| # taz.de -- Künstlerinnen-Kooperativen im Iran: Die Werkstatt den Frauen | |
| > Iran macht Propaganda gegen Frauenarbeit. Doch Künstlerinnen in Isfahan | |
| > vermarkten sich selbst – indem sie sich zusammenschließen. | |
| Bild: Hinter den Arkaden am Königsplatz in Isfahan liegen die Werkstätten | |
| Isfahan taz | Ein prächtiges Gotteshaus dominiert den neun Hektar großen | |
| Naqsch-e-Dschahan-Platz im historischen Zentrum der Stadt Isfahan. Die | |
| gewaltige Zwiebelkuppel, Portale, Minarette und Arkaden sind mit Mosaiken | |
| verziert, die azur und himmelblau leuchten. Die Königsmoschee gilt als | |
| eines der wichtigsten architektonischen Gebäude der islamischen Welt, | |
| errichtet, als die Stadt zum bedeutenden Handelszentrum anwuchs. Und so | |
| passt es, dass ausgerechnet in diesen alten Gewölben etwas Neues passiert. | |
| Mina heißt die Kunst der blau leuchtenden Muster und Verzierungen. Ein | |
| Traditionshandwerk, das vor allem Frauen beherrschen. Doch die Gewinne | |
| streichen Männer ein. Bislang. | |
| Die Gewölbe des Basars verbinden die alte Stadt mit der neuen. Isfahan ist | |
| mit 2,2 Millionen Einwohnern eine der größten Städte im Iran, der Basar | |
| einer der größten Märkte des mittleren Ostens. Bekannt für die Vielfalt und | |
| Qualität der Kunstwerke, die Händler hier anbieten. Hinter dem Basar, in | |
| labyrinthischen Gassen, befinden sich die Werkstätten, deren große | |
| Glasfenster einladend wirken. Frauen sitzen an großen Tischen, bemalen | |
| Kupfervasen, hämmern filigrane Muster in Silbergefäße und emaillieren | |
| Metallteller. Mina ist die weibliche Form von Minoo, Persisch für Himmel. | |
| In einer dieser Werkstätten arbeitet Azin Shafi’i. Die Künstlerin ist | |
| dreißig Jahre alt. „Für uns ist die Herstellung von Mina auch eine Art, uns | |
| auszudrücken“, sagt Shafi’i. Sie hat an der Schahr-e-Kord-Universität der | |
| Künste etwa 100 Kilometer südwestlich von Isfahan studiert. Vorsichtig | |
| stellt sie einen Teller ab, den sie gerade emailliert. Jetzt will sie | |
| reden. „Wir waren es leid, von den Ladenbesitzern und Händlern ausgebeutet | |
| zu werden.“ | |
| ## Die Männer kontrollieren den Kunstmarkt | |
| Die Künstlerin neben ihr fügt hinzu: „Dies ist der einzige Ort, an dem die | |
| von der Regierung gewollte Geschlechtertrennung ein Vorteil sein könnte.“ | |
| Denn die Händler versuchen immer wieder, Preise zu drücken, sie lehnen die | |
| Designs der Frauen ab und diktieren ihnen stattdessen Trends. „Sie sind | |
| Geschäftsleute, keine Künstler“, sagt Shafi’i. | |
| Traditionell sind es im Iran die Männer, die den Kunstmarkt kontrollieren | |
| und denen die Läden und die Werkstätten gehören. Auch wenn es die Frauen | |
| sind, die arbeiten. Doch vor etwa zwei Jahren hat Shafi’i beschlossen, | |
| nicht mehr an die Händler zu verkaufen. Sie wollte ihre Kunst selbst | |
| vermarkten. | |
| ## Frauen sollen die Familie beschützen, sagt der Staat | |
| Gemeinsam mit drei Freundinnen hat sie die Kooperative „Toluo“ gegründet. | |
| Sonnenaufgang heißt das übersetzt. Die Frauen der Kooperative sind zwischen | |
| 25 und 30 Jahre alt, haben studiert und keine Lust mehr, vergeblich nach | |
| einer sicheren Anstellung zu suchen. „Wir haben eine kleine | |
| Solidaritätsgemeinschaft gegründet“, sagt Shafi’i, fügt aber an: „Viel… | |
| uns mussten einen hohen sozialen Preis zahlen, um ein eigenverantwortliches | |
| Leben zu führen.“ | |
| Die strikte Geschlechtertrennung geht auf das iranische Zivilgesetz zurück. | |
| Das wiederum beruht auf der Scharia. Demnach steht der Mann als | |
| Familienoberhaupt in der Verantwortung, für Frau und Kinder zu sorgen. | |
