# taz.de -- Der Hausbesuch: Von oben sieht die Welt anders aus | |
> Baumhäuser sind für ihn „Refugium und Romantik“. Sein erstes entwarf er | |
> mit 36. Zu Besuch bei dem Architekten Andreas Wenning in Bremen. | |
Bild: In Andreas Wennings Studio ist es so hell, als stünde man draußen | |
Andreas Wenning wohnt im alternativen Bremer Stadtteil Ostertor, auch | |
bekannt als „Das Viertel“. Er entwirft Baumhäuser. | |
Draußen: Wie ein dreistöckiges silbernes Raumschiff steht das Haus und | |
Studio des Architekten Andreas Wenning auf einem Kopfsteinpflasterweg, | |
gelandet zwischen bunten Häusern voller Blumen, alten Straßenlaternen, | |
Fahrrädern und Baufahrzeugen. Einige Meter entfernt fließt die Weser. Junge | |
Menschen flanieren an Cafés vorbei. | |
Im Garten des Hauses von Andreas Wenning hängt ein Baumhaus in einer alten | |
Weide. In seinen Wänden aus Edelstahl spiegeln sich die Blätter, tarnen es | |
im grauen Mittagslicht. Darunter haben fünf Kaninchen ihren Holzstall, in | |
einem Glasgehege wohnt die Schildkröte. Daneben stehen ein Kirschbaum, ein | |
Birnbaum, eine Birke, ein Fächerahorn und noch eine Holzhütte als | |
Rückzugsort für die Familie. An der großen Mauer aus Brennholz („nur Deko�… | |
teilen sich eine Madonna und ein Buddha einen schlichten Altar mit | |
Teelichtern, Steinen und Keramikfischen. | |
Drinnen: Durch den Spielraum seiner vier- und siebenjährigen Söhne führt | |
die Treppe in Andreas Wennings Studio in der dritten Etage. Der Blickfang: | |
ein riesiges Schwarzweißbild eines sonnigen Winterwaldes. Außerdem | |
Baumhaus-Modelle, ein Zeichentisch aus Glas, Familienfotos, | |
Architekturbücher, ein Porträt von Wenning, auf dem er aussieht wie der | |
junge David Bowie. Im Studio ist es so hell, als stünde man draußen. Eine | |
Wand mit Blick zur Stadt ist komplett verglast, Regentropfen laufen die | |
Scheiben herunter. Nur mit normalen Fenstern könnte der in Mönchengladbach | |
geborene Architekt mittlerweile nicht mehr wohnen, sagt er. Licht sei für | |
ihn alles. | |
Kindheit und Baumhaus: Die Sehnsucht nach Abenteuer und Geborgenheit ist, | |
was aus einem Baumhaus ein Traumobjekt macht, sagt Wenning. „Manche Leute | |
wollen nachholen, was sie als Kind nicht hatten. Andere langweilen sich und | |
schaffen Raum für Experimentelles.“ Was den 51-Jährigen am Bau eines | |
Baumhauses fasziniert, ist das Sinnliche, die Aufgabe, „eine definierte | |
Struktur in ein lebendiges Gefüge wie den Baum zu planen“. | |
Ein Baumhaus sei für ihn „Refugium und Romantik“. Als Kind lebte Wenning | |
teils auf einem Bauernhof mit den Großeltern, teils in einer winzigen | |
Wohnung mit den Eltern. Er spürte früh das Bedürfnis, einen Ort für sich | |
allein zu haben. Am liebsten im Grünen, um Kaffee zu trinken, zu lesen, bei | |
sich selbst zu sein. Und um die Perspektive zu wechseln. „Von da oben sieht | |
die Welt anders aus.“ | |
Pionier: Als Kind beschäftigte Wenning sich mehr mit Höhlen als mit | |
Baumhäusern. Mit 18 machte er eine Tischlerlehre in Weinheim bei | |
Heidelberg. Erst mit 36, schon als Architekt, setzte er sein erstes | |
Baumhaus zusammen, auf einem Bauernhof von Freunden außerhalb Bremens. | |
Dieses Baumhaus war der Ausgangspunkt für sein Büro „baumraum“, das er 20… | |
gründete. Eines der ersten, die sich mit dem Thema beschäftigen. „Er baut | |
Baumhäuser“, antworten seine Kinder stolz auf die Frage: „Was macht dein | |
Papa?“. Pionier zu sein, „das fühlt sich gut an“, sagt Wenning. | |
Bäume: Erfolgsdruck spürt Wenning nicht von außen, den mache er sich | |
selbst, erzählt er. „Ich setze mich unter Druck, aus Ehrgeiz oder weil ich | |
einfach eine gute Arbeit leisten möchte.“ Mit der Tatsache, dass | |
Baumhaus-Projekte sich oft „in Luft auflösen“, habe er sich abgefunden. | |
Manchmal scheitere ein Vorhaben, weil das Budget doch nicht reichte oder | |
weil bürokratische Hürden zu groß sind. „Etwa ein Drittel der Projekte wird | |
