# taz.de -- Der Hausbesuch: Sein Gehirn rast weiter | |
> Er mischte den Kulturbetrieb in der Provinz auf, sammelt Kunst und lebt | |
> im Hundertwasserhaus: Zu Besuch bei John Dew, Opernregisseur im | |
> Ruhestand. | |
Bild: Extravaganz: John Dew in seiner Wohnung | |
Mit seinen Operninszenierungen machte er sich international einen Namen. | |
Zuletzt arbeitete er als Intendant am Staatstheater Darmstadt – und ist | |
auch im Ruhestand in der südhessischen Stadt geblieben. Zu Besuch bei John | |
Dew. | |
Draußen: Auf die geschwungene Fassade legen sich viele Farbschichten. Durch | |
dichtes Grün auf der Terrasse sieht John Dew blaue und goldene Turmhauben | |
ragen. Er lebt in einem Märchenschloss – hoch oben in der „Waldspirale“, | |
einem Haus entworfen von Friedensreich Hundertwasser. | |
Drinnen: Von roten Wohnzimmerwänden heben sich die goldenen Flügel zweier | |
Engel ab, neben der Küchentür bezwingt der Heilige Clemens den Teufel. „Er | |
tritt den Irrglauben“, sagt John Dew, der Kulturschätze aus aller Welt | |
sammelt. Die chinesische Göttin Mazu hat neben der Terrassentür einen | |
eigenen Altar. „Sie hat auch Kleider, die bekommt sie zum chinesischen | |
Neujahr umgelegt – und eine Krone.“ Ob er religiös sei? „Keine Ahnung, a… | |
ich liebe diese Sachen.“ | |
Hundertwasser: „Die meisten finden es merkwürdig, in diesem Haus zu | |
wohnen“, sagt Dew. Warum er hier gelandet ist? „Reiner Zufall.“ Die | |
Illusion, dass die Fenster des Gebäudes aussehen, wie von Hand gemacht, | |
fasziniert ihn. Großer Hundertwasserfan ist Dew trotzdem nicht: „Ich finde | |
seine Bilder absolut abscheulich.“ An seiner Wohnung schätzt Dew, dass er | |
überall hinschauen kann, aber keiner zu ihm herein. Und dass er schnell am | |
Frankfurter Flughafen ist – also „in Paris und London“. | |
Ziele: Über der Tür zum Flur hängen Figuren aus Taiwan, die für die Ziele | |
im Leben eines Mannes stehen: „Ein Amt soll er haben, Weisheit soll er | |
erlangen und ein Kind soll er bekommen.“ Das Kind hat kein Gesicht, deshalb | |
passe es zu ihm, der keine Kinder habe, erklärt Dew. | |
Herkunft: Geboren ist er 1944 in Santiago de Cuba, aufgewachsen in New | |
York. Seine Eltern sind beide Briten: Die Mutter war Grundschullehrerin, | |
der Vater arbeitete beim britischen Konsulat. | |
Jugend: Als er jung war, sagt Dew, sei er „ein Nerd“ gewesen. „Ich habe | |
lieber Opern gehört, als Ball zu spielen.“ Er erinnert sich daran, wie sein | |
Vater ihm Richard Wagner vorspielte, als er als 14-Jähriger krank im Bett | |
lag. „Er hat gesagt: Im Radio kommt Musik, die gefällt dir bestimmt. Es war | |
der dritte Akt von ‚Siegfried‘.“ Dew sagt: „Mein Vater wusste nichts von | |
Opern, aber er wusste, dass ich mich langweilte.“ | |
Mysterium: Für den jungen Dew war die Opernmusik ein Rätsel, das es zu | |
ergründen galt. Auf sein Drängen hin sei seine Mutter mit ihm in | |
Opernaufführungen gegangen. „Sie hat mich als Erstes in ‚Salome‘ von | |
Richard Strauss gebracht, unwissend, dass das ein völlig unanständiges | |
Stück ist.“ Mit hoher Stimme fügt er hinzu: „Ich war hin-ge-ris-sen.“ | |
Wege: In New York studierte Dew Kunstgeschichte und Bühnenbild. | |
Anschließend brach er nach Deutschland auf. Er hatte gesehen, dass es dort | |
die meisten Opernhäuser gab. Ein Abenteuer für ihn. „Ich war in Bayreuth | |
einen ganzen Sommer lang mit nur vierzehn englischen Pfund unterwegs. Keine | |
Ahnung, wie ich das geschafft habe.“ | |
Rückschau: Angefangen hat er in Osnabrück. Offiziell als Requisiteur, | |
inoffiziell als Mädchen für alles. „Ich habe mich dort in alles | |
eingemischt“, sagt Dew. Regie führte er zum ersten Mal in Ulm. Schließlich | |
arbeitete er über zehn Jahre lang als Oberspielleiter der Oper am Theater | |
Bielefeld. Später inszenierte er auf vielen Bühnen Europas. Wenn er heute | |
zurückblickt, sagt er: „Das Einzige, was ich nicht geschafft habe, ist, in | |
