# taz.de -- Hamburger Ausstellung über Trauer: Gute Übung | |
> Die Hamburger Kunsthalle widmet sich den Themen Trauer, Verlust und | |
> Veränderung. Dafür findet sie starke Bilder, die im Kopf bleiben. | |
Bild: Stiller Schrei in Syrien: „Untitled Image“ von Khaled Barakeh | |
HAMBURG taz | Ausgeschlossen, diese Ausstellung nicht persönlich zu nehmen. | |
Unmöglich, sich herauszuhalten aus dem derzeit von der Hamburger Kunsthalle | |
initiierten Dialog über Trauer. Nein, man geht nicht weinend heraus aus | |
dieser Ausstellung über Trauer, Verlust und Veränderung, die 30 | |
zeitgenössische Artefakte aus 15 Ländern zeigt. Aber man bleibt auch nicht | |
kalt bei diesem Mix aus echter und inszenierter, individueller und | |
kollektiver Trauer angesichts von Tod und anderen Verlusten. | |
Dabei geht es gar nicht darum, ob einer den Verlust von Leben, Beziehung | |
oder Visionen betrauert. Wichtig ist der Blick auf Formen und | |
Unberechenbarkeit dieses kulturell so unterschiedlich verarbeiteten | |
Phänomens. Ghanaische Trauerrituale etwa sind so fröhlich, dass die | |
Kunsthalle den Raum mit den – an Vorlieben der Verstorbenen orientierten – | |
Tier- und Auto-Särgen Kudjoe Affutus rosa gestrichen hat. | |
Das andere Extrem wäre das Video, auf dem der – 1975 mit 33 Jahren bei | |
einer Atlantik-Überquerung verschollene – niederländische Künstler Bas Jan | |
Ader hemmungslos weint. Je länger man schaut, desto stärker fühlt man in | |
sich die Rolle des Voyeurs gedrängt, der wider Willen eine intime Szene | |
beobachtet. Ein kluges, ambivalentes Spiel um Beobachter und Beobachteten, | |
bei dem nicht einmal klar ist, ob das Weinen echt ist oder inszeniert. | |
Und selbst wenn man nichts sieht, wird man zum Voyeur: Akribisch hat der | |
[1][syrische Künstler] Khaled Barakeh die Körper toter Kinder aus | |
Zeitungsberichten des Syrienkrieges geschabt, bis nur die weinenden Eltern | |
übrig blieben. Und was passierst? Man wird – Voyeurismus lässt grüßen – | |
neugierig auf das, was fehlt. Und spürt zugleich, dass der Weißraum den | |
Verlust weit brutaler zeigt als ein intaktes Foto. | |
Überhaupt steht die Frage nach dem Umgang mit dem Leichnam im Raum: Muss er | |
versteckt werden, um die Würde des Toten zu wahren – eine oft geführte | |
Debatte angesichts ägyptischer Mumien in Museen? Oder kann er, wie die | |
Moorleichen, Vergangenes heranzoomen und neue Nähe zum Verstorbenen | |
generieren, vielleicht gar aufrütteln? | |
Die Mutter des 14-jährigen Schwarzen Emmet Till, der 1955 in den USA | |
[2][Opfer eines Lynchmordes] wurde, entschied sich für Letzteres. Sie hat | |
den zugerichteten Körper ihres Sohns öffentlich gezeigt, um ein Zeichen | |
gegen Rassismus zu setzen. | |
Ob dem Verstorbenen diese Entblößung behagt hätte, steht dahin. Vielleicht | |
deshalb hat der in der Kunsthalle präsentierte – anonyme – Künstler ein | |
Foto Tills gewählt, das den offenen Sarg, nicht aber den Körper zeigt. | |
Politisch bewegt hat die Geste der Mutter übrigens wenig: 2015 – 60 Jahre | |
später – wurde der Schwarze Walter Scott bei einer Polizeikontrolle in den | |
USA erschossen; „A Man was lynched by police yesterday“ heißt die von Dread | |
Scott neben das Foto gehängte Fahne; ein beängstigender Link zwischen | |
Vergangenheit und Gegenwart. | |
Ja, Trauer ist öffentlich erlaubt und erwünscht, aber nur in bestimmtem | |
Rahmen, da liegen die in Hamburg präsentierten Künstler richtig. Denn | |
während das aktuelle Diagnose-Manual für psychische Störungen jede mehr | |
als zweiwöchige Trauer pathologisch nennt, gilt das für öffentlich zur | |
Schau gestelltes, formalisiertes Pathos nicht. | |
Das fängt an bei Kreuzen und Kuscheltieren für an Straßen verunglückte | |
