# taz.de -- taz-Serie Neu-Berlinern: Damaskus an der Sonnenallee | |
> Er will die Stadt mitgestalten – und seine Steuern zahlt er gern. Im | |
> dritten Teil ihrer Serie trifft sich Henriette Harris mit dem syrischen | |
> Künstler Khaled Barakeh. | |
Bild: Aus Syrien gekommen, in Berlin zu Hause: Khaled Barakeh im Garten der Uni… | |
Es ist ein heißer Tag. Der Lieferwagen, der vor der Universität der Künste | |
(UdK) hält, bringt ein Minimum an Schatten, also stelle ich mich daneben | |
und warte auf Khaled Barakeh. Ein Mal haben wir uns bereits getroffen. Das | |
war im Sommer vor zwei Jahren in Nordjütland beim jährlichen dänischen | |
Kulturtreffen. Wir waren beide zu einer Debatte eingeladen, bei der es um | |
Dänemark zwischen Provinzialität und Internationalität gehen sollte. Die | |
erste Option hat gewonnen. Die Dänen insistierten nämlich, die Debatte auf | |
Dänisch zu führen, und Khaled Barakeh hat kein Wort verstanden. | |
Ich habe Angst, dass er sich nicht erinnert, wie ich aussehe, wenn er mich | |
überhaupt neben dem Wagen bemerkt, und ich schreibe: „Ich trage ein rotes | |
Kleid.“ Die Antwort kommt sofort: „Bin gleich da. Ich trage ein weißes | |
Kleid.“ Ich freue mich schon auf ihn. | |
Der syrische Künstler trägt tatsächlich Weiß, aber Hose und Hemd. Der | |
40-Jährige ist in einem Vorort von Damaskus aufgewachsen, hat an der | |
Kunstakademie in Damaskus studiert, aber Syrien schon 2005 verlassen. Sein | |
Weg führte über Paris und Kairo, wo er die damalige Direktorin der | |
Kunstakademie der dänischen Insel Fünen kennengelernt hat. 2006 wurde er | |
dort an der Kunstakademie aufgenommen, aber erst 2008 konnte er nach | |
Dänemark kommen. So lange hat es gedauert, ein Visum zu erhalten. Nach | |
zweieinhalb Jahren in Odense auf Fünen schloss Khaled Barakeh 2013 als | |
Meisterschüler bei Professor Simon Starling an der Städelschule in | |
Frankfurt am Main ab. | |
## Durch die Brille gesehen | |
Vor einem Ausstellungsraum im Erdgeschoss der UdK hängen Sonnenbrillen auf | |
einem Kleiderständer. Die Zuschauer sind eingeladen, sie auf die Nase zu | |
setzen. Die dunklen Gläser sind mit dem Wort „Refugee“ beschriftet. „Als | |
Flüchtling hat man oft das Gefühl, dass man von der Gesellschaft nur durch | |
solche Brillen beobachtet wird“, erklärt Khaled. Im Raum sind Werke von elf | |
Künstlern zu sehen, die alle in den letzten Jahren aus ihrer jeweiligen | |
Heimat, zum Beispiel aus Syrien, Iran, Irak und Afghanistan, nach | |
Deutschland geflüchtet sind. | |
Khaled Barakeh hat den Workshop „Same Same But Different – Artist Training: | |
Refugee Class for Professionals“ zusammen mit einem anderen syrischen | |
Künstler geleitet. Das Wort „Flüchtling“ musste dabei sein, um eine | |
EU-Unterstützung zu erhalten. Die Künstler durften es aber auch | |
durchstreichen. Sie möchten als Menschen wahrgenommen werden und nicht nur | |
durch die Vorurteilsbrille gesehen werden. | |
„Die Städelschule ist wirklich gut, aber Frankfurt hat nicht zu mir gepasst | |
– zu sehr auf Business fokussiert“, sagt Barakeh. Wir sitzen im Garten der | |
Universität. Überall auf dem Rasen hocken junge hoffnungsvolle | |
Künstler(typen), trinken Bionade und essen Kuchen. Die UdK hat ihren Tag | |
der offenen Tür, die Studenten stellen ihre Werke aus. | |
## In Berlin zu Hause | |
Vor anderthalb Jahr kam Khaled Barakeh nach Berlin. „Hier fühle ich mich | |
erstmals in meinem Leben zu Hause. Ich fühle mich nicht deutsch, aber ich | |
kann sagen: Ich bin ein Berliner. In Berlin kann man alles sein, auch | |
religiös – nicht dass ich das bin, aber es ist möglich. Man kann die Stadt | |
mitgestalten, die eigenen Fingerabdrücke setzen, und wenn du teilnimmst, | |