Bayreuth zu inszenieren. Aber vielleicht ist das besser so.“ | |
Bielefeld: Der Opernregisseur verschaffte dem kleinen Theater großes | |
Ansehen – mit Stücken, die unter den Nazis verboten wurden und vergessen | |
waren. Er erinnert sich: „Es gab eine Ausstellung in Berlin zu entarteter | |
Musik. Da hat der damalige Bielefelder Intendant gesagt: Wenn es entartete | |
Musik gibt, dann muss es auch entartete Opern geben.“ Dew sagt: „Wir haben | |
eine Schatztruhe aufgemacht. Es gab einen solchen Run auf die Karten, dass | |
wir fast immer ausverkauft waren.“ Sein Lieblingsstück aus dieser Zeit sei | |
„Transatlantik“ gewesen – eine Oper von George Antheil, the bad boy of | |
american music. Seine Kollegen hätten das Stück für unspielbar gehalten. Er | |
hingegen sagte: „Das muss sein.“ | |
Dortmund: Als er 1995 nach Dortmund kam, standen die Zeichen anders: „Ich | |
habe schnell gemerkt, dass das ein schwieriges Pflaster war.“ Dew sagt: | |
„Ich war ein echter Störfaktor.“ Er musste erfahren, dass die Städte in | |
Deutschland radikal unterschiedlich sind. „Im Vergleich zu Bielefeld ist | |
Dortmund gesellschaftlich ganz anders strukturiert. Das Reservoir an | |
Leuten, die in außergewöhnliche Opernaufführungen gehen, ist viel geringer, | |
obwohl Bielefeld erheblich kleiner ist.“ | |
Darmstadt: Bis zum Jahr 2014 war Dew Intendant in Darmstadt am | |
Staatstheater, wo Carl Orff vor beinahe hundert Jahren als Kapellmeister | |
arbeitete. Dessen Stücke hat Dew jedes Jahr inszeniert. „Außer ‚Carmina | |
Burana‘ waren sie in Vergessenheit geraten“, sagt er. | |
Theaterprovinzen: „Das Eigenartige an der deutschen Theaterszene ist ja, | |
dass sie an diese Splittergruppe deutscher Städte angepasst ist“, | |
konstatiert Dew – im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wo sich | |
alles auf die Hauptstädte konzentriere. | |
Autokrat: Typisch für Theater in Deutschland findet Dew auch, dass sich | |
Klatsch so schnell verbreitet. Die Diskussion über seinen autokratischen | |
Führungsstil am Darmstädter Theater nennt Dew einen hausgemachten Skandal. | |
Vorwürfe über Intrigen und Mobbing machten damals groß die Runde. „Es hat | |
sich alles als falsch erwiesen.“ Letztlich ging es um Mitbestimmung. „Ich | |
habe Einmischung nicht erlaubt“, sagt Dew offen. Das sei in den Verträgen | |
auch entsprechend festgelegt gewesen. Auf die Frage, ob Theater nicht | |
demokratisch sein kann, sagt er: „Das funktioniert nicht. Einer muss die | |
Verantwortung übernehmen, einer ist der kreative Geist.“ | |
Spielzeug: Im Flur reihen sich viele CDs. „Das sind toys for boys“, sagt | |
Dew. „Manchmal kommen Freunde, dann hören wir eine Wagner-Oper, machen | |
Essen, zwischendurch Pausen.“ Die Schallplatten mit ihren vielen | |
Störgeräuschen ist Dew inzwischen losgeworden. | |
Maschine: Heute, im Ruhestand, ist Dew froh, aus der Theatermaschinerie | |
raus zu sein. Aber ganz aufhören? Kommt nicht infrage. „Das Gehirn rast | |
weiter.“ Gerade arbeitet er gemeinsam mit einem Komponisten an einem | |
Kammerspiel, „basierend auf Richard Wagners Idee einer Oper, die er dann | |
aber nie geschrieben hat – über den Buddha“. Auch an einer großen Oper | |
seien sie dran – „Isaura“. „Das wird wahrscheinlich in Brasilien zur | |
Aufführung kommen“, sagt Dew. Beides außergewöhnliche Projekte, die „neue | |
Aufregung in mein Leben bringen“. Er beneide Künstler, die bis zum Umfallen | |
arbeiten. | |
Postum: Was nach dem Tod bleibt? „Gar nichts.“ Das Theater sei eine candle | |
in the wind, um es mit Elton John zu sagen: „Wenn der Letzte gestorben ist, | |
der eine meiner Inszenierungen gesehen hat, ist es vorbei“, sagt Dew, „aber | |
dann bin ich auch nicht mehr da.“ Er beginnt schallend zu lachen. | |
5 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Lea Diehl | |
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