# taz.de -- taz-Serie Neu-Berlinern: Die tanzende Ärztin | |
> Nicht nur Künstler zieht's an die Spree: Die niederländische Gynäkologin | |
> Emilie Herzog berichtet, was sie nach Berlin verschlug. | |
Bild: Findet Berlin gut: Emilie Herzog | |
Als ich mit Helm und Schlüssel im Hof stehe, wird mir klar, dass ich | |
vielleicht nicht mit diesem Fahrrad zu einem Treffen mit einer | |
niederländischen Gynäkologin kommen sollte. Es ist ein dänisches Rad, und | |
so wie in den Niederlanden auch werden die Kinder in Dänemark quasi mit | |
einem Fahrrad zwischen den Beinen geboren. Aber mein Rad ist 14 Jahre alt, | |
hat 13 Berliner Winter auf dem Buckel, und es knarrt wie ein Gartentor in | |
Brandenburg. | |
Emilie Herzog – so heißt die Frau, mit der ich mich treffe – hat | |
vorgeschlagen, dass wir uns im A. Horn am Carl-Herz-Ufer in Kreuzberg | |
treffen. Als ich eintreffe, ist sie schon da und auch der Fotograf, der | |
schwer begeistert ist, weil ihre rote Haare so schön zwischen dem | |
Kreuzberger Grün leuchten. | |
Wir wollen draußen sitzen, obwohl der Sommer zu Ende zu sein scheint. Genau | |
deshalb brauchen wir Stärkung, zwei Cheesecake mit Waldbeeren sollen es | |
sein. | |
## Mehr als 4.500 Geburten pro Jahr | |
Vor einem Jahr kam Emilie Herzog, deren Vornamen man mit einer | |
französischen Betonung auf der letzten Silbe ausspricht und die in einem | |
Dorf in der Nähe von Utrecht aufgewachsen ist, nach Berlin. Nach sechs | |
Jahren Medizinstudium und einigen Jahren als Ph.D. in Rotterdam, hat sich | |
die heute 34-Jährige im Bereich Gynäkologie spezialisiert. | |
„Gegen Ende des Studiums habe ich ein Praktikum in Berlin gemacht. Ich habe | |
mich schnell zu Hause gefühlt und mich um einen Platz bemüht, um mich zu | |
spezialisieren – zuerst ohne Erfolg. Die Meisten gehen zur Fachausbildung | |
nicht woanders hin, aber ich denke, es ist lehrreich. Die fremde Sprache | |
macht es nicht immer einfach, aber meiner Meinung nach ist das sogar ein | |
Vorteil: Man macht sich mehr Gedanken über die Diagnostik und die Therapie | |
und darüber, wie man es hier und in Holland handhabt.“ | |
Ein Beispiel für die Unterschiede zwischen den benachbarten Ländern? „In | |
Holland gibt es viele Hausgeburten. Die Hebammen haben meistens eine eigene | |
Praxis, sie betreuen die komplikationslosen Schwangerschaften | |
selbstständig. Die Zusammenarbeit zwischen den Hebammen und den Gynäkologen | |
ist trotzdem nicht optimal.“ | |
## Mehr als 4.500 Geburten pro Jahr | |
Ob die Organisation in Deutschland reibungsloser sei, könne sie noch nicht | |
einschätzen, aber „die Kooperation zwischen Frauenärzten und Hebammen finde | |
ich besser“. Herzog arbeitet jetzt im St.-Joseph-Krankenhaus in | |
Berlin-Tempelhof. Gut 4.500 Geburten pro Jahr gibt es dort. „Die | |
allermeisten in Deutschland“, erzählt sie stolz. Ist die Stimmung im St. | |
Joseph deshalb so gut? Jedenfalls erzählt Herzog: „Die Atmosphäre im | |
Krankenhaus ist lockerer als in Holland.“ | |
Dabei wollte Emilie Herzog eigentlich mal ganz woanders hin: Sie wollte | |
Tänzerin werden, beim Ballett groß rauskommen. Als 13-Jährige hat sie | |
angefangen im nächsten Dorf zu tanzen. Ihr Dorf war zu klein für so etwas, | |
dort hatte man nur Turnen im Angebot. | |
„Ich habe in meinem Abiturjahr die professionelle Vorausbildung an der | |
