Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Exil-Kunst in Hamburg: Ästhetischer Übersetzer
> Khaled Barakeh setzt sich mit Konflikten und ihrer Befriedung
> auseinander, mit Folter und Flucht – und mit all den Erwartungen, die
> sich an ihn richten.
Bild: Kritik am medialen Voyeurismus? Aus Bildern von Trauernden schneidet Bara…
Rechtsrum ist richtig. Wenn auch nur bei der Uhr. Doch im [1][Hamburger
Museum für Kunst und Gewerbe] geht das auch genau andersrum: Dort hängt
eine linksgängige Uhr mit indischen Ziffern. Aber ist die Zeit, die Khaled
Barakeh damit anzeigt, auf diese Weise eine ganz andere?
„One hour is sixty minutes“, konstatiert diese Arbeit des syrischen
Künstlers gleichmacherisch. Sie zeigt, dass selbst ein grundlegend
scheinender Unterschied oft nichts anderes ist, als eine andere Art der
Problemlösung. Es ist eine durchaus reflexive Installation, die durch einen
über Eck hängenden Spiegel zudem wieder in das gewohnte Bild des
Uhrzeigersinns reflektiert wird.
Mit Witz und nicht ohne didaktischen Hintersinn begegnen alle
konzeptionellen Arbeiten dieser Ausstellung der Irritation durch Fremdes.
„Die blaue Stunde“ heißt die Schau von etwa zwanzig Werken zu aktuellen
Konflikten, zu der Tobias Mörike, der neue Kurator der seit den
Gründertagen bestehenden Islam-Abteilung des Schatzhauses am Steintor, den
1976 in Damaskus geborenen Künstler eingeladen hat. Der Titel bezieht sich
weniger auf die romantische Verklärung der Dämmerung, in der zwischen Tag
und Nacht die Konturen verschwimmen, als auf die Ungewissheiten und Brüche
jedweden Übergangs.
## Dauernde Krise und kulturelle Differenz
Die Dauerkrise in seinem Geburtsland, die weltweite Migration und die
Erfahrung kultureller Differenzen sind die Kernthemen des seit zehn Jahren
in Deutschland lebenden und an der Berliner Universität der Künste
unterrichtenden Künstlers. Für den allzu engen Zusammenhang von Macht und
Tod hat er ein einfaches Zeichen aus geschichtsgesättigtem Holz gefunden:
Eine originale Leichenbahre aus Syrien hat er zu einem gestürzten Thron
umgearbeitet.
Denn der Krieg begann mit dem Machtmissbrauch des Systems und dessen
Geheimgefängnissen. An die Opfer von dortigen Misshandlungen erinnert eine
ganze Fotowand. Aber die Hunderte von herausgeschmuggelten Fotos von
Folteropfern werden nicht direkt gezeigt, sondern in der Reihe der kleinen
Fotorahmen sind nur die Metadaten der Aufnahmen angegeben: Leid ist im Bild
nicht direkt darstellbar, sehr wohl aber im Kopf vorstellbar.
So schneidet Barakeh auch aus den Bildern von Trauernden die Körper der
Toten heraus: Aus der distanzierten Dokumentation eines historischen
Ereignisses wird so eine fast schmerzhaft wirkende Leerstelle, die Metapher
des unwiederbringlichen Verlustes, wie sie trotz der von Fotoreportern oft
gewählten Anklänge an die Ikonologie der christlichen „Pietà“-Darstellung
im Abbild allein nur schwer zu vermitteln ist.
Sicher ist dabei auch eine Kritik am latenten Voyeurismus der Bildmedien zu
erkennen. Und die könnte zudem auf die generell stark ablehnende Haltung
zum Abbild im islamischen Kulturkreis bezogen werden. Solche vielleicht nur
klischeehaft vermuteten kulturellen Unterschiede drängen sich immer wieder
auf. Auch das vorschnelle Deuten von leicht ornamental geschwungenen
Chiffren als orientalische Kalligrafie erfolgt wohl nur im Wissen um die
Herkunft des Künstlers.
Der aber weiß mit solchen Erwartungen zu spielen: Tatsächlich abstrahieren
diese Drucke die Spuren der Rückenverletzungen eines befreundeten
Verhöropfers. Auch westlich abstrakte Malerei ist in der Ausstellung
vertreten. Doch auch dieses scheinbare Bild ist etwas anderes: Es entstand
durch das in den Kissenbezug geweinte Make-up einer Trauernden.
## Objekt gewordene Entfremdung
Dass es Barakeh um allgemeine Erfahrungen von Auseinandersetzungen, von Ab-
und Ausgrenzungen geht – und nicht nur um Syrien –, zeigt seine
ausführliche Beschäftigung mit dem Nordirlandkonflikt. In Derry/Londonderry
steht die Statue „Hands across the Divide“ von Maurice Harron: Ein
Protestant und ein Katholik setzen da zu einem Handschlag an, jedoch ohne
sich wirklich zu erreichen. Barakeh nun lässt Repliken dieser Figuren auf
verschiedenen Uhren gegeneinander kreisen oder materialisiert die Distanz
zwischen den Händen zu einer Keramik: Objekt gewordene Entfremdung.
