# taz.de -- Pro & Contra Bildentfernung: Können Killer Künstler sein? | |
> Hamburgs Kunsthalle hat ein Bild von Zwelethu Mthethwa abgehängt, weil er | |
> wegen Mordes verurteilt wurde. Ist das Zensur oder Pietät? Darüber ist zu | |
> debattieren | |
Bild: Da wo ein großformatiger Abzug hing, hängt nun ein kleiner und ein Zett… | |
HAMBURG taz| Die Kunsthalle Hamburg hat sich entschieden, eine Fotoarbeit | |
des südafrikanischen Künstlers Zwelethu Mthethwa aus ihrer am 17. Februar | |
eröffneten aktuellen Ausstellung „Warten“ zu entfernen. Anlass dafür ist, | |
dass er am 16. März nach einem fast zwei Jahre dauernden Indizienprozess | |
wegen Mordes einer Frau verurteilt wurde. Mthethwa, der zu den weltweit | |
gefragtesten Malern und Fotografen der Gegenwart zählt, beteuert bis heute | |
seine Unschuld. Diskutiert wird jetzt die Entscheidung von Kuratorin Birgit | |
Kölle sein Bild aus der Schau zu entfernen. Sie verteidigt sie als Akt der | |
Pietät gegenüber dem Opfer und seinen Angehörigen. Aber lässt sie sich | |
nicht eher als skandalöser Akt der Zensur sehen? | |
## Nein. Die kuratorische Entscheidung verdient Respekt | |
Stammtisch, ick hör dir raunen: Wenn man das Foto des Südafrikaners | |
Zwelethu Mthethwa abhängt, müssen auch Werke des Mörders Caravaggio und der | |
des Kindesmissbrauchs verdächtigen Kirchner und Mühl weg aus Ausstellungen | |
und Sammlungen. | |
Allerdings, das Argument greift nicht: Denn erstens liegen die erwähnten | |
Fälle lange zurück, und die Gesellschaft ist im Umgang mit Ambivalenzen | |
hellhöriger, differenzierter geworden. Zweitens leben die damaligen Täter | |
und Opferangehörigen nicht mehr, öffentliches Interesse und Brisanz sind | |
verflogen. | |
Für Mthethwa gilt das nicht. Der Künstler ist – anders als zu Beginn der | |
Ausstellung „Warten“ in der Hamburger Kunsthalle – frisch wegen des | |
brutalen Mordes an der 23-jährigen Prostituierten Nokuphila Kumalo | |
verurteilt. Damit dreht sich die Perspektive, gibt für Ausstellungsmacher | |
und -besucher den Blick frei auf den politischen Hintergrund dieses | |
Prozesses, den Aktivistinnen der Sex Workers Education and Advocacy | |
Taskforce (Sweat) begleiteten. | |
Denn Sexarbeit ist seit 1957 in Südafrika kriminalisiert, Prostituierte | |
weitgehend rechtlos. Das befördert die Brutalität von Freiern, da selten | |
geahndet und im quasi straffreien Raum. Das Urteil gegen Mtehthwa hat also | |
nicht nur individuelle, sondern auch gender-politische Bedeutung. | |
Dass Hamburgs Kunsthalle kein Werk des verurteilten Täters zeigen will, das | |
– ausgerechnet – eine halbnackt daliegende Schwangere im Alter der | |
Ermordeten zeigt, ist ein so verständlicher wie nötiger Akt der Empathie. | |
Zugleich ein politisches, frauen-solidarisches Statement. Und schließlich | |
ist es ein Akt der Zivilcourage, denn die erwähnten Totschlag-Argumente | |
werden verlässlich kommen. | |
Dabei muss die Entscheidung, das Bild abzuhängen, ja gar nicht für die | |
Ewigkeit gelten. Sie ist eine Reaktion auf ein aktuelles Ereignis, mehr | |
nicht. Denn natürlich wird die Kunsthalle das Bild, das ihr gehört, deshalb | |
nicht verkaufen oder für immer verstecken. | |
Es geht vielmehr um die Debatte über Erträglichkeitsgrenzen und über | |
moralische Grenzen anhand eines aktuellen exemplarischen Falls. Denn | |
natürlich: Kunst darf alles. Aber darf das auch der Künstler? Und wie viel | |
genau ist „alles“? Spannende Fragen, die Hamburgs Öffentlichkeit dank der | |
beherzten Entscheidung der Kunsthalle genau jetzt diskutieren darf. Petra | |
Schellen | |
## Ja. Diese Bildzensurist blanke Heuchelei | |
Zwelethu Mthethwa ist ein verurteilter Mörder. Und er ist ein international | |
anerkannter Künstler, den die Hamburger Kunsthalle für wichtig genug | |
befunden hat, Teil ihrer Ausstellung über das „Warten“ zu sein. Wohl | |
wissend, dass er damals schon unter Mordanklage stand. | |
Wenn sie ihn und seine Arbeit nun nicht mehr würdig findet und das mit | |
„Respekt für die Angehörigen des Opfers“ begründet, muss man fragen: Hat… | |
die vor seiner Verurteilung keine Gefühle? Ohnehin ist das ein merkwürdig | |
symbolisches Argument: Weder ist sehr wahrscheinlich, dass die Angehörigen | |
Mthethwas Beteiligung an der Ausstellung im fernen Hamburg mitbekommen | |
haben, noch seinen Ausschluss daraus. Und falls doch, ist es gut | |
vorstellbar, dass sie andere Sorgen haben. | |
Das Abhängen der Fotografie „Mother and Child Nr. 11“, das seine | |
Hochschwangere zeigt, richtet sich vielmehr an das heimische Publikum. „Wir | |
zeigen saubere, moralisch integre Kunst“, ist die Botschaft. Und dafür muss | |
eben auch der Künstler mit seiner Persönlichkeit bürgen. Aber kann Moral | |
überhaupt ein Kriterium für Kunst sein? | |
Aber man muss gar nicht bis zum Killer und gefeierten Maler Caravaggio | |
zurückgehen, bis ins frühe 17. Jahrhundert, um dieser Frage nachzugehen. | |
Die Hamburger Kunsthalle selbst hatte dem Mehrfach-Ritualmord der Gruppe um | |
Charles Manson vor acht Jahren eine ihrer besseren Ausstellungen gewidmet, | |
die in durchaus verstörender Weise auch die Faszination des Grauens in der | |
Hippie-Bewegung thematisiert hat. | |
Der Kunstbetrieb muss sich daran gewöhnen, dass die interessanten | |
Positionen häufig aus gesellschaftlichen Spannungsgebieten kommen statt aus | |
dem akademischen Milieu saturierter Wohlstandsgesellschaften. Vor allem aus | |
Schwellenländern wie Südafrika, wo bitterste Not einerseits und die nötige | |
Kaufkraft für Kunst von Weltrang andererseits oft nur durch einen | |
Bretterzaun voneinander getrennt sind. | |
Wie diese Gesellschaften insgesamt, werden auch die Künstlerbiografien | |
immer wieder Brüche aufweisen. Wer deswegen im Sinne eines moralischen | |
Reinheitsgebots auf ihre Kunst verzichtet, kann seinen Laden eigentlich | |
zumachen. Denn er verwaltet nur den Mainstream-Kanon, den er mit dem | |
Stempel „100% moral-übergeprüft“ serviert. Jan Kahlcke | |
31 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Jan Kahlcke | |
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