# taz.de -- Der Hausbesuch: Wo das Frühstücksei gelingt | |
> Christian Döpping wuchs in Gotha auf. Dort organisierte er Konzerte. | |
> Heute macht er fast alles: Er spielt selbst, managt Bands und fährt den | |
> Tourbus. | |
Bild: Christian Döpping improvisiert gerne. Seinen Kaffee trinkt er aus Marmel… | |
Eine Gegend im Umbruch, eine, in der viel passiert: der Leipziger Westen, | |
ehemals Industriezentrum der Stadt. Dort in der alten Gerberei findet man | |
Christian Döpping. | |
Draußen: Aus Schutt und wildem Gestrüpp ragen vereinzelt rote Schornsteine. | |
Die Motoren sind verrostet, das Gummi der Fließbänder längst brüchig | |
geworden. Trotzdem hämmert und klirrt es überall im Leipziger Westen, dem | |
einstigen Industriezentrum der Stadt. Es klirrt auf der Angerbrücke mit den | |
gerade verlegten Straßenbahnschienen. Es klirrt auf den Gerüsten, die die | |
Wohnhäuser hier einhüllen. | |
Drinnen: Christian Döpping sitzt am gedeckten Tisch. Es gibt Tee aus | |
Marmeladengläsern. Aus den Weiten des Raums erklingt schwermütiger Blues. | |
Hier in der Wohnung seiner Partnerin hat Christian Döpping in diesem Jahr | |
nur drei Monate verbracht. Die restliche Zeit des Jahres sei sein Zuhause | |
überall dort, wo ihm das perfekte Frühstücksei gelingt: das Weiße hart, das | |
Gelbe weich. Seine Trefferquote liege bei 95 Prozent. | |
Selbermachen: Im Elternhaus in Gotha hat er seinen ersten Proberaum. Beim | |
Jammen ist sein Bruder Johannes oft dabei. Gemeinsam organisieren sie die | |
ersten Konzerte („Wen kennst du, wo kann man spielen?“), bedrucken T-Shirts | |
in der Siebdruckwerkstatt. Getreu dem DIY-Prinzip – Do it yourself – des | |
Punk. Insgesamt sind sie mal vier, mal fünf Musiker. So passen sie alle in | |
einen Bus. Christian fährt ihn, er ist der Einzige damals, der einen | |
Führerschein hat.In Dresden war er bis vor wenigen Jahren Teil eines | |
Label-Kollektivs, Discorporate Records. Für „Spartenmusik“: Avantgarde, | |
Jazz, Noise. Auch die Scheiben seiner aktuellen Band „Tarentatec“ sind bei | |
dem Label erschienen. Sein Bruder spielt Schlagzeug, Christian Gitarre. Wie | |
sich das Ganze anhört? Nach „organisch-experimenteller Rockmusik. Um es | |
kurz zu halten.“ | |
Soundcheck: In den kleinen Clubs fehlt es oft am Nötigsten: „Erst packt man | |
ein Mikrofon ein, weil sogar das manchmal fehlt. Dann nimmt man den | |
Lötkolben mit, weil das, was da ist, oft kaputt ist.“ Auch die Musik mischt | |
er mittlerweile selbst ab: „Sound machen ist für mich wie ein Instrument | |
spielen.“ Zunächst schiebt er die Regler am Mischpult für seine eigenen | |
Bands, dann auch für andere in der Rolle des „Roadies“. Das heißt: | |
Merchandise verkaufen, den Tourbus fahren, Equipment schleppen. Immer mehr | |
Touren bucht er jetzt auch für andere Bands. Ein Gesamtpaket. Aber nur | |
Tourmanager sein? Ist zu zeitintensiv, nicht kreativ genug. | |
Vielfalt: Wenn er nicht selbst spielt, fährt er Bands, macht ihren Sound: | |
Vom Garagenkonzert nebenan bis zur Tour im Ausland; von der Isomatte auf | |
dem Boden bis zum Einzelzimmer im Hotel. Es ist dieses Spektrum, das ihm | |
gefällt. „Ich habe keine Lust mehr, mich von Pasta zu Pasta zu hangeln.“ | |
Auch musikalisch sei er nach 15 Jahren im Geschäft aufgeschlossener. | |
Angestellt wird er von Indie-Größen wie „Future Islands genauso wie von der | |
