| # taz.de -- Ende des Ramadan: Bittersüßes Baklava | |
| > Baklava-Konditoreien florieren in Berlin. Beliebt ist es als Mitbringsel | |
| > zum Fastenbrechen im Ramadan und zum Zuckerfest am Donnerstag. | |
| Bild: Grieß und arabischer Rahm vereint: Auch diese Süßspeise gibt es in Kon… | |
| Berlin taz | Wer durch die Straßen Berlins läuft, dem sind sie sicher schon | |
| einmal aufgefallen: goldene Ladenfassaden, hinter deren blank geputzten | |
| Scheiben man süße Delikatessen erahnen kann. Man möchte innehalten, | |
| jedenfalls einen kleinen Moment, um die Köstlichkeiten zu bestaunen: | |
| allerhand Süßigkeiten, etwa aus Pistazien und Walnüssen, kunstvoll | |
| gewickelt in Rollen aus feinen Teigfäden. | |
| Die Rede ist von arabischen Süßigkeiten, die man hier gerne einfach nur | |
| Baklava nennt. Doch ist der Name irreführend, schließt er doch die ganze | |
| Vielfalt gar nicht ein. Das Baklava gibt es nämlich gar nicht. Die | |
| Varianten sind so vielfältig wie die Länder, in denen es zubereitet wird. | |
| Auch in Deutschland hat sich Baklava etabliert. Erst kürzlich dann, ab etwa | |
| 2015, waren es Syrer*innen, die das Baklava-Geschäft aufmischten. In Syrien | |
| nahm ihnen der Krieg jegliche Grundlage zum Leben, nicht aber den Mut für | |
| einen Neuanfang. Und so fanden sich auch in Berlin viele neue | |
| Entrepreneurs, die unter anderem Süßigkeitenläden eröffneten – und an | |
| dankbaren Kund*innen fehlt es ihnen seither nicht. | |
| Ibrahim Halabi, Geschäftsführer der Palast-Konditorei auf der Sonnenallee, | |
| ist zwar kein gelernter Konditor. Der aus Gaza stammende Palästinenser kam | |
| bereits im Jahr 2004 nach seinem Ingenieurstudium in Oldenburg nach Berlin. | |
| Doch auch er sah, wie sich in den letzten Jahren eine Marktlücke vor ihm | |
| auftat. Zwar gab es vorher schon eine arabische Community in Berlin und | |
| auch etliche typische Restaurants und Bäckereien, etwa [1][die berühmte | |
| Damaskus Bäckerei] auf der Sonnenallee, deren Gründer*innen wegen des | |
| libanesischen Bürgerkriegs bereits in den 80er Jahren aus Palästina und dem | |
| Libanon nach Berlin kamen. | |
| ## Mehr Vielfalt | |
| Bei den Syrer*innen hätten Süßigkeiten noch mal eine ganz andere | |
| Stellung, erzählt Halabi, als bei Palästinenser*innen oder | |
| Libanes*innen. Denn syrisches Baklava ist bekannt für seine große | |
| Vielfalt. Und die Syrer*innen wiederum sind dafür bekannt, am liebsten | |
| ihre eigenen Süßigkeiten zu essen. Die syrische Küche wird gerne als | |
| besonders herausragend gelobt. Denn Syrien stand Jahrhunderte hindurch | |
| unter dem Einfluss verschiedenster Imperien und lag noch dazu an der | |
| Seidenstraße – die vielfältigen Einflüsse haben die Küche, auch die | |
| Süßigkeiten, entsprechend bereichert. | |
| Adnan Dahan und Omar Ayash, die beiden Konditoren der Palast-Bäckerei auf | |
| der Sonnenallee, sind 2015 aus Syrien nach Deutschland geflohen. Sie sind | |
| für die Produktion verantwortlich und beherrschen ihr Handwerk | |
| ausgezeichnet. Denn zu den wenigen Dingen, die sie mitnehmen konnten, | |
| gehörten ihre eigenen Rezepte – die sie auswendig kennen. | |