gibt die Stadt dir so viel zurück“, sagt Barakeh. | |
Er erzählt, dass es jetzt mehr syrische Kulturschaffende in Berlin als in | |
Damaskus gebe. „Wenn ich nach Damaskus will, rufe ich bloß meine Freunde | |
an, dann fahren wir in die Sonnenallee und gehen arabisch essen“, lächelt | |
er. Seit Kurzem hat er auch das erste Mal seit vielen Jahren seine eigene | |
Wohnung. Sie liegt in Prenzlauer Berg und ist Teil des Grundes, warum er | |
sich so wohl und zu Hause fühlt in Berlin. „Viele Jahre lebte ich aus | |
Kisten. Damit ist Schluss. Ich habe einen Job, ich bezahle meine Steuer, | |
jetzt sollte ich noch Deutsch lernen“, sagt Barakeh. | |
Der Krieg in Syrien hat auch im Leben von Khaled Barakeh seine Spuren | |
hinterlassen. Er hat Familienmitglieder und Freunde verloren. „Ich finde, | |
dass ich Glück gehabt habe, aber gleichzeitig habe ich Schuldgefühle, weil | |
ich Syrien so früh verlassen habe. Einige Syrer, die geflüchtet sind, sind | |
sogar schon ins Land zurückgekehrt. Aber für mich ist das Leben im Ausland | |
nur ein Weiterführen meines bisherigen Lebens“, sagt er. | |
Khaled Barakeh versteht sich als Künstler und Kulturaktivist. Er möchte | |
gerne an seiner eigenen Kunst arbeiten, gleichzeitig aber fühlt er sich | |
verantwortlich, anderen zu helfen, die Deutschland nicht so gut wie er | |
kennen. „Wir sind nicht Bedürftige, nicht Opfer. Wir wollen hier arbeiten | |
und Fuß fassen. Syrien, wie es war, wird nicht wieder auferstehen. Ich | |
glaube, dass man schon von Ex-Syrien reden kann, so wie man von | |
Ex-Jugoslawien redet. Zusammen mit anderen arbeite ich an einem Index über | |
syrische Künstler in Berlin. Wir wissen nicht, wie viele es sind, wie viele | |
Männer, Frauen, ihr Alter und so weiter. Mit dem Index wollen wir | |
versuchen, ihre Identität auch als syrische Künstler am Leben zu halten“, | |
erklärt er. | |
## Kreativität als Mittel zur Veränderung | |
In Nordirland hat Barakeh mal ein Projekt gemacht, als Versuch, eine Brücke | |
zu schlagen zwischen zwei Kulturen, nämlich den zerstrittenen Protestanten | |
und Katholiken. In der Stadt Derry/Londonderry – schon in diesem | |
Namesdoppel versteckt sich der Konflikt – gibt es eine Skulptur von Maurice | |
Harron auf einer Brücke. Es sind zwei Männer, sie strecken ihre Hände | |
zueinander aus, aber der Abstand ist zu groß. Barakehs Keramikarbeit „The | |
Shake. Materialising the Distance“ zeigt das genaue Maß des Abstands | |
zwischen den Händen der zwei Männer. „Ich glaube an Kreativität als Mittel | |
zur Veränderung“, sagt er. | |
Auch er selbst hat sich in Europa verändert und seine Kunst. „Die Art und | |
Weise wie die Europäer mit Stolz und Freude ihre Steuern bezahlen. Wenn man | |
aus einem Land kommt, wo keiner Steuern zahlen will, beeindruckt das einen | |
sehr. Als Steuerzahler hier fühlt man sich wirklich privilegiert und als | |
Teil der Gesellschaft“, sagt Barakeh, der aus Syrien mit einer ganz | |
klassischen Ausbildung kam und malte. In Odense war er zuerst geschockt von | |
den vielfältigen Ausdrucksweisen der anderen Studenten. Die Vielfalt aber | |
hat ihm gefallen, jetzt malt er kaum mehr. | |
„Wenn du etwas machst, was Sinn ergibt, dann sind die Deutschen sehr offen. | |
Ich sehe auch Berlin als eine postwar city. Und gerade weil ich aus Syrien | |
komme, gibt dieser Aspekt mir ein Heimatgefühl. Die Stadt ist authentisch, | |
manchmal auch hart, es dauert etwas, bis man sie versteht. Berlin ist nicht | |
schön wie Paris oder Wien, aber Berlin ist in seinem Geiste schön“, sagt | |
Khaled Barakeh. | |
6 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Henriette Harris | |
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