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# taz.de -- Der Hausbesuch: „Ich bin nicht euer Vorzeige-Kanake“
> 15 Jahre in der sächsischen Provinz gingen an Edris Zaba nicht spurlos
> vorbei. Heute lebt der gebürtige Afghane in Leipzig und hilft
> Geflüchteten.
Bild: Bei Edris Zaba in Leipzig. Seit 2015 hat er einen deutschen Pass
Zu Besuch bei Edris Zaba in Leipzig. Er lebt seit über 20 Jahren in
Deutschland, hat aber erst seit 2015 die deutsche Staatsbürgerschaft – und
arbeitet in der Flüchtlingshilfe. Deshalb weiß er, was einen Flüchtling von
damals von einem Flüchtling von heute unterscheidet.
Draußen: Karli nennen die Ortsansässigen das Herzstück des Leipziger
Südens. Auf zweieinhalb Kilometern (Karl-Liebknecht-)Straße rattert
tagsüber die Straßenbahn, steht Fair-Trade-Klimbim zum Verkauf. Abends
lehnen sich Leute in Kneipenstühlen und Kinosesseln zurück. Durchsanierte
Gründerzeithäuser reihen sich aneinander, ab und an graubrauner DDR-Putz
auf einer der vielen Querstraßen. In einer von ihnen ist Edris Zaba zu
Hause. Unter den Wäscheleinen des Hinterhofs spielt sein Golden Retriever
mit einem Stöckchen.
Drinnen: Ein klappriges Geländer führt zur Wohnung hinauf. Im Wohnzimmer
steht dessen Schmuckstück: ein braunes Regal mit Platten und Büchern. Zur
Sammlung gehören Johnny Cash und Ali Hassan Kuban, nubische Stimme im Exil.
Eine Etage darunter wurde Fromm an Hesse gereiht, Goethe an einen Koran.
Auf dem großen Sofa nimmt Zaba mit seinem Hund Platz.
Absurd:Das Gefühl, als er 2015 die deutsche Staatsbürgerschaft erhält. Ein
feierlicher Festakt, doch Zaba möchte nicht feiern. Er lacht, wenn er
erzählt: „Ich konnte es mir nicht verkneifen und habe für die
Ausländerbehörde geklatscht. Schön, dass ihr es nach zwanzig Jahren
geschafft habt, mich anzuerkennen. Nach all der Zeit wollt ihr mir sagen:
‚Willkommen‘? Ich sächsle sogar ein bisschen, ich bin schon lange hier.“
Der Pass bringt Sicherheit. Seine anderen vier Familienmitglieder warten
noch.
Theorie: Auf dem Couchtisch des Philosophiestudenten liegt neben
Hundeleckerlis das Buch „Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten“. Er ist
bereits im Master. Durch das Studium will Zaba verstehen, wie
Gesellschaften ticken und wie Menschen darin ihren Platz finden.
Philosophie werfe dabei viele Fragen auf, liefere aber auch
Orientierungspunkte: „Ich wollte etwas fürs Leben lernen, nichts
Zweckdienliches, weil du dich als Ausländer verwerten musst.“ Und, halb im
Spaß: „Ich bin nicht euer Vorzeigekanake.“
Praxis: Den Praxisbezug stellt er dabei im Asylheim her. Eine bewusste
Begriffswahl: „Unterkunft“, das klingt nach Hotel, Wohnung, viel Platz.
Heim hingegen beschreibt Enge, die Zustände der 90er – und somit seine
Erinnerungen. Zu Beginn des Uni-Lebens hat er diesen Teil seiner Biografie
gern verschwiegen. Beim Schauen einer Dokumentation über
Rostock-Lichtenhagen vor zwei Jahren steigt in Zaba Panik auf, er
beschließt, offensiv mit der Vergangenheit umzugehen. In der Asylbegleitung
nimmt er eine Stelle an: „Ich wollte dort Platz besetzen. Damit kein weißer
Deutscher kommt und sein Helfersyndrom an der Hilfsbedürftigkeit der
Ausländer auslässt.“
Dschalalabad: In der ostafghanischen Stadt wird Zaba 1989 geboren. Der
Vater genießt Ansehen: Studium in Russland, Mitglied der Kommunistischen
Partei, Chef für die Innere Sicherheit Afghanistans, Umzug nach Kabul. Doch
die Mudschaheddin und die Taliban gewinnen im Bürgerkrieg die Oberhand. USA
oder Kanada? In letzter Sekunde entscheiden sich die Eltern um, die Wahl
fällt auf Deutschland – „wegen der Bildungschancen für uns Kinder“.
