# taz.de -- Der Hausbesuch: Pflanzen und ernten | |
> Er brannte Bausteine und pflückte Tee, aber er wollte schreiben. Zu | |
> Besuch bei dem Schriftsteller Stanley Gazemba in Nairobi. | |
Bild: In einer winzigen Wohnung am Rande Nairobis lebt der Schriftsteller Stanl… | |
Mit 12 hat er sein erstes Manuskript zum Verleger geschickt. Zu Besuch bei | |
Schriftsteller Stanley Gazemba, 44, in Nairobi. | |
Draußen: Kangemi liegt, wie viele der Armenviertel von Nairobi, am Rande | |
der kenianischen Hauptstadt. Eingeklemmt zwischen einem sehr schicken | |
grünen Wohnviertel und der Autobahn, die voller Löcher ist und gen Westen | |
führt. Gazembas Appartement liegt in einem zweistöckigen Gebäude, wo | |
momentan im dunklen Kellergeschoss mehrere Einzimmerwohnungen gebaut | |
werden. | |
Drinnen: Der Schlafbereich des Zimmers ist versteckt hinter einen Vorhang. | |
Es ist eng im Wohnbereich, eine Bank steht da, ein Sessel, ein Bürostuhl, | |
ein Bücherregal und ein winziger Tisch. An der Wand hängt ein Poster von | |
Burning Spear, dem Reggaesänger aus Jamaika. Auf dem Tischlein liegt neben | |
einigen von Gazembas Büchern ein sehr altes und zerfallenes Oxford | |
Dictionary. „Ich habe das von meinem ältesten Bruder vor vielen Jahren | |
geliehen. Ich gebe es nie wieder zurück. Es ist meins geworden, ich liebe | |
es und kann ohne es nicht leben“, sagt Stanley Gazemba. | |
Die Kinder: An der Decke hängen ein rosa und ein blaues Kinderstühlchen aus | |
Plastik. Daneben an der Wand Bilder seiner Familie. Gazemba, seine Frau, | |
eine Tochter und ein Sohn. Die Tochter ist 13 und gleicht dem Vater. | |
„Halsstarrig und kreativ. Sie wird Musikerin, vermute ich. Der Bub ist noch | |
zu jung und spielt noch am liebsten im Schlamm.“ Die Kinder wohnen mit der | |
Mutter in Vihiga, in Westkenia, wo der Schriftsteller herkommt. „Es ist | |
hier viel zu klein und das Leben auf dem Lande ist besser. Ich will auch | |
nicht, dass meine Kinder miterleben, wie viel Zeit ich verschwende, um an | |
Geld zu gelangen.“ Armut trotz der Publikation zweier Romane, zweier Bücher | |
mit Kurzgeschichten und von sechs Kinderbüchern? Er seufzt tief. | |
Verleger: Er hat bei verschiedenen Verlegern in Kenia seine Bücher | |
herausgegeben. Sein erster Roman, „The Stone Hills of Maragoli“, wurde | |
belohnt mit dem Jomo-Kenyatta-Literaturpreis in Kenia. „Aber zahlen tun | |
Verleger selten. Wenn ich zusammenzähle, wie viele Bücher verkauft wurden | |
und was ich aufs Konto bekomme, stimmt es nicht. Und manche zahlen | |
überhaupt nicht.“ Er ist nicht der einzige Schriftsteller, der darüber | |
klagt. Es ist wie bei den Musikern in Kenia, die selten ihre Lizenzgebühren | |
ausgezahlt bekommen. | |
Ausland: Gazemba versucht es jetzt mit dem Verlag The Mantle in den USA. | |
„The Stone Hills of Maragoli“ erscheint dort als Forbidden Fruit. „Sie | |
sagen, dass es sehr gut läuft.“ Er ist gespannt auf die erste Zahlung. „Ich | |
traue den Amerikanern viel mehr als den Verlegern in meinem Land.“ Er lehnt | |
sich auf dem Stuhl zurück und ist still. Dann erklärt er, dass für ein Buch | |
geworben werden muss, um es zu einem Erfolg zu machen. Der Schriftsteller | |
müsse dabei helfen – mit Reden auf Veranstaltungen, mit Lesungen, wo er | |
auch Bücher signiert. Gazemba hat wenig Lust, ins Ausland zu fahren. Er ist | |
zufrieden im eigenen Land. Es sei auch schwierig, ein Visum zu bekommen. | |
Zweimal wurde ihm die Einreise nach Italien verweigert. „Der Organisator | |
der Buchmesse in Venedig ist selbst hierher geflogen, um zu helfen. Er hat | |
mit der Botschaft geredet, aber ohne Erfolg. Ich habe kein hübsches | |
Bankkonto mit viel Nullen und das braucht man für ein Visum.“ | |
Gärtner: Gazemba wusste schon als Zwölfjähriger, dass er Schriftsteller | |
werden wollte. In einem Schulheft hat er sein erstes Buch geschrieben. Mit | |
der Hand. Er hat es mit Illustrationen versehen und an den renommierten | |
britischen Verlag Oxford University Press geschickt. Es dauerte ein Jahr, | |
