# taz.de -- Endlich 18 – Der Hausbesuch: Schneller als alle Hater | |
> Keshia Kwadwo ist eine der größten Nachwuchshoffnungen der deutschen | |
> Leichtathletik. Die 18-Jährige will Polizistin werden. | |
Bild: Zu Hause in der Hochparterre-Wohnung der Eltern. Wann Keshia Kwadwo auszi… | |
Zu Besuch bei Keshia Kwadwo in Bochum-Wattenscheid. Die 18-jährige | |
100-Meter-Läuferin hat im Sommer mit der Staffel den Juniorinnen-Weltrekord | |
gebrochen. | |
Draußen: Sonntagmorgen, Schneeregen, trüb. Etwas außerhalb der Bochumer | |
Innenstadt, in einer Straße mit Baumnamen, wohnt Keshia Kwadwo mit ihrer | |
Familie – bis auf die Mutter alle Sportler. Sie ist seit 15 Jahren in einer | |
Hochparterre-Wohnung mit blauer Tür und blauen Briefkästen zu Hause. | |
Gegenüber Satteldachhäuser. „A way of life“ steht auf einer Fassade. | |
Drinnen: Frisches Obst auf dem Tisch, ein Borussia-Dortmund-Kissen auf dem | |
roten Sofa. Die Wände im Wohnzimmer sind voller Fotos: Porträts, Aufnahmen | |
von Familienfesten, die Eltern als Hochzeitspaar, auch Fotos von | |
Wettkämpfen und eingerahmte Zeitungsartikel. Auf der geblümten Tapete im | |
Flur hängt nur ein Artikel, Schlagzeile: „Keshia Kwadwo bricht Rekord von | |
1989“. Zwei ghanaische Holzmasken an der Tür gewähren den Zutritt zum | |
Garten. In Keshia Kwadwos Zimmer steht ein Regal mit Pokalen, an der Wand | |
hängen Medaillen und pinkfarbene Laufschuhe, mit ihrem Namen bestickt. | |
Karriere: Acht Jahre alt war Keshia Kwadwo, als sie merkte, dass sie beim | |
Laufen viel schneller ist als die anderen Kinder. Sie entschied, vom | |
Schwimmen zur Leichtathletik zu wechseln. Ihre neun Jahre ältere Schwester | |
Yasmin war ihr Vorbild, sie war damals schon eine erfolgreiche Sprinterin. | |
Inzwischen ist Keshia Kwadwo U18- und U20-Europameisterin geworden, bei | |
den Deutschen Meisterschaften wurde sie in diesem Jahr Vierte. Mit der | |
4-x-100-Meter-Staffel lief sie mit 43,27 Sekunden im Juli neuen | |
U20-Weltrekord. So früh schon auf dem Treppchen zu stehen sei ein ganz | |
besonderes Gefühl. „Ich glaube aber, dass man in dem Alter noch nicht | |
reflektieren kann, was man letztendlich erreicht hat“, sagt sie. | |
Familienangelegenheit: Zu Hause wird fast nur über Sport geredet. Selbst | |
die Mutter ist mit der Zeit zur Expertin geworden. Vater Osam kam 1980 von | |
Ghana nach Deutschland, um zu studieren, blieb dann aber als Fußballer. | |
„Der schnellste Spieler der Oberliga Westfalen“, stand in den Zeitungen. | |
Keshias Bruder Leroy ist ebenfalls Fußballer, und auch ihre FreundInnen | |
sind fast alle sportlich unterwegs. „Wir sehen uns bei Wettkämpfen um die | |
Welt wieder.“ Nur ihr Freund, mit dem sie seit fünf Jahren zusammen ist | |
(„viel zu lange“, sagt sie und lacht), hat mit dem Sport aufgehört und | |
möchte Informatiker werden. | |
Freundin und Helferin: Keshia Kwadwo träumt davon, Polizistin zu werden | |
wenn sie im April („hoffentlich“) das Abitur hinter sich hat. Sie ist aber | |
noch nicht sicher, ob sie zur Landes- oder zu Bundespolizei gehen soll. | |
Warum Polizistin? „Ich habe einen Helferinstinkt vom Charakter her, und das | |
könnte ganz gut dazu passen.“ Auf die Frage, ob sie gegenüber der Polizei | |
keine Kritikpunkte habe, überlegt sie lange. Dann sagt sie, es seien eher | |
die Kriminalität und die Respektlosigkeit gegenüber den BeamtInnen, die sie | |
zweifeln lassen. Sollte es mit der Polizei nicht klappen, will sie | |
Sozialarbeit studieren. Sie sagt, nicht alle haben so viel Glück wie sie. | |
„Es gibt viele bedürftige Familien, denen ich helfen könnte.“ | |
Abitur: Ohne „Motivation und Disziplin“ würde Keshia Kwadwo es nicht | |
schaffen, das Gymnasium mit ihrer Sportkarriere zu kombinieren. Sie ist | |
dafür auch auf Unterstützung angewiesen. Zweimal pro Woche fehlt sie in der | |
Schule, trainiert stattdessen bei ihrem Verein TV Wattenscheid. Dass sie | |
„schwänzen“ darf, sei mit der Schule abgemacht. Den Unterricht muss sie | |
nachholen, darauf achtet auch ihr Trainer. | |
Wochenende: Sie wünscht sich manchmal nur, sie könnte wie andere | |
Jugendliche länger bleiben, wenn sie feiern geht. „Aber das geht nicht, | |
weil ich am nächsten Tag topfit beim Training sein muss, und das ist meine | |
Priorität.“. Samstags ist auch Trainingstag. Wenn kein Wettkampf ansteht, | |
