| # taz.de -- Der Gap zwischen Buchstabe und Bild: Spekulieren mit Schrift | |
| > Die Themenausstellung „Art and Alphabet“ in Hamburgs Kunsthalle widmet | |
| > sich dem vielschichtigen Wechselverhältnis von Buchstaben und Bildern | |
| Bild: Beziehungsreich: Wechselspiel von Schrift und Kunst | |
| Dieser Text besteht aus Buchstaben, die zu Worten gefügt sind. Das ist | |
| notwendig so und die – wenn auch erst einmal zu erlernende – Regel. A.B/E-R | |
| schon kleinste Veränderungen können schwer irritieren und nach verborgenen | |
| Bedeutungen suchen lassen. Dabei sind Buchstaben arbiträre, also | |
| vereinbarte Zeichen. Ein A an sich hat nichts Wesensmäßiges, etwas, das | |
| beispielsweise auf Schönheit, Anfang oder Art oder Albernheit verwiese. | |
| Doch damit zu spekulieren bereitet philosophisches, literarisches und | |
| künstlerisches Vergnügen, mit dem sich auch die neueste Ausstellung der | |
| Hamburger Kunsthalle goutieren lässt. | |
| Die Themenausstellung „Art and Alphabet“ widmet sich auf zwei Stockwerken | |
| mit gut 22 Positionen dem vielschichtigen Wechselverhältnis von Schrift und | |
| Bild, vor allem in der Kunst der vergangenen zehn Jahre. Dabei geht es | |
| jedoch nicht um Kalligrafie, weder um die europäische noch um die in Asien | |
| lange praktizierte und reflektierte; auch sind kabbalistische Wortzauberei | |
| oder Gematrie, also das relationale Verhältnis von Buchstaben und Zahlen, | |
| höchstens als fernes Echo zu vernehmen. | |
| Die hier ausgewählten Künstler arbeiten in zwei Richtungen: Sie verwenden | |
| die Buchstaben als Material für neue Werke oder sie entdecken und erzwingen | |
| neue Lesbarkeiten im Material der Welt. Zudem ist die Auswahl – mit einem | |
| Ausreißer ins Arabische – auf das lateinische Alphabet beschränkt. Aber das | |
| nutzt mit über 60 Sprachen immerhin die halbe Welt, wenn auch meist mit | |
| einigen zusätzlichen Sonderzeichen. | |
| Gerade aus diesen Sonderzeichen – und nur aus diesen – hat Ayse Erkmen | |
| (eigentlich mit Sonderzeichen unter dem s geschrieben) eine ganze | |
| Wandarbeit gestaltet. Mit den meist am Rande der Tastaturen oft unbenutzt | |
| wartenden Zeichen hat sie den Satz: „The quick brown Fox jumps over the | |
| lazy Dog“ gebildet – ein wenig sinnvolles Statement, das aber ein | |
| traditioneller Schreibmaschinentester war, da er alle Buchstaben des | |
| Alphabets enthält. | |
| Ähnlich hardwarebasiert ist das Soundstück des spanischen Konzeptkünstlers | |
| Ignacio Uriarte: Wenn Blixa Bargeld, der kunstaffine Sänger der Band | |
| Einstürzende Neubauten, melodramatisch über eine halbe Stunde „ASDFGHJKLÖ�… | |
| variantenreich rezitiert, handelt es sich schlicht um die zweite | |
| Buchstabenreihe der deutschen Standardtastatur, die von der traditionellen | |
| Schreibmaschine ohne eigentlich technische Notwendigkeit zum Computer | |
| übertragen wurde. | |
| Kunst ist auch ein Medium, an verfolgte Kulturen zu erinnern. In 38 | |
| Lautsprechern – über so viele Buchstaben verfügt die armenische Sprache – | |
| lässt der armenischstämmige, in Belgien lebende Syrer Mekhitar Garabedian | |
| ein Lexikon seiner Sprache verlesen, die mangels eines eigenen Staates | |
| jahrhundertlang nur in der Diaspora überleben konnte. Und natürlich, man | |