| Zusammen mit den beiden Brüdern eröffnete Ibrahim Halabi zunächst eine | |
| kleine Backstube in Tempelhof. Und dann auch bald den ersten, ganz kleinen, | |
| aber sehr einladenden Laden auf der Sonnenallee. Halabi wollte anfangs die | |
| Produktion an deutsche Effizienz anpassen, sie automatisieren. | |
| ## Rezepte unter Verschluß | |
| Doch musste er schnell einsehen, dass er damit das Baklava seiner | |
| wichtigsten Zutat berauben würde – der Liebe der Konditoren zu ihrem | |
| Handwerk. Die Produkte besitzen durch die persönliche Zubereitung eine | |
| andere Wertigkeit, sowohl für den*die Konditor*in als auch für den*die | |
| Käufer*in. Seit 2019 gibt es noch eine größere Filiale, ebenfalls nahe der | |
| Sonnenallee. | |
| Ob sie planen, weiter zu expandieren, fragen wir. „Nein, das ist bei | |
| solchen handgemachten Spezialitäten sehr schwierig“, sagt Halabi. „Wir sind | |
| immer auf der Suche nach Fachleuten, aber eine extra Ausbildung dafür gibt | |
| es in Deutschland nicht.“ Kein*e Konditormeister*in gibt die Rezepte | |
| gern heraus, daher ist es schwierig, die Baklava-Kunst hier zu lernen. In | |
| Syrien hingegen kann man spezielle Schulungen dafür besuchen, bei denen man | |
| zwischen arabischen oder „westlichen“ Süßigkeiten wählen kann. | |
| Um mehr über die einzelnen Süßigkeiten zu erfahren, wenden wir uns direkt | |
| an den Konditor, der gerade im Laden arbeitet. Omar Ayash ist seit der | |
| Gründung mit im Team. Gelernt hat er das Handwerk in Syrien. Anschließend | |
| hat er erst in Saudi-Arabien, danach in den Vereinigten Arabischen Emiraten | |
| gearbeitet, jetzt ist er in Berlin. Als wir ihn fragen, ob er uns | |
| vielleicht ein bisschen was über die vielen verschiedenen Leckereien | |
| erzählen kann, strahlt er. | |
| ## Wer probiert, kommt wieder | |
| Und schon gerät er ins Schwärmen. „Schon als Kind wollte ich Gebäck selbst | |
| herstellen können.“ Und dann zählt er in Windeseile einige Rezepte auf. | |
| Viele der Süßigkeiten stammen aus Damaskus, aber auch aus Aleppo oder Homs. | |
| Denn jede Stadt ist berühmt für ihre eigene Spezialität. Mit Girlanden | |
| geschmückt und besonders hergerichtet, wird die Palast-Konditorei zum | |
| Magnet für viele, die sich mit den Leckereien eindecken wollen. | |
| Insbesondere im vierwöchigen Ramadan, der in diesem Jahr noch bis Mittwoch | |
| dauert, verwandelt sich der Laden in eine Art kleine Utopie: „Nicht nur | |
| Menschen, die gerade fasten oder einen Bezug zu arabischen Ländern haben, | |
| kommen hierher. Wir haben eine sehr diverse Kundschaft“, sagt Omar. Wer | |
| seine anfängliche Skepsis gegenüber den womöglich unbekannten Süßigkeiten | |
| einmal überwunden hat und ein erstes Mal davon probiert, der kommt meist | |
| wieder. | |
| Wie viele Erinnerungen in einem Stück Baklava stecken, erfährt man, wenn | |
| man mit Syrer*innen über ihre Verbindung zwischen Essen, Familie und zu | |
| Hause spricht. Gerade während des Bürgerkriegs, welcher 2011 begann, wurde | |
| der kurze Besuch mit Freund*innen im Baklavaladen in der syrischen Heimat | |
| zu einer lebensnotwendigen Ablenkung. Die Menschen nutzten die relative | |