Radfahrer und endet bei empathischen Trauerbekundungen im Internet. | |
Unvermittelt in der Öffentlichkeit weinen soll man aber bitte nicht, da | |
soll man sich lieber dem verordneten Kult wie etwa bei der Aufbahrung | |
Stalins anschließen – oder – in westliche Gesellschaften übersetzt – | |
hysterisch um eine Lady Di trauern. | |
Dabei stand sie nicht einmal für ein politisches Programm wie der 1968 | |
ermordete US-Präsidentschaftskandidat Robert F. Kennedy, der die Hoffnung | |
auf eine demokratischere, diskriminierungsfreie Gesellschaft verkörperte. | |
Millionen Menschen standen an den Gleisen des Zuges, der Kennedys Sarg von | |
New York City zum Begräbnis nach Washington fuhr. Zu sehen sind sie auf den | |
Fotos Paul Fuscos, der die Trauernden fotografierte. | |
Das stärkste Destillat dieses Events hat aber Philippe Parreno geschaffen: | |
Als Reenactment hat er den Zug noch mal fahren lassen, „Trauernde“ an die | |
Gleise gestellt und das Ganze als lebensgroßes Video inszeniert. Da steht | |
man also vor der riesigen Leinwand, hört den Zug rattern und liegt – so die | |
Perspektive – mit im Sarg. Quasi als Toter fährt man durch die Landschaft | |
(des eigenen Lebensweges?), am Rand stehen Menschen (die man kannte?) und | |
winken. | |
Bizarrerweise fühlt man sich so bedrückt wie aufgehoben in dieser | |
Inszenierung des eigenen Todes. Eigentlich ist das keine schlechte Übung: | |
diese milde Einübung ins eigene Sterben, vielleicht könnte sie westlichen | |
Industrienationen zu einem entspannteren Umgang mit dem Tod verhelfen. | |
Das hat wohl auch der albanische Künstler Adrian Paci gedacht, als er sich | |
hinlegte, sich von einem professionellen „Klageweib“ seiner Heimat besingen | |
– und filmen – ließ und dann wieder aufstand. Ist das nun makaber? Oder | |
kann es auch als Parabel auf Auferstehung oder Wiedergeburt lesen? | |
## Was bedeutet Materie? | |
Und wenn das so ist: Was bedeutet dann Materie? Ist es so schlimm, dass | |
Grabsteine nach Ablauf der Grabpacht zu Baumaterial zerkleinert werden? | |
Buddhisten verbrennen Fotos der Toten, Hindus verbrennen den Leichnam auf | |
einem Boot im Ganges – nicht, um zu zerstören, sondern um dem Toten den | |
Transit wohin auch immer zu erleichtern. Der Abschied von Materie ist dafür | |
elementar, und die Erinnerung schmälert es nicht. | |
Aber die europäische Kultur ist anders, und deshalb erschrecken einen die | |
zerhackten weißen Grabsteine, die die junge Hamburger Künstlerin Greta | |
Rauer auf dem schwarzen Kunsthallen-Boden gelegt hat. Allzu sehr erinnern | |
sie an im Dritten Reich zerstörte jüdische Friedhöfe, deren Grabsteine | |
teils bis heute mühsam rekonstruiert werden, um den Toten ihre Namen | |
wiederzugeben. | |
Das kann man übrigens auch auf den bereit liegenden Blanko-Karten des | |
„Trauer-Memorys“ in der Kunsthalle tun. Viele haben Namen draufgeschrieben, | |
andere „mein Handy“ oder „ein Paket“; schön partizipativ das Ganze. | |
Und wer an Auflösung und Vergänglichkeit hautnah teilhaben will, kann sich | |
eins der Bonbons nehmen, die der 1996 an Aids gestorbene Félix | |
González-Torres auf dem Boden zusammengelegt hat. Und nein, man zerstört | |
kein Kunstwerk. Zwar, man verleibt es sich ein und beschleunigt dessen | |
Auflösung. Aber letztlich verwandelt man Materie nur in einen anderen | |
Zustand, transformiert sie und legt so eine dauerhaftere Spur, als wenn man | |
das Werk nur betrachtet hätte: An das Bonbon, das man essen durfte, während | |
das Kunstwerk starb, wird man noch lange denken. | |
28 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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