nicht gebaut, weil das Bauamt keine Genehmigung erteilt.“ Auch manche | |
Naturschützer kritisieren seine Arbeit. „Sie finden es bedeutsamer, dass | |
sich durch das Haus ein Vogel gestört fühlt und nicht mehr zum Baum | |
fliegt.“ | |
Wenning benutzt Stelzen und Spanngurte, um den Bäumen nicht zu schaden. Er | |
sei doch selbst ein Baumliebhaber, sagt er. Gleditschien mag er besonders. | |
„Sie sind so hübsch und elegant.“ Aber auch Kiefern. „Eigentlich liebe i… | |
sie alle.“ Für die Arbeit sei dagegen nicht jeder Baum geeignet: „Gesund | |
und kräftig und auch nicht mehr sehr jung müssen sie sein“, sagt Wenning. | |
Eichen sind gut, Pappeln und Weiden zu flexibel. | |
James Bond: Eine Herausforderung wäre für Wenning, ein Baumhaus auf einer | |
Klippe zu bauen. In Nordkalifornien zum Beispiel, „wie die Laboratorien in | |
einem James-Bond-Film“. Das Spannungsfeld zwischen futuristischem Design | |
und natürlicher Kulisse reize ihn am meisten. Auch oben auf einem Hochhaus | |
würde er gern ein Baumhaus platzieren. Möglich sei das, nur habe bisher | |
niemand so etwas bestellt. Kunden mit Höhenangst hatte er noch nie. | |
Manchmal muss er aber über die eigene Furcht hinauswachsen. „Wenn ich | |
drei, vier Meter klettere und mit einem Seil da oben hänge, kommt die | |
Angst.“ | |
Blumige Sprache: „Die Grundidee bei der Gestaltung des Baumhauses entstand | |
aus der Faltung eines Blattes, welches fließend den Innen- und den | |
Außenraum miteinander verbindet“, beschreibt Wenning eines seiner | |
Baumhäuser auf seiner Webseite. „Fenster zu allen Seiten sowie ein großes | |
Oberlicht lassen Blickbeziehungen in alle Himmelsrichtungen zu“, steht an | |
einer anderen Stelle. | |
Er lacht laut bei der Frage, ob er aus einer Dichterfamilie komme. „Nein, | |
in meiner Familie gab es eine ganz normale, einfache Sprache“, sagt er. | |
Doch er gibt zu, schon seit seiner Jugend „eine Vorliebe für blumige | |
Wörter“ zu haben. Eine Verbindung zwischen Poesie und Architektur sieht er | |
trotzdem nicht, viel mehr glaubt er an das Philosophische und Politische | |
seines Metiers. „Baumhäuser können auch als Symbol stehen für ein | |
Miteinander mit der Natur, für Besinnung und Bescheidenheit.“ | |
Isoliert: Es macht Wenning Spaß, unter einem Dach sowohl zu wohnen als auch | |
zu arbeiten, doch die Selbstständigkeit habe auch eine Schattenseite, sagt | |
er, „viel Orga, viel telefonieren, Bürotätigkeiten, vieles allein erledigen | |
zu müssen“. Dagegen ist er begeistert, wenn er draußen arbeiten kann, wenn | |
er auf die Baustellen geht und direkten Kontakt mit Bauarbeitern, Bauherren | |
und Baumgutachtern pflegen kann. Er liebe es, auf Symposien Vorträge zu | |
halten und ArchitektInnen und Projekte aus aller Welt kennenzulernen, | |
erzählt er. „Weniger isoliert“ fühle er sich dank des Austauschs mit | |
KollegInnen. „Auch wenn ich mit Menschen arbeite, bin ich während der | |
kreativen Phase, wenn ich überlege oder plane, ganz allein in meinem Kopf“, | |
sagt er. Delegieren sei keine einfache Aufgabe. | |
Einklang: Andreas Wenning achtet darauf, dass er als Selbstständiger nicht | |
zu viel arbeitet. Er nimmt sich drei Nachmittage die Woche, um mit seinen | |
Kindern etwas zu machen, vermeidet es abends immer noch im Büro zu sitzen, | |
kocht und spielt Beachvolleyball. Familienurlaub macht er, sooft er kann – | |
gern in Baumhäusern. Ein Workaholic sei er nie gewesen, sagt er. | |
„Steinreich zu werden oder bestimmte Kunden um jeden Preis zu kriegen ist | |
sowieso nicht Sinn der Sache.“ Privates und Berufliches in Einklang zu | |
bringen, das sei ihm wichtig. | |
Glücklich: „Ich vergesse manchmal in meinem Alltag, zu sehen, dass das | |
Glück da ist“, sagt Wenning nach langer Überlegung. Er sei ein glücklicher | |
Mann, immer wenn es ihm gelinge, sein Glück wahrzunehmen. | |
24 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Luciana Ferrando | |
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