| Deshalb erhalten nur sie staatliche Zuwendungen wie beispielsweise | |
| Kindergeld. Der Staat betreibt fortwährend Propaganda dafür, dass Frauen | |
| nicht arbeiten sollten. In Kampagnen wirbt er, dass ihre wichtigste Aufgabe | |
| sei, die Familie zu beschützen. Nach Berichten der Internationalen | |
| Arbeitsorganisation und des Iranischen Zentrums für Statistik aus dem Jahr | |
| 2016 arbeiten lediglich 13,1 Prozent der iranischen Frauen. Auch die | |
| schwierige wirtschaftliche Lage und die hohe Inflationsrate machen es den | |
| Frauen schwer, sich unabhängig zu machen. | |
| ## Kunst und Kommerz | |
| Die Zahl der Frauen-Kooperativen wächst trotzdem rasant. Die kleinen Firmen | |
| haben keine Vorgesetzten und jedes Mitglied wird nach seiner | |
| Arbeitsleistung bezahlt. Einen Teil der erwirtschafteten Einkünfte | |
| verwenden die Kooperativen für gemeinsame Ausgaben, den restlichen Gewinn | |
| teilen sie gleichmäßig auf. Viele der Kooperativen entstehen aus | |
| Freundeskreisen heraus oder in der Verwandtschaft. So wie die Werkstatt von | |
| Shafi’i, in der die Frauen am Tisch jetzt Gärten voller Blumen auf Teller | |
| malen. | |
| Trotzdem sei es immer wieder herausfordernd, die Kooperative am Laufen zu | |
| halten, erzählt Shafi’i. Gerade in Zeiten von Preisdumping und der | |
| anhaltenden wirtschaftlichen Regression. Bald wollen sie in eine neue | |
| Werkstatt investieren, an die auch ein eigenes Ladengeschäft angeschlossen | |
| sein wird. | |
| Die Kooperative Niloufar-Abi – auf Deutsch: azurblaue Lilie – hat einige | |
| ihrer Pläne schon realisiert. Ihr Geschäft befindet sich in einem der | |
| Eingänge zum alten Basar, nur ein paar Meter vom Naqsch-e-Dschahan-Platz | |
| entfernt. Oft besucht Shafi’i die Frauen, um mit ihnen Erfahrungen | |
| auszutauschen. Die Kolleginnen sind erfolgreich. Niloufar-Abi kann nicht | |
| nur stabile Umsätze vorweisen. Auch künstlerisch sind sie erfolgreich. Sie | |
| entwerfen neue Muster, entwickeln Farbkombinationen, verbinden das | |
| traditionelle Handwerk mit Moderne, fusionieren Kunst und Kommerz. In den | |
| Werkstätten der Künstlerinnen schließen sich diese Gegensätze nicht aus. | |
| ## Der große Bruder ist stolz | |
| Die guten Erfahrungen mit ihrer eigenen Kooperative haben Shafi’i mutiger | |
| gemacht. Sie malt nicht mehr nur Muster, sondern knüpft ach riesige | |
| Teppiche. Es ist Abend, als sie in einem kleinen Zimmer im Haus ihrer | |
| Mutter sitzt, hier arbeitet sie an Teppichen. Freunde und ihr älterer | |
| Bruder Amir kommen zu Besuch. Azin Shafi’i rollt ihre Teppichmuster aus, um | |
| sie ihnen zu zeigen. Die filigrane Designs mit unzähligen Details und | |
| vielen Farben wirken wie großformatige Gemälde. | |
| „Diese Kunstwerke machen einen großen Teil unser Kultur aus“, erzählt | |
| Shafi’is Bruder Amir, während er Zimttee in Gläser füllt. „Was Azin | |
| versucht zu erreichen, trägt einen Teil dazu bei, diese Kultur zu gestalten | |
| und stärker zu machen“, erklärt er. | |
| Der große Bruder ist stolz auf seine Schwester. Die Teppiche sollen die | |
| erste Produktionsreihe einer neuen Kooperative sein, die Shafi’i gerade | |
| gründet. Deren Mitglieder sind Frauen aus ländlichen Gegenden, übermorgen | |
| wird Shafi’i in ein Dorf in der Nähe von Isfahan fahren, um einige | |
| Weberinnen zu treffen. „Für uns ist das Handwerk nicht nur eine Arbeit“, | |
| sagt Shafi’i. „Wir gewinnen dadurch unser Selbstbewusstsein zurück.“ | |
| 28 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Giacomo Sini | |
| Monir Ghaedi | |
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