HipHop-Kapelle „Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi“. Mit „The Notwist�… | |
arbeitet er seit Kurzem für eine Band, deren Sound ihn „total geprägt“ ha… | |
als er um die 20 war. Es gebe kein Genre mehr, dem er nichts abgewinnen | |
kann. Wirklich? „Na ja, Ragga-Dancehall vielleicht“, gibt Christian zu. | |
Europa und Nordamerika hat er bereits abgeklappert. Dieses Jahr war er in | |
Mexiko. Wo er noch hinwill? „Nach Asien.“ | |
Spaziergang: Wie vermeidet man auf Tour den Gruppenkoller? „Indem man sich | |
mit Leuten umgibt, mit denen es funktioniert“, so die nüchterne Antwort. | |
Manche Menschen würden an der Nähe zugrunde gehen, er hingeben genießt | |
diese „familiäre Situation“. Aufbauen, Soundcheck, essen („wenn du Glück | |
hast“), spielen, abbauen, schlafen, weiter. | |
Die Routine lehrt den Umgang mit Stress und Menschen: Wen muss man mal in | |
Ruhe lassen? Wem mal einen Rat geben („Geh mal spazieren oder so“)? Rituale | |
seien wichtig, um sich „on the road“ ein Stück Zuhause zu schaffen. So wie | |
mit dem Frühstücksei. In ein Loch falle man erst, wenn die Tour vorbei ist: | |
„Das geht allen Künstlern so, die ich kenne.“ Dann helfen nur noch: | |
Strukturen. | |
Loblied: Von seiner eigenen Musik wollte er finanziell nie abhängig sein. | |
Sicherheit sollte ein Studium zum Tonmeister schaffen. Christian scheiterte | |
jedoch an der Aufnahmeprüfung. Medientechnologie in Illmenau wurde zur | |
Alternative. Heute sagt er: „Die 10.000 Euro Bafög-Schulden hätte ich mir | |
sparen können.“ Zu wenig Praxisbezug. | |
Eine Weile arbeitete er als Raum- und Bauakustiker. Nur 50 Prozent, um viel | |
zu touren. Aber: „Ich konnte nichts richtig machen.“ Jobs wurden | |
vorgegeben, das Arbeitsumfeld auch: „Wenn du etwas gut machst, dann ist das | |
normal. Wenn nicht, gibt es Stress.“ Musik machen, ob nun auf der Bühne | |
oder hinter dem Mischpult, sei da anders: „Du merkst sofort, wenn die Leute | |
Spaß haben.“ | |
Waagschale: Doch sich komplett selbstständig machen? Anfangs nimmt | |
Christian für Tourenbuchen, Bandsfahren und Musikabmischen kein Geld, „weil | |
keins da war“. Manchmal bekommt er 25 Euro am Tag. „Harz IV kann schnell | |
zur Falle werden“, erklärt Christian: „Vor allem wenn man nur von der Hand | |
in den Mund leben möchte.“ Ab 2009 hatte er es bezogen, seit diesem Jahr | |
ist das vorbei. Das sei ein gutes Gefühl. | |
Doch nach der Tour beginnt auch jetzt die Bürokratie: „Ich möchte arbeiten, | |
keine Steuerabrechnung machen.“ Ganz ohne Zwang zum Profit und Konsum zu | |
leben, das wäre Christian das Liebste. Dann würde auch das Abwägen | |
aufhören: „Die Band, die einem am Herzen liegt, oder die, für die man auch | |
mal bezahlt wird?“ Veränderung komme auf einen zu, nicht anders herum. | |
Dennoch: „Irgendwas in einem klopft und fragt, wie lange es so weitergehen | |
kann.“ | |
Ankommen: Während der acht Jahre in Dresden schätzt er „die Ruhe“ und „… | |
Grün“: Elbwiesen, Heide, Sächsische Schweiz. Und Orte, wie das | |
Festspielhaus Hellerau, ein Zentrum für modernen Tanz und Musik. Doch in | |
der sächsischen Hauptstadt gibt es kein großes „Kommen und Gehen“. Seit | |
zwei Jahren sucht Christian ein neues Zuhause. Das Loft seiner Freundin sei | |
ein „besonderer Ort“. Einen eigenen Rückzugsraum hat er hier aber nicht. | |
Geboren im Thüringer Wald, gewöhnt sich Christian nur schwer an das | |