Ratschläge: Denjenigen, die erst angekommen sind, rät er zur Geduld: „Als
Ausländer hast du weniger Rechte, aber mehr Pflichten.“ Dennoch sollten sie
hartnäckig bleiben, sich vom Amt nicht abwimmeln lassen. „Die Geflüchteten
werden gegeneinander ausgespielt. Bleiberecht und Sprachkurse gibt es für
Syrer – Afghanen und Iraker haben das Nachsehen und werden abgeschoben.“ Er
versucht zu vermitteln, Zuversicht zu geben, mit Behörden zu sprechen. Oft
sind ihm die Hände gebunden. In Leipzig gebe es durch Ehrenamtliche
wenigstens Angebot und Unterstützung, in der Provinz ist das anders.
Asylsuche: Bei den Verwandten in Hamburg darf Zabas Familie nur kurz
bleiben. Freie Plätze gibt es in Sachsen, hier kennt die Familie niemanden.
Auf Leipzig-Paunsdorf folgt kurz darauf Leisnig im Muldental: eine Burg auf
dem Berg, drum herum 8.000 Menschen und die ehemaligen Pension Baumblut.
Hier lebt die fünfköpfige Familie auf 20 Quadratmetern. Für acht Jahre.
„Gleich zu Beginn gab es drei, vier größere Anschläge auf das Heim“, sagt
Zaba. Nachts fahren Autos mit quietschenden Reifen vorbei, es werden
Nazi-Parolen gerufen. Die Bewohner*innen organisieren den Schutz selbst:
„Die Stadt Leisnig hat in all den Jahren kein Zeichen gegen Rassismus
gesetzt.“
Der Vater: Ahnt vermutlich, dass seine goldenen Jahre vorbei sind. Umso
mehr setzt er seine Kraft in die Erziehung und Bildung der Kinder, lernt
gemeinsam mit ihnen Deutsch: „Er hat seine Gefühle immer vor uns versteckt.
Es war hart für ihn, dass einfache Angestellte über sein Leben
entscheiden.“ Schnell merkt der Sohn, dass er nur durch Leistung
Anerkennung der Lehrer*innen erfährt. Zaba schafft es aufs Gymnasium. Er
wird Klassensprecher, seine Mitschüler*innen respektieren ihn. Nur nach
Hause kann er nicht zu allen: „Meine Eltern haben was gegen Ausländer“,
lautet die Begründung. Der afghanische Respekt vor Erwachsenen ist
irgendwann endlich: Bei ungerechter Behandlung schießt Zaba doppelt zurück.
Sein Vater muss häufiger in die Schule als die Eltern deutscher Kinder.
Ohnmacht: Während einer Auseinandersetzung beschimpft ihn die Leisniger
Schulleiterin als Kanake. Konsequenzen folgen nicht. Das Heim macht dicht,
das nächste steht für drei weitere Jahre schon bereit. In der Kreisstadt
Döbeln gelten Schüler*innen und Lehrer*innen als liberaler. Bald wechselt
der Direktor, die Schikanen beginnen. Erneuter Schulwechsel. Der große
Bruder bekommt drei Lehrstellen angeboten, darf sie aufgrund der fehlenden
Arbeitserlaubnis aber nicht annehmen. Eine Spirale. Der nicht enden
wollende Duldungsstatus zermürbt die Familie. Nur beim Sport kann Zaba
Frust ablassen.
Anstoß geben: Die Ausländerbeauftragte der Region meint es gut mit der
Familie. Wegen ihr bewirbt sich Zaba bei der START-Stiftung, einem
finanziellen und ideellen Stipendium für Schüler*innen mit
Migrationshintergrund. Auf den Ausflügen und Seminaren fasst er Mut, doch
noch anzukommen. Der neue Klassenlehrer ermuntert ihm zum Studium.
Universität? Bafög beziehen? „Bisher hatte ich immer nur gehört, dass ich
nicht vom Steuergeld anderer leben sollte.“ Abitur und raus aus der
Provinz. Aufatmen.
Zukunft planen: „Das war ohne geklärten Aufenthalt lange Zeit nicht
möglich“, sagt Zaba und serviert Gebäck in einer Schale: „Afghanische
Gastfreundschaft.“ Der deutsche Pass in der Hand sei nicht nur eine
„mentale Befreiung“. Nun kann er einiges nachholen: reisen zum Beispiel.
Nach Indien – oder nach Afghanistan. „Ich fühle mich schon ein bisschen
entwurzelt“, gibt er zu. „In den USA kann man beides sein, Italiener und
Amerikaner etwa.“ Das wünscht er sich auch für Deutschland.
Angela Merkel: Für die Kanzlerin hat Zaba einen Vorschlag: „Afghanistan ist
ein sehr altes, kulturell vielfältiges Land. Wenn sie meint, es sei sicher,
dann soll sie doch privat hinreisen.“ Er fragt sich, wie sie Abschiebungen
mit ihrem Gewissen vereinbaren könne, und fügt hinzu: „Wenn die Würde des
Menschen unantastbar ist, dann soll er auswählen, wo und wie er leben
möchte.“
7 Jan 2018
## AUTOREN
Anna-Theresa Bachmann
## TAGS
Der Hausbesuch
Geflüchtete
Einbürgerung
Philosophie
Schwerpunkt Syrien
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