| Ruhe zwischen zwei Bombenangriffen und versammelten sich sogar in großer | |
| Zahl vor den Läden. | |
| ## Die besten Pistazien | |
| Normalerweise sind die Straßen rund um die Sonnenallee voller Menschen. | |
| Jetzt, im zweiten Ramadan während des pandemiebedingten Lockdowns, ist es | |
| abends zur Fastenbrechenzeit nach Sonnenuntergang wie leergefegt. Aber vor | |
| den Süßigkeitenläden stehen Menschen dennoch oft Schlange. Welches Produkt | |
| [2][denn speziell im Ramadan] verkauft werde, fragen wir Omar. „Qatayef, | |
| zum Beispiel“, sagt er, und beugt sich zum Schaufenster hin, wo das Baklava | |
| in der Sonne leuchtet. | |
| Qatayef ist mit Walnüssen oder Rahm, Qishta, gefüllt und wird oft als | |
| Nachtisch zum Fastenbrechen gegessen. Deshalb türmen sich die frischen | |
| Qatayef nun auf silbernen Blechen im Schaufenster. Daneben liegen andere | |
| Ramadanspezialitäten: Sie alle gehören einer weiteren Kategorie von Baklava | |
| an, die frische Milchprodukte enthält und daher innerhalb weniger Tage | |
| gegessen werden muss. | |
| „Die Pistazien sind aleppinisch, sie gelten als die Besten auf dem Markt“, | |
| sagt Omar und stellt uns Ash al Bulbul, zu Deutsch „Nest der Nachtigall“, | |
| vor. Die kleinen, knusprigen, aus Knafefäden geformten Nester werden mit | |
| Cashews oder Pistazien gefüllt. Wie Vogeleier liegen die Nüsse darin. | |
| ## Käsefäden und Zuckersirup | |
| „Was würdet ihr denn gerne jetzt kosten?“, fragt er weiter. „Knafe!“, … | |
| es von uns einstimmig. Die warme Süßspeise aus Quark und geröstetem Grieß | |
| ist unsere Lieblingssüßigkeit. Omar träufelt noch etwas Zuckersirup darauf, | |
| dann essen wir den warmen Käse im Teigmantel. Er zieht Fäden, außen ist der | |
| Teig knusprig. Wer jetzt an Pizza denkt, der hat zumindest damit recht, | |
| dass ein Stück Knafe ähnlich satt macht. Es ist definitiv mehr als ein | |
| kleiner Nachtisch. Ursprünglich kommt es aus Nablus im Westjordanland, wo | |
| es als Knafe Nabulsiya berühmt ist. | |
| Zum Abschied bekommen wir von Omar eine Packung gemischte Baklava | |
| geschenkt. Für solch eine Packung müsste ein*e Arbeiter*in in Syrien | |
| mittlerweile ein Monatsgehalt sparen. Dies wird durch die dort herrschende | |
| Hungersnot noch utopischer. Denn die Hälfte der Bevölkerung hat im zehnten | |
| Kriegsjahr keinen regelmäßigen Zugang zu ausreichender Nahrung. Das sind | |
| zwölf Millionen Menschen, ungefähr dreimal so viele Menschen, wie Berlin | |
| Einwohner*innen hat. | |
| Somit haben die Süßigkeiten, die wir hier auf der Sonnenallee genießen, | |
| auch einen bitteren Beigeschmack. In dem Land, dessen Köstlichkeiten wir | |
| hier verspeisen, sind Süßigkeiten ein Luxusgut geworden. Zudem sind durch | |
| den nicht endenden Krieg viele Läden zerstört worden oder der Umsatz bleibt | |
| aus. Läden wie die Palast-Konditorei sind auch ein Versuch, die über | |
| Jahrhunderte gewachsene Baklava-Tradition weiterzuführen – und damit weit | |
| mehr, als nur Rezepte zu bewahren. | |
| 10 May 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Manal Ismael | |
| Marianne Sievers | |
| Bri Anne Schröder | |
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