eitelkeit und das unausweichliche Altern | |
können gemeint sein. | |
Aber vielleicht ist das gar keine Alternative. Es entspricht durchaus dem | |
auf Vielseitigkeit und umfassende philosophische Bildung angelegten Ideal | |
der Zeit, möglichst viele Aspekte in einem Bild zu vereinen, ganz | |
neoplatonisch das Menschliche an den Göttern und das Göttliche im Menschen | |
zu zeigen. | |
Auch die Porträts von Künstlern, Adeligen, Großkaufleuten und selbst | |
Militärführern hatten ambivalent zu sein. Ausgestattet mit zahlreichen | |
Attributen der Macht und des Reichtums gefallen sie sich in einem | |
melancholisch-poetischen Ausdruck von Kultiviertheit, vielleicht auch von | |
sinnierender Verliebtheit oder leicht blasierter Intellektualität. | |
All diese Innovationen wurden vorbildhaft und hatten eine gewaltige | |
Ausstrahlung auf den Norden. Nicht nur die schwerreichen Augsburger Fugger | |
gaben Bildaufträge nach Italien, nicht nur Dürer reiste nach Venezia, viele | |
blieben gleich da, wie der Niederländer Lambert Sustris. Ein ganzer Raum | |
der Ausstellung widmet sich solchen Kontakten und Bildwanderungen bis zu | |
Cranach und anderen deutschen und niederländischen Meistern. | |
Das merkwürdigste der etwa 110 Exponate aber ist ein Bild aus der | |
Schottischen Nationalgalerie in Edinburgh. Erst beim eingehenden Studium | |
des Gemäldes nach dem Transport fiel auf, dass die Magd mit dem blauen | |
Turban unter beiden Augen und am Kinn schwach, aber deutlich eine | |
berberische Henna-Tätowierung trägt. Dergleichen ist in der Kunstgeschichte | |
bisher unbekannt, zumindest niemals thematisiert worden. | |
Sandra Pivot, die Kuratorin der Ausstellung, hat mit dieser bisher kaum | |
deutbaren Entdeckung wohl ein neues Thema gefunden – und die Besucher haben | |
einen Grund mehr, genau hinzusehen, auf die in Schönheit unsterblich | |
gewordenen Menschen der Renaissance. | |
14 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
## TAGS | |
Hamburger Kunsthalle | |
Regionalismus | |
Venedig | |
Zeichnung | |
Hamburger Kunsthalle | |
Hamburger Kunsthalle | |
Hamburger Kunsthalle | |
Konzeptkunst | |
taz.gazete | |
Fotografie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Raffael-Ausstellung in Wien: Anatomie des Imaginären | |
Die Expressivität beginnt in den Muskeln: Skizzen und Zeichnungen Raffaels | |
erlauben in der Wiener Albertina einen Blick in die Werkstatt Malers. | |
Senat gegen Antrag von FDP und Linken: Museen kosten weiter Eintritt | |
FDP und Linke fordern Museumszugang für lau. Der Senat lehnt ab, weil das | |
nicht zusätzliche Besucher bringe. Das bezweifeln auch Direktoren und | |
Besucherforscher | |
Museumschef über Desinteresse an Kunst: „Das Wissen bröckelt“ | |
Christoph Martin Vogtherr, neuer Chef der Hamburger Kunsthalle, über die | |
Schwierigkeit, neue Kreise für Kunst zu interessieren. | |
Hamburger Kunsthalle: Warten und warten lassen | |
Eine gelungene Ausstellung zum Phänomen des Wartens: Sie zeigt auch, wie | |
viel das Verweilen und Geduldüben mit sozialer Ungleichheit zu tun hat | |
Geta Brătescu stellt in Hamburg aus: Anpassung und Subversion | |
Die Hamburger Kunsthalle zeigt die erste Retrospektive der rumänischen | |
Konzeptkünstlerin Geta Brătescu außerhalb ihrer Heimat. | |
Kunsthalle im neuen Design: Tiefblau und unerhört golden | |
Hamburgs Kunsthalle eröffnet nach 17-monatiger Grundsanierung neu. Und | |
präsentiert sich hochherrschaftlich und volksnah zugleich | |
Biographisches: Diskret gefilmt beim Tee | |
Die in Hamburg lebende Filmemacherin Nathalie David macht Porträts von | |
Künstlerinnen wie Paula Moderson-Becker und Gertrud Goldschmidt, genannt | |
Gego. |