Leipziger Flachland: „Alles, was sich hier Wald nennt, ist Gestrüpp und | |
stinkt den ganzen Sommer nach Bärlauch“, sagt er und lacht. Dafür gebe es | |
in Leipzig noch viel zu entdecken, etwa wenn ein „geiler neuer Keller“ für | |
drei Monate aufmacht und es dort gute Konzerte gibt. Warum nicht Berlin? | |
„Da geht es so viel darum, wie man sich anzieht.“ | |
Was denkt er über Merkel? Politik sei etwas Surreales. „Wer hat Einfluss | |
auf was? Wie funktioniert so ein Staat?“ Wichtiger als die Taten eines | |
Staatsoberhauptes sei die „Eigenverantwortung“ der Menschen. Kürzlich | |
erfuhr er von selbst initiierten Krankenhäusern in Griechenland. Solche | |
Initiativen inspirieren Christian. Es beginne im Kleinen. Statt sich über | |
den Müll auf der Straße aufzuregen, sollten die Leute ihn einfach aufheben. | |
Trotzdem sei Wählen wichtig. Auch wenn sie nicht wissen, was die Leute gut | |
finden, „dann können sie immer noch entscheiden, was sie am wenigsten | |
scheiße finden“. | |
10 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna-Theresa Bachmann | |
## TAGS | |
Der Hausbesuch | |
Musik | |
Leipzig | |
Konzert | |
Tour | |
Bremen | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Jazz | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
40 Jahre Deutscher Herbst | |
Der Hausbesuch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Der Hausbesuch: Von oben sieht die Welt anders aus | |
Baumhäuser sind für ihn „Refugium und Romantik“. Sein erstes entwarf er m… | |
36. Zu Besuch bei dem Architekten Andreas Wenning in Bremen. | |
Der Hausbesuch: Kulturclash mit Ukulele | |
In Leipzig hielt die Raupachs nichts mehr. Peu à peu zogen sie nach Peritz, | |
in eine Porzellan-Manufaktur, die mal die Dorfkneipe war. | |
Der Hausbesuch: Im grünen Bereich | |
Arwa Haj Ibrahim kam 2015 aus Syrien in ihre neue Heimat Berlin. Gekocht | |
wird zu Hause meist syrisch, gesprochen immer öfter deutsch. | |
Der Hausbesuch: Pflanzen und ernten | |
Er brannte Bausteine und pflückte Tee, aber er wollte schreiben. Zu Besuch | |
bei dem Schriftsteller Stanley Gazemba in Nairobi. | |
Wilfried Berghaus über Jazz in Ostfriesland: “Hören muss man immer wieder n… | |
Seit 25 Jahren organisiert Wilfried Berghaus Jazz-Konzerte in Ostfriesland. | |
Wieso sich weltweit Musiker darum reißen, in Leer auftreten zu dürfen, | |
erzählt er im Interview | |
Der Hausbesuch: Blau ist seine Lieblingsfarbe | |
Isabella Brawata und Thorsten Büchner sind blind. Seit 18 Jahren sind sie | |
ein Paar. In Marburg, der Blindenstadt Deutschlands, sind sie zu Hause. | |
Der Hausbesuch: Lidschatten für die Kanzlerin | |
Reem Jarhum ging im Jemen auf die Straße, dann floh sie nach Deutschland. | |
Hier träumt sie davon, als Make-up-Künstlerin zu arbeiten. | |
Der Hausbesuch: „Ich bin ein Nomade“ | |
Schon als er im kurdischen Dorf in Syrien aufwuchs, spürte er die Unruhe. | |
Anfangs dachte er, er suche Ziele. Doch das Gefühl blieb. | |
Der Hausbesuch: Einer, der Ordnung ins Chaos bringt | |
Karl-Heinz Viemann ist elektrisiert von der RAF. Er will alles wissen, | |
sammelt, was er dazu kriegen kann. Er will aufklären, was unaufklärbar ist. | |
Der Hausbesuch: Bei ihm pumpt das Herz | |
Als Kind liebte er die Mühle des Großvaters, jetzt lebt er in Leipzig: | |
Stephan Tuchscherer macht Krafttraining und schreibt Gedichte. |