Ballettakademie in Rotterdam besucht. Dann habe ich zwei Jahre in Amsterdam | |
an der Tanzakademie getanzt, aber ich dachte: Ich bin nicht nur Tänzerin. | |
Ich brauchte was für meinen Kopf.“ Sie fing an, Italienisch zu lernen, aber | |
offenbar reichte das ihrem Kopf noch nicht: Sie gab das Tanzen auf und fing | |
an, Medizin zu studieren. | |
„Andererseits bin ich auch nicht nur Ärztin. Ich habe das Tanzen nicht ganz | |
aufgegeben. In meiner Studienzeit habe ich in dem Dorf, in dem ich | |
aufgewachsen war, eine Tanz- und Ballettschule gegründet. Da habe ich jedes | |
Wochenende Kinder unterrichtet. Die Schule gibt es noch immer.“ | |
Vor dem Kuchen hockend, fällt ihr ein, dass sie an diesem ersten | |
Septembertag exakt seit einem Jahr an der Spree ist. Das Wetter war damals | |
besser – wir feiern ihr erstes Jubiläum in Berlin damit, dass wir uns ins | |
Café setzen, um nicht zu frieren. | |
Und wenn die Spezialisierung zur Gynäkologin durch ist, was wird dann mit | |
ihr? „Am liebsten würde ich Berlin nie mehr verlassen. Jeder, den man hier | |
trifft, hat seine eigene Geschichte. Alle sind auf der Suche. Die | |
Atmosphäre ist so angenehm. Ich denke, alle sind hier so, wie sie sein | |
möchten. Erst mal bin ich froh, dass ich noch eine lange Zeit in Berlin vor | |
mir habe.“ | |
## Zeitreise in Clärchens Ballhaus | |
Den öffentlichen und politischen Ton in Deutschland findet sie moderater | |
und vorsichtiger als in ihrem Heimatland, wo man glaubt, dass | |
Meinungsfreiheit bedeutet, unbedingt alles äußern zu müssen. In Berlin | |
lerne sie mehr als bloß gynäkologisches Fachwissen: „Ich lerne im | |
Krankenhaus auch die Sprache und die Kultur kennen.“ | |
Emilie Herzog wohnt mit ihrem Freund in Kreuzberg zusammen. Er ist auch | |
Holländer und macht im Moment seinen PhD in Philosophie an der | |
Humboldt-Universität. „Wir sind verkuppelt worden“, grinst sie. „Als ich | |
ankam, haben Freunde von mir gesagt: ‚Du musst Frank treffen.‘ Dann haben | |
wir uns getroffen und nach einiger Zeit auch verliebt. Ich wollte in | |
Kreuzberg oder Neukölln leben. Ich mag, dass alles so gemischt ist.“ | |
Die alte Liebe zum Tanzen lebt sie auch in Berlin aus. Herzog findet die | |
Möglichkeiten hervorragend: „In der Tanzfabrik in der Möckernstraße gibt es | |
viele Angebote, auch Profiklassen, aber auch im Dock 11 tanze ich gern. Im | |
Sommer ist es schön im Monbijoupark am Wasser zu tanzen. Donnerstags gibt | |
es immer einen Swingabend in der Villa Neukölln, und mittwochs geht’s oft | |
in Clärchens Ballhaus. Ich liebe das! Ich fühle mich wie 60 Jahre | |
zurückversetzt, es ist wie ein alter Film. Da habe ich dieses | |
Überberlingefühl“, schwärmt sie. | |
Nur in einer Sache könnte Berlin besser sein. Emilie Herzog fährt gern | |
Rennrad, aber es sei schwierig, auf dem Rad aus der Stadt herauszukommen: | |
Es dauere so lange und sei gefährlich. Ich selbst würde nie in meinem Leben | |
auf ein Rennrad steigen, aber ich höre höflich zu, ohne das Problem so | |
richtig zu verstehen. Aber als wir uns vor dem Café verabschieden, | |
gratuliere ich mir heimlich zu der Entscheidung, mein knarzendes altes Rad | |
zu Hause gelassen zu haben. | |
19 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Henriette Harris | |
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