In einer anderen Arbeit zitiert er die historische japanische
Reparaturtechnik des Kintsugi: Wie dort bei zerbrochenem Porzellan werden
hier die politisch umkämpften oder vermauerten Grenzen dieser schäbigen
Welt auf einer Karte als mit Gold markierte Bruchlinien gezeigt –
vielleicht mit Hoffnung auf „Heilung“ wie im japanischen Vorbild.
Barakeh dekonstruiert auch das über alle Notwendigkeiten weit
hinausgewachsene Monster der Bürokratie und dessen Schmuckformen. So zeigt
er die Wasserzeichen des syrischen Passes. Es sind Architektursymbole der
großen historischen Vergangenheit des Landes, die staatliche Identität
stiften sollen, im Exil aber langsam verblassen. Zudem sind darunter
einige, die in der Realität ebenfalls aus identitätspolitischem Kalkül
nunmehr schwere Zerstörungen erleiden mussten, wie beispielsweise die
Tempel und Grabestürme der antiken Wüstenmetropole Palmyra.
Eine an Urkundenfälschung grenzende Selbstermächtigung kann in der Arbeit
gesehen werden, in der Barakeh aus den Stempelabdrücken in seinem Reisepass
die Stempel der Behörden rekonstruiert und in landestypischem Holz
nachgebaut hat.
## Interkulturelles Versöhnungsprojekt
Eine interkulturelle Versöhnungsaktion ist das das Publikum
miteinbeziehende Projekt „The Aperture“. Hier wird das deutsche Grundgesetz
in arabischer Kalligrafie auf Blätter geschrieben, die in Syrien im Stil
islamischer Buchmalerei gerahmt und ornamental geschmückt wurden. Doch
wirklich lesen können wird diese gemeinsamen Grundlagen anschließend doch
wieder nur ein spezieller Teil der Gesellschaft.
Doch das macht nichts. Denn diese Kunst leistet insgesamt sehr viel an
ästhetischer Übersetzungsarbeit. Und Barakeh ist unermüdlich: In der
[2][Galerie Postel] im Hamburger Uni-Viertel hat er gerade die Ausstellung
„In Between“ mit vier syrischen Exil-KünstlerInnen kuratiert, er sammelt im
„Syria Cultural Index“ die verbliebene Künstlerschaft im Virtuellen und er
plant zukünftig eine Exil-Biennale syrischer Kunst.
13 Dec 2018
## LINKS
[1] https://www.mkg-hamburg.de/de/
[2] http://www.galeriepostel.de/
## AUTOREN
hajo schiff
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
Kunst
Flucht
Exil
Nordirland
Trauer
Theater
Der Hausbesuch
Schwerpunkt Syrien
Neu-Berlinern
Kunsthalle Hamburg
Identität
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hamburger Ausstellung über Trauer: Gute Übung
Die Hamburger Kunsthalle widmet sich den Themen Trauer, Verlust und
Veränderung. Dafür findet sie starke Bilder, die im Kopf bleiben.
Theater im Libanon: Raus aus der Opferrolle
Kann man Kunst nutzen, um Opfern von Gewalt zu helfen? Zoukak, ein Theater
aus Beirut, arbeitet so seit mehr als zehn Jahren.
Der Hausbesuch: „Ich bin nicht euer Vorzeige-Kanake“
15 Jahre in der sächsischen Provinz gingen an Edris Zaba nicht spurlos
vorbei. Heute lebt der gebürtige Afghane in Leipzig und hilft Geflüchteten.
Volksbühne-Premiere in Berlin-Tempelhof: Kein Bock auf Flüchtlingsschublade
Am Samstag feierte „Iphigenie“ Premiere. Alle Darstellerinnen sind aus
Syrien, wollen aber nicht auf ihren Status reduziert werden.
taz-Serie Neu-Berlinern: Damaskus an der Sonnenallee
Er will die Stadt mitgestalten – und seine Steuern zahlt er gern. Im
dritten Teil ihrer Serie trifft sich Henriette Harris mit dem syrischen
Künstler Khaled Barakeh.
Der Gap zwischen Buchstabe und Bild: Spekulieren mit Schrift
Die Themenausstellung „Art and Alphabet“ in Hamburgs Kunsthalle widmet sich
dem vielschichtigen Wechselverhältnis von Buchstaben und Bildern
Film über die Mühe des Ankommens: Ruheloses neues Leben
Der syrische Filmemacher Nehad Hussein erzählt in seinem Film „Accordion“
von den Mühen, nach der Flucht wieder Fuß zu fassen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.