| kann Buchstaben auch tanzen: Die Polin Paulina Olowska beweist es. | |
| Mit einem haushohen Banner an der Außenseite der Galerie der Gegenwart ruft | |
| Friederike Feldmann werbend ihre These in die Stadt. Doch die schwarze | |
| Schrift auf Rot ist schwer zu lesen, es ist eine Skriptur ohne Inhalt – | |
| vielleicht besser als übliche deutlich lesbare Werbung, die sich schnell, | |
| aber inhaltsleer aufdrängt. Wie auch Feldmanns Wandzeichnung im Inneren des | |
| Hauses, kommt derartig deutliche Unlesbarkeit den Tags und Graffiti schon | |
| recht nahe, den meist buchstabenbasierten Verrätselungen individueller | |
| Embleme einzelner Personen in der Street-Art. | |
| Viele Künstlerinnen und Künstler arbeiten daran, die Alphabete neu und | |
| anders zu besetzen und mit semantischen Anteilen aufzufüllen. So entwickelt | |
| Katie Holten aus Irland eine Baumschrift. Ihre abstrahiert vegetabilen | |
| Bildzeichen referieren aber nicht auf die Erscheinung (eine Zypresse als | |
| „I“, eine Schirmpinie als „T“), sondern auf die Anfangsbuchstaben der | |
| englischen Namen der Bäume. Kennt man die, so kann eine Reihe stilisierter | |
| Bäume zu einem Text werden. Das hat Ähnlichkeit mit der in viktorianischen | |
| Zeiten in England entwickelten Blumensprache. | |
| Natalie Czech bat Kritiker, eine Ausstellungsbesprechung zu verschlagworten | |
| und hat zu diesen Begriffen einen die Kritik darstellenden und versöhnlich | |
| resümierenden Blumenstrauß zusammengestellt. Die Brasilianerin Rivane | |
| Neuenschwander macht Ähnliches wie Katie Holten mit den Bäumen und | |
| verwendet für ihr Alphabet Gewürzmischungen. Am Schönsten sind aber | |
| vielleicht die Anklänge an die musikalische Notation der konkreten Poesie | |
| und das Auffinden von verborgenen Botschaften inmitten anderer: Natalie | |
| Czech bildet nur durch das Markieren von einzelnen Buchstaben in | |
| bestehenden Texten neue Poesie. | |
| Auch bei dieser Ausstellung gibt es unnötig didaktisierende | |
| Vermittlungsversuche, diesmal in Form von kleinen Erlebniskästchen an der | |
| Wand. Ob das nun nützt oder eher nicht, es bleibt die Frage, wie weit ist | |
| der Sprachdiskurs auszuweiten und zu verstehen? Es steht jedem frei, die | |
| Buchstaben eigensinnig zu verwenden, die Sprachfähigkeit um beliebig viele | |
| Ecken zu biegen. | |
| Bethan Huws subsumiert unter der Überschrift „Love Letters“ in schönem | |
| Doppelsinn nichts anderes als gerade die üblichen 26 Buchstaben. John | |
| Baldessari versucht schon 1971, in einem 18-minütigen Film zwischen den | |
| Polen unangenehm lächerlich und unangenehm esoterisch einer immerhin ja | |
| schon die Nähe des Menschen ertragenden Topfpflanze das Alphabet | |
| beizubringen (manche sagen ja, die Flora schätzt es, wenn mit ihr geredet | |
| wird) und Michael Sailstorfer versenkte 2007 in der Karibik alle 26 | |
| Buchstaben zu den Fischen. | |
| Und wer nicht sprechen kann, muss schweigen und sich den Interpreten fügen. | |
| „u u u – – u“, wie Christian Morgenstern in Fisches Nachtgesang so rich… | |
| bemerkte. | |
| 23 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Hajo Schiff | |
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