geht sie sonntags in die Kirche. „Ich bin ein sehr gläubiger Mensch“, sagt | |
Keshia Kwadwo – „wie die ganze Familie“. Sie gehört einer | |
evangelisch-methodistischen Gemeinde an. „God first“ steht auf Kwadwos | |
Instagramprofil neben der ghanaischen und der deutschen Fahne. | |
Ghana: Bei den Kwadwos wird Deutsch gesprochen. Nur unter sich reden die | |
Eltern manchmal Twi, eine Sprache aus Ghana. Keshia kann nur ein paar | |
Floskeln. Sie verbindet mit dem Heimatland ihrer Eltern vor allem das | |
Essen. Jollof, ein Eintopf mit Reis und Fleisch, den ihre Mutter gern | |
kocht. In Ghana war sie das letzte Mal, als sie vier war. „Die Leute machen | |
sich keinen Stress. Wenn etwas heute nicht geht, dann machen sie es morgen. | |
Die sind viel lockerer als wir“, sagt sie. | |
Deutschland: Wenn sie für einen Wettkampf im Ausland ist, trägt sie gern | |
das deutsche Trikot und posiert mit der deutschen Fahne. „Das hat mit | |
Patriotismus nichts zu tun, ich bin nur stolz darauf, als eine der besten | |
Sportler dieses Landes dort zu sein“. | |
Unterwegs: Kwadwo war schon bei Wettkämpfen in den USA, in Georgien oder in | |
Spanien. Am meisten hat sie aber Kolumbien beeindruckt. „Das Stadion in | |
Bogotá war megavoll, und die Leute haben uns richtig angefeuert. Alle | |
wollten sich mit mir fotografieren lassen, ich habe mich wie ein Superstar | |
gefühlt“, erzählt sie. Heimweh spüre sie nicht, wenn sie unterwegs ist. | |
Aber sie könne es nicht erwarten, zurück zu sein. „Nur hier fühle ich mich | |
zu Hause“, sagt sie. Sie liebe den Ruhrgebiet-Charme. | |
Hater gonna hate: Dass Kwadwo erfolgreich ist, gefällt nicht allen. Auf | |
Instagram hat sie ein Bild gepostet, darauf trägt sie ein | |
„Germany“-T-Shirt. Sie schreibt: „Wie oft musste ich schon Kritik | |
hinnehmen. Angefangen bei meiner Hautfarbe bis hin zum meinem Sport. Aber | |
hört nie drauf. Kämpft weiter, denn eines Tages wird der Moment kommen, an | |
dem euch eure Hater nicht mehr in die Augen schauen können, weil sie sich | |
schämen. Keiner kann euch sagen, was richtig ist und was nicht!“ Mit dieser | |
Haltung geht sie auch durch das analoge Leben. Es komme auch mal vor, dass | |
Menschen nicht mehr mit ihr reden, wenn sie gewinnt. Auch damit könne sie | |
umgehen. „Sie haben ein Problem, nicht ich.“ | |
Druck: „Wie jeder Sportler möchte ich natürlich zu Olympia“, sagt Keshia | |
Kwadwo. „Wenn du gut warst, erwarten alle, dass du nächstes Jahr noch | |
schneller läufst und besser bist.“ Doch sie versuche den Leistungsdruck | |
unter Kontrolle zu halten. „Ich denke: Wenn es klappt, schön. Wenn nicht, | |
ist das kein Weltuntergang.“ Verlieren gehört dazu. | |
Kindheit: Die ganze Nachbarschaft war ein Spielplatz, erzählt Kwadwo. Und | |
sie behauptet, zu der letzten Generation zu gehören, die als Kind keine | |
Handys und soziale Medien nutzten. Sie findet es erschreckend, morgens im | |
Bus die Fünftklässler mit ihren Tablets zu sehen. | |
Erwachsenwerden: Das Schönste sei, allein Auto fahren zu dürfen. Nach ihrem | |
18. Geburtstag und der Führerscheinprüfung ist sie direkt bis nach Bremen | |
gefahren. Zwar verdient sie mit dem Sport bereits Geld. Aber es werde noch | |
eine Weile dauern, bis sie aus dem Elternhaus ausziehe. „Wenn ich bei Ikea | |
bin, stelle ich mir vor, wie ich mein Zuhause einrichten würde“, sagt sie. | |
„Aber es ist lange noch nicht so weit.“ Mit dem Erwachsensein verbindet sie | |
auch viel Bürokratie. „Ich muss meine Rechnungen selber bezahlen, meine | |
Verträge und die Entschuldigungen für die Schule unterschreiben.“ Das könne | |
auch „gefährlich“ sein, „man kann viele Fehler machen“. Vielleicht sp�… | |
sie deshalb eine Sehnsucht nach ihrer Kindheit. „Es war schön, so | |
unbeschwert zu sein und zu wissen, dass die Eltern sich um alles kümmern.“ | |
Glück: Alle sagen, Keshia Kwadwo sei immer gut gelaunt, habe ständig ein | |
Lächeln im Gesicht. „Ich merke das nicht“, meint die 18-Jährige. Am | |
glücklichsten sei sie, „wenn die ganze Familie zusammenkommt“. Und auch auf | |
der Tartanbahn. Da gebe es den perfekten Moment: die elf Sekunden, in denen | |
sie die 100 Meter läuft. Wenn sie sprintet, gehe es um Leben und Tod. „Für | |
elf Sekunden bin ich zeitlos.“ | |
30 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Luciana Ferrando | |
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