dann hat der Verleger geantwortet. Er würde die Geschichte nicht | |
publizieren, sehe aber, dass Gazemba Talent habe. „Es war eine Ablehnung, | |
aber auch eine Stimulanz, um weiter zu machen.“ Nach der Schule hatte | |
Gazemba verschiedene Jobs. Er pflückte Tee, brannte Bausteine und grub | |
Gruben. Dann wurde er Gärtner bei der Amerikanerin Susan Linee, der Chefin | |
des Büros der amerikanischen Presseagentur AP in Nairobi. | |
Olivetti: „Sie bemerkte schnell, dass ich schreiben muss. Sie hatte eine | |
alte Olivetti-Schreibmaschine, die sie mir lieh, um meinen Manuskripten ein | |
professionelles Aussehen zu geben.“ Er konnte nicht tippen und brachte es | |
sich selbst bei. Auch heute noch, auf seinem Computer, benutzt er nur die | |
Mittelfinger. „Susan war meine sehr kritische Editorin. Sie war | |
erbarmungslos. Es tat manchmal richtig weh, aber ich erfuhr, dass ich von | |
Komplimenten wenig lernte, dafür aber umso mehr von ihren kritischen | |
Bemerkungen.“ Später schenkte sie ihm einen gebrauchten Computer. Die | |
Olivetti nahm sie mit zurück in die USA, als sie pensioniert wurde. | |
Ghetto: Er lebte mehrere Jahre in einem Häuschen für Personal auf dem | |
Gelände der Amerikanerin. Es lag in einem stillen Viertel mit alten Häusern | |
aus der Kolonialzeit. Im Garten züchtete Gazemba Salat, Wurzeln, Zwiebeln | |
und Bananen. Dann beschloss er, in das nahegelegene Armenviertel Kangemi zu | |
ziehen. „Meine Figuren sind richtige Kenianer, wie die meisten müssen sie | |
jeden Tag kämpfen, um zu überleben. Sie gehören nicht zu der kleinen Gruppe | |
von bevorzugten Menschen. Die richtigen Kenianer leben im Ghetto oder auf | |
dem Lande.“ | |
Kollegen: Gazemba liebt Bücher. Ganz oben steht für ihn Ken Follett, der | |
Brite, der Krimis schreibt und historische Romane. Auch den Amerikaner John | |
Steinbeck mag er sehr. Und natürlich afrikanische Kollegen wie die | |
Nigerianerin Chimamanda Ngozi Adichie und den Kenianer Ngugi wa Thiong’o. | |
„Das sind alle seriöse Schriftsteller. Ich kann mich sehr ärgern über so | |
Showbusinesstypen, die immer im Rampenlicht stehen wollen. Es geht nicht um | |
uns, sondern um das, was wir aufs Papier bringen. Darauf sollen die | |
Scheinwerfer strahlen.“ | |
Kinderbücher: Schriftsteller beherrschen manchmal die Kunst der | |
verschiedenen Genres, aber selten kombinieren sie Romane für Erwachsene mit | |
Kinderbücher. Gazemba hat sechs Bücher für Kinder geschrieben. „Ich möcht… | |
dass jedes Kind die Chance bekommt, lesen zu lernen. Es gibt nichts | |
Schöneres, als sich wegzuträumen in eine andere Welt als die alltägliche.“ | |
Rund 40 Prozent der Kenianer leben unter der Armutsgrenze von 1 Euro pro | |
Tag. Bücher kaufen ist ausgeschlossen, selbst wenn Gazembas Kinderbücher | |
umgerechnet keine 3 Euro im Buchladen kosten. Er hofft, das seine Bücher | |
wenigstens in die Schule gelangen und dort gelesen werden. Obwohl seine | |
Eltern nicht reich waren, gab es immer etwas zu lesen. „Sie waren Lehrer, | |
und Lesen war sehr wichtig für sie. Ich bin dankbar, dass sie uns Kindern | |
das beigebracht haben.“ | |
Bauer und Schriftsteller: Er träumt von einer Zukunft als Bauer und | |
Schriftsteller. Das sind seine zwei großen Berufslieben, er will sie | |
kombinieren. Er möchte ein Stück Land kaufen in Vihiga, wo das Volk der | |
Maragoli lebt, wo er aufwuchs und wo seine Kinder und Frau sind. Er will | |
pflanzen und ernten. Er begreift Agrarwirtschaft und Literatur als eine | |
Symbiose: „Schreiben ist Schaffen und Anbauen ist das auch. Als ich als | |
Gärtner arbeitete und Salat zum Wachsen brachte, dachte ich mir Geschichten | |
aus und die Figuren, die darin eine Rolle spielten. Mein Kopf war während | |
der Gärtnerarbeit dauernd am Kreieren. Ein wundervolles Gefühl. Abends zu | |
Hause brauchte ich es nur zu tippen.“ | |
16 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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